Seit Wochen wird in Medien und Politik das Narrativ verbreitet, die Corona-Maßnahmen-Gegner seien dabei, nach ganz Rechtsaußen abzurutschen und Rechtsextremismus sei ein verbreitetes Phänomen in der Szene. Doch jetzt bricht diese Zuschreibung immer mehr in sich zusammen. Zuerst gab es eine Studie von Wissenschaftlern aus Basel, die zeigte, dass überdurchschnittlich viele „Querdenker“ bei der Bundestagswahl 2017 die Grünen und die Linkspartei gewählt hatten (siehe hier). Nun wurde bekannt: Das Bundeskriminalamt hat in einem Rundschreiben an alle Landeskriminalämter, das Bundesinnenministerium, den Bundesverfassungsschutz, den Bundesnachrichtendienst und in noch diversen weiteren Berichten folgendes Fazit gezogen: „Demzufolge können eine umfassende Beeinflussung bzw. Unterwanderung des Protestgeschehens durch die rechte Szene aktuell nicht konstatiert werden.“
Besonders pikant: Gewaltgefahr gehe, so legt das Schreiben nahe, vor allem von linken Gegendemonstranten aus. Diese wirkten wie ein Magnet auf „gewaltorientierte Personen der linken Szene“. Das BKA warnt explizit vor „antifaschistischen Interventionen in Form von (schweren) Gewalttaten“. Ebenfalls besteht laut dem Papier die Gefahr, dass die linke Szene vermeintliche Rechtsextreme in ihr „Zielspektrum“ nimmt, die gar keine sind. Ebenso könnten hier Polizisten Ziel der Gewalt werden. In Leipzig wurde bereits ein Reisebus mit „Querdenkern“ massiv von Linksextremen angegriffen und demoliert; in einem anderen Fall konnten Polizisten einen „Querdenker“ nur durch einen Warnschuss vor der massiven Gewalt mutmaßlich linksextremer Täter retten. In vielen Medien wurde der Vorfall so geschildert, dass der falsche Eindruck entstehen konnte, „Querdenker“ selbst seien die Gewalttätigen gewesen.
Eigentlich wäre jetzt eine Entschuldigung aus Politik und Medien bei denjenigen angebracht, die zu dieser Protestbewegung gehören oder ihr nahestehen. Das Schreiben mit dem Titel „Aktuelle Entwicklungen im Protestgeschehen im Kontext der „Covid-19″-Pandemie“ ist mit dem Hinweis „VS – nur für den Dienstgebrauch“ versehen und stammt vom 27. November. Offenbar hat es ein Beamter „durchgestochen“. Es liegt reitschuster.de vor. In dem Papier heißt es unter anderem, dass keine verlässlichen Aussagen darüber möglich seien, was für Menschen auf den Demos der Querdenker sind: „Auch inwiefern Personen aus der rechten Szene an gewaltsamen Ausschreitungen beteiligt waren, kann aktuell nicht valide beurteilt werden.“
Die Gewaltausübung, so das Bundeskriminalamt, scheine insgesamt von einer „radikalen“ Minderheit auszugehen, welche wiederum nur schwer zu definieren wäre. Die Teilnahme von „Personen aus dem Reichsbürger-/Selbstverwalterspektrum“ an den Kundgebungen sei „weiterhin nicht prägender Natur“.
Das deckt sich haargenau mit meinen Beobachtungen von den Demonstrationen, die ich mehrmals beschrieben habe. Und mit denen ich in einer deutlichen Minderheit war im Kollegenkreis. Gerade Journalistenkollegen, die offenbar noch nie auf solchen Demonstrationen waren, vermitteln den Eindruck, diese seien von Rechtsradikalen dominiert.
Die Beamten des Bundeskriminalamtes befürchten zwar, das Auftreten der besagten „radikalen“ Minderheiten könne eine „Sogwirkung“ auf gewaltbereite Personen ausüben, die den Staat ablehnen. Was ja auf der Hand liegt. Gleichzeitig konstatiert das Amt aber: „Ein Überschwappen etwaiger Radikalisierungsprozesse auf breitere zivildemokratische Bevölkerungsschichten steht derzeit weiterhin nicht zu erwarten.“
Allerdings könne „die weitere Fortdauer der Pandemie und dadurch möglicherweise induzierte wirtschaftliche Nöte und Existenzängste“ durchaus einen „katalysierende(n) Faktor“ haben. So würden auf den Kundgebungen „krude Hypothesen aufgestellt“. Etwa wenn von einer „Corona-Diktatur“ die Rede sei. Auch antisemitische Narrative, so heißt es in dem Papier, würden geschürt. Allerdings sind die Belege, die das BKA dafür aufführt, wohl ihrerseits als „krude Hypothesen“ zu sehen. So wird der Antisemitismus etwa mit Vergleichen des Corona-Gesetzes mit dem „Ermächtigungsgesetz 1933“ oder Begriffen wie „Impf-Holocaust“ begründet.
Nach diesen Thesen ständen dann aber auch all diejenigen zumindest unter dem Verdacht des Antisemitismus, die ihrerseits nicht minder fragwürdige historische Vergleiche anstellen, wenn sie die Corona-Maßnahmen-Kritiker penetrant als „Nazis“ hinstellen oder zumindest als Menschen, die „mit Nazis mitlaufen“.
Besonders brisant ist das Schreiben des BKA vor dem Hintergrund, dass Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl, der Schwiegersohn von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) und Ehemann der designierten ARD-Programmdirektorin Christine Strobl, eine Beobachtung der „Querdenker“ durch den Verfassungsschutz fordert.
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