Massiver Vorwurf: gelenkter Journalismus beim Schweizer Fernsehen? „Fixe Idee zu einer Aussage eines Protagonisten“ – internes Dokument geleakt

Von Daniel Weinmann

Ein über Zwangsgebühren finanzierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist kein spezifisch deutsches Phänomen. In der Schweiz etwa werden geräteunabhängig 335 Franken je Privathaushalt und Jahr fällig. Seit Beginn dieses Jahres müssen dort sämtliche Privathaushalte die Abgabe zahlen – auch wenn sie keine Empfangsgeräte besitzen. Bis Ende vergangenen Jahres war es noch möglich, sich auf Antrag von der Gebühr befreien zu lassen.

Bei der öffentlich-rechtlichen „Rundschau“ brodelt es gewaltig. Das seit 1968 bestehende Magazin zählt zu den traditionsreichsten Formaten des „Schweizer Radio und Fernsehens“ (SRF) und jeden Mittwochabend um 20:05 Uhr im ersten Programm ausgestrahlt. „Reportagen und Magazinberichte nah am Geschehen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“, haben sich die Verantwortlichen auf die Fahnen geschrieben, „oft mitten drin, ohne die kritisch-journalistische Distanz zu verlieren“.

Trotz dieses edelmütigen Selbstverständnisses ist die Fluktuation enorm: Vier von siebzehn Redakteuren haben die „Rundschau“ seit Beginn dieses Jahres verlassen. In den vergangenen zwei Jahren haben laut „Aargauer Zeitung“ zwei Mitarbeiter einen Burn-out erlitten, ein dritter stand kurz vor einer Erschöpfungsdepression. „Die Rundschau ist kein Ponyhof“, gebe Redaktionsleiter Mario Poletti auf Beschwerden seinen Mitarbeitern zu verstehen, zitiert das Schweizer Blatt aus einem sechsseitigen redaktionsinternen Dokument mit dem vielsagenden Titel „Plattform zur Verbesserung des Klimas im Ponyhof“.

Hehre Prinzipien der »Unvoreingenommenheit und der Wahrhaftigkeit«

Darin legen acht SRF-Mitarbeiter nicht nur gravierende Missstände wie eine überhöhte Arbeitsbelastung und den würdelosen Umgang mit Kranken offen. Viel schwerer wiegt der Vorwurf des „Thesenjournalismus“. Der Redaktionsleiter stelle eine These auf, die die Redakteure, „auf irgendeine erdenkliche Weise“ bestätigen müssen – auch wenn die Realität gänzlich anderes zeige.

Mehr noch: Die Redaktionsleitung oder der Produzent hätten „eine fixe Idee zu einer Aussage eines Protagonisten, ohne sich im Thema auszukennen oder mit möglichen Protagonisten gesprochen zu haben“. Merke man als Redakteur an, dass eine Szene oder ein Statement nicht möglich sei, werde einem das Fehlen des entsprechenden Abschnitts im TV-Beitrag als Versagen angekreidet. Für das SRF hingegen ist Thesenjournalismus laut seiner publizistischen Leitlinien – wie könnte es anders sein – inakzeptabel. SRF-Journalisten halten sich an die „Prinzipien der Unvoreingenommenheit und der Wahrhaftigkeit“, heißt es darin.

Die Autoren des bereits Mitte vergangenen Jahres verfassten Dokuments widersprechen energisch. Ihr Vorwurf: Beim Schweizer Fernsehen würden die Beiträge konfektioniert, der Tenor stehe vorab fest. Recherchen seien lediglich Mittel zum Zweck, eine bereits feststehende These zu belegen.

Ist die Schweiz ein Einzelfall?

Die Verbesserungsvorschläge wurden nur kurzzeitig umgesetzt, inzwischen ist offenbar alles wieder beim alten. Dazu passt, dass Redaktionsleiter Poletti den Vorwurf des Thesenjournalismus bei der „Rundschau“ zurückweist. Seine Mitarbeiter fürchten derweil, dass die Fluktuation hoch bleibt. Manche glauben, dass Chefredakteur Tristan Brenn und SRF-Direktorin Nathalie Wappler das Problem schlicht aussitzen wollen. Poletti geht in zwei Jahren in den Ruhestand.

„Die Vorwürfe wurden intern aufgearbeitet“, heißt es beim Schweizer Fernsehen. Es seien keine Verstöße gegen interne Richtlinien festgestellt worden. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nehme man aber nicht weiter zu diesen internen Vorgängen Stellung.

Kaum vorstellbar, dass die Grundprinzipien des Journalismus nur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen der Schweiz derart mit den Füßen getreten werden. Beim stark rot-grün dominierten Pendant in Deutschland würden vergleichbare Fälle wenig überraschen. Bleibt zu hoffen, dass auch hierzulande zumindest ein Teil der Redaktere über das nötige Rückgrat verfügt, den Finger in die Wunde zu legen.

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Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: Judith Linine/Shutterstock

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