Ein Gastbeitrag von Sönke Paulsen
Selten gibt es in der Politik den „einen Grund“ nach dem entschieden wird. Wie im menschlichen Leben allgemein sind auch politische Entscheidungen „überdeterminiert“, haben also mehrere Gründe gleichzeitig.
Das ist normal.
Die Energiewende ist so entstanden. Auf dem Hintergrund einer Jahrzehnte bestehenden Anti-Atomkraft-Bewegung, einer zunehmenden Erderwärmung, der Luftverschmutzung, des Waldsterbens, der begrenzten fossilen Ressourcen, aber vor allem eines Weges, der erneuerbare Energien zum Gegenstand eines globalen Wettlaufes um Marktanteile gemacht hat, dürfte es sich hier um eine stabile politische Entscheidung handeln. Eben weil sie überdeterminiert ist, also viele Gründe hat.
Dann gibt es eine Reihe politischer Entscheidungen, die mit dem Siegeszug des Internets zusammenhängen. Gemeint sind natürlich in erster Linie die Entscheidungen, die eine Digitalisierung unseres Lebens betreffen und vor allem unserer Existenzgrundlagen, die in der Ökonomie gelegt werden. Jede politische Entscheidung, die getroffen wird (egal wo) ist durch viele Akteure, Argumente, durch mächtige Treiber von Entscheidungen und viele Getriebene beeinflusst. Entscheidungen begrenzen dabei einerseits das, was schon ist, wie im Falle der Reform des europäischen Urheberrechtes, die sehr konflikthaft verlief oder des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, das effektive Zensur und Kontrolle im Internet durchsetzen soll. Andererseits fördern sie, was sich stärker entwickeln soll, z.B. der Ausbau des schnellen Glasfasernetzes.
Auch das Internet und die Digitalisierung sind der Ort und der Gegenstand eines globalen Wettbewerbes, auch um die beste Zensur, die besten Möglichkeiten politischer Einflussnahme und die höchste ökonomische Rendite, die aus dem digitalen Potential gezogen werden kann. Diese drei Dinge hängen zusammen, wie uns ein Land gerade beweist.
China ist hier ganz vorne und der Wettbewerb führt fast automatisch dazu, dass die Methoden der Marktführer auch für andere interessant werden. Hauptsächlich geht es um Marktanteile von Technologien und Ressourcen, bei denen China auch von den westlichen Industrieländern beobachtet und kopiert wird. Es geht gar nicht anders, als die Methoden der „Besten“ zu übernehmen, um mithalten zu können. Das gilt auch für politische Zensur, Kontrolle der sozialen Netzwerke und Manipulationen der Bevölkerung durch die politisch Mächtigen über das Internet.
Wenn man eine so problematische Mischung anspricht, wie das Benchmarking mit China, das die Europäer noch mehr betreiben, als die Amerikaner, das für Asien selbstverständlich geworden ist und in Afrika gerade entsteht, muss man sich fragen, ob es nicht zwangsläufig auch politische Benchmarks gibt, bei denen wir uns an China messen.
Intelligente Steuerung
Zensur und Kontrolle können solche Benchmarks sein, aber auch die, zunehmend totale, Digitalisierung des täglichen Lebens in den Metropolen. Zensur ist nicht nur dazu geeignet, die politische Kontrolle in Diktaturen auszuüben, sondern eben auch in Demokratien, wie man in Europa langsam erkennt. In erster Linie geht es aber um die Erkenntnis, dass Kontrolle auch Marketing ist, also ökonomische Ansätze liefert, wie die intelligente Steuerung von Werbung und eine sichere Vernetzung von Fabriken, Logistikzentren und Dienstleistungen aller Art.
Es ist schwer, das eine von dem anderen zu trennen. Es gibt keine Sicherheit ohne Kontrolle und Zensur. China ist in dieser Hinsicht ganz weit fortgeschritten! Müssen wir also die chinesischen Benchmarks in Bezug auf eine totalitäre Überwachung übernehmen?
Als Donald Trump HUAWAI mit seiner neuen Handytechnologie vom amerikanischen Markt ausschloss, gab es zwei Gründe. Den amerikanischen Markt für Smartphone-Betriebssysteme zu protegieren und zugleich die Verbraucher, vor allem aber die Industrie und die Regierung vor den verbauten, chinesischen Überwachungstechnologien zu schützen. Eine rote Linie, welche die EU nicht gezogen hat.
Akzeptieren wir Europäer auch (überwachungstaugliche) Technologien eines totalitären Staates, als Benchmarks?
Im Falle von HUAWAI muss man das wohl bejahen. Damit allerdings wird für uns Europäer auch die chinesische Politik mit all ihren Unterdrückungstechnologien zum Benchmark!
Das klingt im Augenblick sehr theoretisch.
Allerdings gibt es weitere Bereiche, wo China zum Benchmark für uns wird.
Unmenschliche Methoden
Wer die öffentlichen Äußerungen unserer europäischen Politiker über die chinesischen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie aufmerksam verfolgt hat, dem fiel auf, dass es wenig Kritik für harsche Quarantänemaßnahmen und unmenschliche Methoden, das Virus zu stoppen gab. Es gab sogar immer wieder Äußerungen, dass wir den Chinesen, die die Pandemie besser unter Kontrolle hätten, einiges nachmachen sollten. Wenigstens aber sollten wir so gut, wie die Chinesen sein.
Neuere Berichte über ganze Städte, die von der Außenwelt abgeschnitten wurden, in denen es keine hinreichende Nahrungsmittelversorgung mehr gibt und die Menschen in ihren Wohnungen eingesperrt werden, scheinen die China-Euphorie etwas gebremst zu haben. Die Stadt Tonghua, in der Menschen in ihren Wohnungen hungern und gezielt vom Internet abgeschnitten werden, damit nichts nach außen dringt, wurde in unseren Medien zaghaft thematisiert.
Empörung gegen diktatorische Maßnahmen sieht anders aus.
Wie kontrolliert man die Massen in China und Europa?
Wie kann es sein, dass unsere Medien, in der Pandemie, vergleichsweise unkritisch auf China, aber auch auf Südkorea und andere asiatische Staaten blicken, die drastische Maßnahmen verhängt haben? In Asien wird das verbreitete Smartphone inzwischen wie eine Wanze genutzt, die Auskunft über jeden und den Aufenthaltsort von jedem gibt und damit eben nicht nur Infektionsherde aufdeckt, sondern totale Kontrolle über die Bürger ausübt.
In der Exportwirtschaft werden solche kritische Gedanken schnell weggewischt. Der asiatische Markt ist zu wichtig für uns, die Lieferketten auch aus China, haben eine existentielle Bedeutung. Wir alle laufen gerade mit chinesischen FFP2-Masken durch die Gegend, wichtige Medikamente kommen von dort. Maschinenbau und Autoindustrie haben dort ihre wichtigsten Absatzmärkte für die Zukunft.
Damit die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ein gewogener globaler Player für uns bleibt, akzeptieren wir viel und genau das führt dazu, dass auch vieles bei uns abfärbt. Die Corona-Krise zeigt das ziemlich deutlich. Aber die Methoden, Menschenmassen zu steuern, indem man soziale Netzwerke kontrolliert und zensiert, halten eben schon seit Längerem bei uns Einzug. Jüngste Manifestation dieses totalitären Denkens ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz der SPD, das derzeit noch beim Bundespräsidenten hängt, weil es vom BVerfG bereits als verfassungswidrig eingestuft wurde.
Die Unterstützung der Demokratiebewegung in Hongkong kann nicht darüber hinweg täuschen, dass unsere Medien sehr wenig über die Unterdrückung der Menschen im chinesischen Mutterland berichten. Dies ist auch schon chinesischen Dissidenten im deutschen Exil aufgefallen und es gibt zunehmend kritische Stimmen über unser Verhältnis zur chinesischen Regierung.
Der Zweck definiert die Mittel – er heiligt sie nicht!
Auf meiner Website „Heralt“ habe ich kürzlich einen Versuch über die Wurzeln amerikanischer Neokonservativer im Trotzkismus veröffentlicht. Ein Grundprinzip Trotzkis ist die „permanente Revolution“, das zumindest technisch von den amerikanischen Neokonservativen, die auch bei uns einen großen Einfluss haben, auch im Kanzleramt, übernommen wurde. Trotzki hat damit aber die kommunistische Weltrevolution gemeint und nicht liberale Demokratien. Wenn man jedoch Techniken von Kommunisten übernimmt, Gesellschaften zu unterwandern, Revolutionen und Umstürze herbeizuführen, wie es bei den amerikanischen Neocons, die auch den letzten Präsidenten Donald Trump mit allen Mitteln stürzen wollten (und immer noch wollen, wenn man an das Impeachment gegen ihn denkt), darf man sich hinterher nicht wundern, wenn daraus keine Demokratie entsteht, sondern eine totalitäre Diktatur.
Nicht der Zweck heiligt die Mittel, sondern die Mittel tragen den Zweck schon in sich.
Kontrolle und Überwachung, Freiheitseinschränkungen und Manipulation führen niemals zur Demokratie. Sie sind allein dazu geeignet in eine Diktatur zu führen.
Es wäre fatal, um zum Anfang dieses Artikels zurückzukehren, wenn unsere Regierung die schweren Freiheitsbeschränkungen, die sie uns zumutet, gleichzeitig als Türöffner für eine digitalisierte Arbeitswelt (Homeoffice) oder für eine globalisierte Gesundheitspolitik, wie auf dem World Health Summit im letzten Jahr vielfach geäußert, betrachten würde. Eine solche Mehrfachbegründung für die Lockdowns und Menschenrechtseingriffe in Europa weckt den Verdacht auf eine „hidden Agenda“.
Ich sehe hier keine Verschwörung, sondern viel mehr eine politische Gedankenlosigkeit, die zum politischen Prinzip in unseren Ländern erhoben wurde. Ein Prinzip unter der Überschrift: „Globale Partnerschaften und globaler Wettbewerb“. So kommt das chinesische System in den Genuss einer demokratischen Legitimation, die es nicht verdient hat und wir bekommen die Chinesen als Benchmark-Partner. Keine sehr gute Idee.
Es ist nicht anzunehmen, dass uns unsere politischen Führer, wie Merkel und Macron, arglistig in eine Diktatur locken wollen. Stattdessen stolpern wir miteinander in eine solche, weil wir zu schnell laufen wollen. Wir wollen die Chinesen einholen.
Wenn uns das gelingt, sind wir unsere Freiheit und unsere Demokratie ganz schnell los.
Die chinesische Gefahr ist sehr real und sie beginnt in unseren Köpfen.
Die Pandemie zeigt das leider jetzt schon.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“
Bild: Shutterstock
Text: Gast
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