„Impfen als Pflicht?“ – Veraltete Halbwahrheiten als Schulaufgabe Kinder müssen über Impfpflicht diskutieren

Von Kai Rebmann

Auch im Juni 2024 erreichen uns noch Zuschriften, die man heute in dieser Form eigentlich kaum noch erwarten sollte. Doch die Corona-Jahre haben ganz offensichtlich sehr tiefe Spuren hinterlassen. Ein Leser aus dem Norden Deutschlands schildert unglaubliche Zustände an der Schule seines Kindes und zeigt sich entsetzt über die Unterrichtsmaterialien, mit denen die Schüler auf Kurs gebracht bzw. gehalten werden sollen.

Das erste von insgesamt vier Arbeitsblättern beginnt noch recht unverdächtig mit allgemeinen Informationen über die Masernimpfung und erläutert, weshalb diese seit dem 1. März 2020 an deutschen Kitas und Schulen verpflichtend ist. Sehr schnell wird dann aber der Bogen zur Corona-Impfung geschlagen und den Schülern mitgeteilt, weshalb eine „Impfpflicht“ in Wahrheit eigentlich gar keine „Impfpflicht“ im eigentlichen Sinne sei.

Hierzu wird aus einer Stellungnahme des Ethikrats zitiert, die noch aus dem Jahr 2019 stammt, also noch vor der Corona-Zeit: „Mit dem Ausdruck ‚Impfpflicht‘ ist oft die Vorstellung verbunden, dass der Staat diese Pflicht per Gesetz vorschreibt und im Extremfall mit staatlichem Zwang durchsetzt. Der Begriff kann allerdings sowohl im Sinne einer strengen Rechtspflicht als auch im Sinne einer […] reinen Moralpflicht verstanden werden.“

Narrativ von der ‚sehr sicheren und wirksamen Impfung‘

Und spätestens mit den folgenden Sätzen sind die Autoren der vorliegenden Arbeitsblätter endgültig bei Corona und den entsprechenden Impfstoffen angekommen. Die Schüler werden hierbei mit einer längst überholten Wunschvorstellung der Impf-Apologeten konfrontiert: „Stelle dir folgendes Szenario vor: Es herrscht eine sich schnell ausbreitende Virus-Epidemie, die gehäuft Folgeschäden und Todesfälle mit sich bringt. Eine preisgünstige, sehr sichere und wirksame Impfung ist ausreichend verfügbar und schützt auch vor einer Übertragung der Krankheit. Sollte die Impfung für alle verpflichtend sein?“ Die Kinder sollen im Anschluss anonym darüber abstimmen, ob sie eine Impfpflicht befürworten.

Der springende Punkt ist doch folgender: Würden die in diesem „Szenario“ – einer kaum verhohlenen Anspielung auf Corona und die sogenannte „Impfung“ dagegen – enthaltenen Informationen allesamt genau so zutreffen, dann bräuchte es überhaupt keine Impfpflicht. Die Leute würden sich ganz freiwillig und ohne jeden direkten oder indirekten Druck impfen lassen und das vermutlich in großen Scharen.

Stattdessen geht es in Arbeitsblatt 2 in genau diesem Stil weiter. Hier wird einleitend erläutert, dass sowohl zu SARS-CoV-2, die daraus resultierende Erkrankung COVID-19 als auch die Impfung dagegen „Falschmeldungen und Gerüchte die Runde“ machen. Im Folgenden werden die Schüler mit einem Dutzend Aussagen konfrontiert, die sie als „Fakt“ oder „Fake“ einstufen sollen. So zum Beispiel: „Die Bundesregierung plant eine allgemeine Corona-Impfpflicht.“ Oder: „Bill Gates will alle Menschen zwangsimpfen lassen.“

Der Clou: Sollte beim vorherigen Arbeitsblatt noch „anonym in der Klasse“ abgestimmt werden, sollen die Schüler jetzt die Karten auf den Tisch legen: „Vergleicht eure Ergebnisse. Recherchiert bei Unstimmigkeiten z.B. auf bundesregierung.de oder sucht im Netz nach ‚Mythen Corona-Impfung‘.“ Mit anderen Worten: Die Kinder und Jugendlichen sollen und dürfen sich selbst informieren – aber bitte nur bei den „richtigen“ Quellen.

Impfpflicht? Halb so wild, gab es schließlich schon zu des Kaisers Zeiten

Sodann sollen die Schüler einen Artikel unserer geschätzten Kollegen von „Correctiv“ in eigenen Worten und ergänzt durch „eigene Überlegungen“ zusammenfassen. In dem Quelltext geht es über die möglichen Auswirkungen vermeintlicher „Desinformations-Kampagnen“. Wir möchten unseren Lesern an dieser Stelle lediglich die ersten zwei Sätze zumuten, die aber schon sehr deutlich zeigen, wohin die Reise gehen soll: „Die Verbreitung von Desinformation mag keine Straftat sein. Aber sie kann Gesellschaften spalten, Angst und Hetze verbreiten und im schlimmsten Fall Menschenleben kosten.“

Das Arbeitsblatt 3 nimmt uns mit auf eine Reise bis tief in die deutsche Geschichte. Wir landen im Jahr 1874 und befinden und im Deutschen Kaiserreich. Hier vergleichen die Autoren Corona mit den Pocken, darunter geht es offenbar nicht. Auch damals, so wird informiert, habe es eine verpflichtende Impfung gegeben.

Jetzt sollen die Schüler 12 Aussagen über eine Impfpflicht den Tendenzen „Pro“, „Contra“ oder „Neutral“ zuordnen und diese auf einer fünfstufigen Skala selbst bewerten – stimme voll (oder eher) zu, bin neutral oder stimme absolut (oder eher) nicht zu. Diese eigene Bewertung findet wohlgemerkt erst am Ende des Prozesses statt, nachdem die Kinder und Jugendlichen über mehrere Seiten hinweg mit eindeutig erkennbarer Schlagseite in dieses Thema eingeführt worden sind.

Reinwaschung der Maßnahmen-Hardliner – auf Kosten der Ungeimpften

Abschließend geht es um die „Privilegien“ für Geimpfte. Weshalb die Autoren dieses Wort in Anführungszeichen gesetzt haben, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Ebenso, weshalb sie in selber Weise bei der „indirekten Impfpflicht“ oder der „Impfpflicht durch die Hintertür“ vorgegangen sind. So sei eine mögliche Ungleichbehandlung von Geimpften und Ungeimpften von „manchen Stimmen“ bezeichnet worden, wie es in dem Arbeitsblatt heißt.

Völlig außer Acht gelassen wird dabei, dass es solche Forderungen nach Privilegien für Geimpfte nicht nur tatsächlich gab, sondern diese mit zunehmender Dauer auch mit immer schärferen Worten vorgetragen werden durften – bis hin zur Spaltung der Gesellschaft. Als was, wenn nicht „indirekte Impfpflicht“ oder eben „Impfpflicht durch die Hintertür“, hätte man eine solche Debatte und deren Umsetzung in Form verschiedener G-Regeln also sonst bezeichnen sollen?

Es kommt aber noch dicker: Ulrich Weigeldt, der damalige Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, wird mit folgender Aussage aus dem Januar 2021 zitiert: „Wollen wir dieser Frau (einer 85-Jährigen im Pflegeheim, die dieses seit Monaten nicht verlassen darf) ernsthaft zumuten, dass sie sich aus Rücksicht auf die Ungeimpften weiterhin selbst einsperrt?“

Mir persönlich ist kein einziger Ungeimpfter bekannt, der eine solche Form der Rücksichtnahme jemals irgendwo gefordert hätte. Der Tenor dieser Aussage könnte verheerender kaum sein: Schuld an den oben beschriebenen Zuständen bis hin zur sozialen Vereinsamung sollen also nicht die völlig unverhältnismäßigen Maßnahmen gewesen sein – sondern einzig und allein die unverbesserlichen Ungeimpften.

Es lässt einen ratlos zurück, was eine Schule oder auch einzelne Lehrer dazu veranlasst, in ihren Klassen auch im Juni 2024 noch solche Arbeitsblätter auszuteilen, die nicht nur völlig veraltet sind (Stand aus den Jahren 2020 und 2021), sondern auch zumindest in Teilen längst überholte, wenn nicht widerlegte Informationen enthalten.

Auch unseren Leser führt das zur Frage, ob hier „unseren Kindern Halbwahrheiten eingeimpft und diese auf Kurs gebracht werden sollen, oder man einfach wissen will, wie die Eltern ticken.“ Da passen auch die weiteren Beschreibungen über die Zustände an der betreffenden Schule ins Bild: „Es ist noch zu sagen, dass die Schüler dort zu beginnender Corona-Zeit während aller Pausen zum Lied Macarena auf dem Schulhof tanzen mussten, um nicht zu nah beieinander zu stehen. Und im Winter saßen tatsächlich alle Schüler in Jacken und mit Decken bepackt in den Klassenräumen bei offenen Fenstern um 5 Grad und versuchten, so zu lernen.“

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Screenshot Arbeitsblätter privat

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