Von Kai Rebmann
Immer wenn man glaubt, es könne einen nichts mehr erschüttern, wird man durch die Realität eines Besseren belehrt. So wie in diesem Fall durch das Schreiben einer empörten Leserin. Per Mail teilt uns die Frau mit:
„Lieber Herr Reitschuster, anbei eine neue Idee unserer Schule in XXX (Dorf in Bayern, negative Schlagzeilen, da wir eine Asylmassenunterkunft ablehnen):
Die IchSteh-Aktion der Robert Bosch Stiftung. Schulen für Demokratie und Vielfalt. Ich fasse mir ans Hirn und begreife nicht, wie pervers es zugeht. Kinder, die Coronaratten, sollen unsere Demokratie verteidigen.
Wenn ich doch den Mut hätte, meine Heimat zu verlassen… Alles Gute für Sie und 1000 Dank für Ihre wertvolle Arbeit!“
Ideologisch gefärbter Elternbrief als Stein des Anstoßes
Wahrlich drastische Worte einer ganz offensichtlich gleichermaßen empörten wie auch besorgten Mutter. Dem Schreiben lag ein von der Schulleitung unterschriebener Elternbrief bei, der Stein des Anstoßes. Und in der Tat ist der Inhalt starker Tobak, der an ganz andere Zeiten bzw. Systeme erinnert. Als Zeugnis der Zeitgeschichte geben wir den Inhalt an dieser Stelle wieder und veröffentlichen ein Bild des Schreibens:
„Liebe Eltern, in diesem Jahr mit Europawahl und dem 75. Jubiläum des Grundgesetzes wollen wir einen Beitrag leisten, um das Demokratiebewusstsein unserer Schüler zu stärken.
Deshalb möchten wir uns an einem Aktionstag beteiligen, der von der Robert Bosch Stiftung (Projekte wie u.a. der Deutsche Schulpreis) und der Heidehof Stiftung in Kooperation mit der ARD und der ZEIT Verlagsgruppe unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten ausgerufen wurde. Unter dem Motto #IchStehAuf – Schulen für Demokratie und Vielfalt können sich Schulen am 6. Juni 2024 mit kleineren und größeren Aktionen daran beteiligen.
Die Idee und unser Beitrag: Am 6. Juni 2024 sind Schulen in ganz Deutschland dazu aufgerufen aufzustehen, um ein Zeichen für Demokratie und Vielfalt zu setzen. Wir haben uns im Kollegium für den 6. Juni folgendes überlegt:
Art der Aktion: Jedes Kind trägt am Donnerstag, den 6. Juni Kleidung in Regenbogenfarbe(n) (keine dunklen Farben!). Fotoaktion #IchStehAuf von allen Schülern gemeinsam am Donnerstag um 9:30 Uhr auf dem Klettergerüst und dem Pausenhof.
Da die Aktion auf der Webseite der Initiative mit Fotos und einem kurzen Text ohne Angabe der Namen der Schüler dokumentiert werden könnte, bitten wir Sie, die vorliegende Einwilligungserklärung aufmerksam zu lesen und anschließend Ihrem Kind bis Mittwoch, den 5. Juni unterschrieben an die Klassenlehrerin zurückzugeben.“
Zeitpunkt mit Bedacht gewählt?
Ja, ein direkter Zwang zur Teilnahme an dieser „Aktion“ wird nicht ausgeübt. Gleichzeitig macht die Schulleitung aber gleich an mehreren Stellen deutlich, welche Erwartungshaltung sie gegenüber den Eltern und letztlich auch den Kindern hat. So ist etwa die Aufforderung „keine dunklen Farben!“ explizit noch mit einem Ausrufezeichen versehen, um nur ein Beispiel zu nennen.
Der Tenor des gesamten Elternbriefs hat eine klar erkennbare Schlagseite. Bemerkenswert ist zudem die Schirmherrschaft von Frank-Walter Steinmeier, dem Bundespräsidenten also, der sich im Laufe seiner Amtszeit den wenig schmeichelhaften Beinamen als „Spalter von Bellevue“ eingehandelt hat. Und ausgerechnet dieses Staatsoberhaupt soll jetzt über eine Initiative zur Verteidigung von Demokratie und Vielfalt wachen?
Ebenso dürfte das gewählte Datum der Aktion kein Zufall sein. Dieses liegt nur drei Tage vor der Europawahl – vor allem aber in einer Zeit, in der das Dorf durch den geplanten Bau einer Flüchtlingsunterkunft gespalten wird. Medienberichten zufolge will das zuständige Landratsamt ein Container-Dorf für rund 500 Flüchtlinge errichten. Im April soll deswegen schon eine Bürgerversammlung eskaliert und völlig aus dem Ruder gelaufen sein.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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