Von Kai Rebmann
Dass die meisten der im Zuge des Corona-Regimes getroffenen Entscheidungen politisch falsch und in vielen Fällen auch ethisch bedenklich waren, daran dürften spätestens seit der vollständigen Veröffentlichung der RKI-Files kaum noch Zweifel bestehen. Nach wie vor offen ist hingegen, ob das Handeln der Protagonisten auch von strafrechtlicher Relevanz ist und welche Folgen sich hieraus gegebenenfalls noch ergeben könnten.
Eben diese Frage will die Good Governance Gewerkschaft jetzt beantwortet wissen und hat bei der Generalstaatsanwaltschaft Berlin eine entsprechende Strafanzeige gegen mehrere hochrangige Politiker in ehemaliger und/oder aktueller Regierungsverantwortung eingereicht. Auch wenn Boris Reitschuster in diesem Artikel ausgeführt hat, weshalb Berichterstattungen über Strafanzeigen mit Vorsicht zu genießen sind, haben wir uns in diesem Fall ausnahmsweise doch dafür entschieden.
Einerseits wiegen die Vorwürfe, so sie sich als zutreffend erweisen sollten, sehr schwer. Andererseits ist ein wirklicher Wille zu einer echten Aufklärung weder in der Politik noch in der – in weiten Teilen weisungsgebundenen – Justiz erkennbar. Und selbst die Kollegen bei den viel zu oft viel zu regierungsfreundlichen Medien behalten ihren in den letzten Jahren gefahrenen Kurs trotz der neuen Enthüllungen um die RKI-Files unbeirrt bei.
Strafbar oder ‚nur‘ politisches Versagen?
Konkret richtet sich die Strafanzeige gegen „Frau Bundeskanzler a.D. Dr. Angela Merkel, Herrn Bundeskanzler Olaf Scholz MdB, Herrn Bundesminister a.D. Jens Spahn MdB, Herrn Bundesminister Prof. Dr. Karl Lauterbach MdB, Frau Bundesminister a.D. Annegret Kramp-Karrenbauer, Frau Bundesminister a.D. Christine Lamprecht, Herrn Bundesminister Boris Pistorius, Herrn Regierender Bürgermeister a.D. Michael Müller MdB, Frau Senatorin a.D. Dilek Kalayci und andere.“
Inhaltlich geht es um den Verdacht auf die Begehung von Straftaten wie Betrug (Paragraf 263 StGB), Nötigung (Paragraf 240 StGB) und gefährliche Körperverletzung (Paragraf 224 StGB). Nun ist politisches Versagen per se natürlich nicht strafbar. Das könnte sich jedoch ändern, wenn dieses im Zusammenhang mit dem Auferlegen von Zwangsmaßnahmen steht, deren Evidenz zu keinem Zeitpunkt gegeben war. Dies wiederum hätte aber notwendigerweise – und zwingend – der Fall sein müssen, um Maßnahmen wie Ausgangssperren, faktische Berufsverbote oder Schulschließungen auch nur ansatzweise rechtfertigen zu können.
Das höchst unwissenschaftliche, manche würden sogar sagen kriminelle Vorgehen der damaligen Bundesregierung lässt sich an folgendem konkreten Beispiel darstellen, das aufzeigt, wie die „Pandemie“ – und damit die Grundlage für alle folgenden Maßnahmen – regelrecht „herbeigetestet“ wurde:
Kritik aus dem RKI wurde ignoriert
Das angeblich unabhängige, in Wirklichkeit aber weisungsgebundene RKI äußerte am 20. April 2020 massive Zweifel an der unter der Verantwortung des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) entwickelten Teststrategie. In einer Sitzung an eben jenem Tag findet sich dazu in den inzwischen offen einsehbaren RKI-Protokollen folgender Hinweis: „Freitag wurde das Papier von Jens Spahn mit dem Titel ‚Testen, testen, testen‘ finalisiert. Dies ist nur zum Teil mit der AG Diagnostik abgestimmt. Kritische Aspekte.“
Im Klartext: Hier hat das Bundesgesundheitsministerium offenbar zum Alleingang angesetzt, ganz nach dem Motto: viel (testen) bringt viel (positive Testergebnisse) – und fertig ist die „Pandemie“!
Besondere Brisanz birgt in diesem Zusammenhang ein Brief von Heiko Rottmann-Großner, dem Leiter der Unterabteilung 61 im Haus des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn. In dem Schreiben vom 29. April 2020 an das RKI zur „Anpassung der Testkriterien zur Verdachtsabklärung bei COVID-19“ heißt es:
„Mit Blick auf die derzeit zur Verfügung stehenden Testkapazitäten in der Bundesrepublik Deutschland und die aktuelle COVID-19-Pandemielage bitte ich um die zügige Anpassung der Testkriterien zur Verdachtsabklärung bei COVID-19 anhand des beigefügten Papiers „‘Testen, testen, testen‘ – aber gezielt“ zur Teststrategie. […]
Ich bitte, dieses Papier bei den Empfehlungen und Veröffentlichungen des RKI zu berücksichtigen und entsprechende Anpassungen umgehend zu veröffentlichen. Für eine Umsetzung bis spätestens zum Samstag, 2. Mai 2020, wäre ich sehr dankbar.“
Diese aus dem Gesundheitsministerium formulierte „Bitte“ konnten die in einem Abhängigkeitsverhältnis stehenden RKI-Mitarbeiter natürlich nicht ablehnen. Stefan Homburg, ein Maßnahmen-Kritiker der ersten Stunde, stellt dazu via X fest: „Rottmann-Großner weist das RKI an, PCR- und Schnelltests nach Vorgaben von Bankkaufmann Jens Spahn auszurollen. Damit kommt die ‚Pandemie‘ ins Rollen. Beendet wird sie Jahre später durch Einstellung der Massentests, nicht durch modRNA.“
Ideologie und Machthunger schlagen Evidenz
Darüber hinaus könnte sich Jens Spahn nach Ansicht der Anzeigenerstatter mit einer Äußerung vom 17. Februar 2021 strafbar gemacht haben. Der damalige Gesundheitsminister bezeichnete das Präparat von Astrazeneca als „sicher und wirksam“ und forderte „die Bundesländer auf, die gelieferten Dosen […] zu verimpfen“, wobei er „besonders an Ärzte und Pflegekräfte appellierte“.
Am 13. Juli 2021 stellte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Behauptung auf, die schon damals kühn klang und inzwischen vollends widerlegt ist: „Ich sage allen, die noch unsicher sind, ob sie sich impfen lassen wollen: Eine Impfung schützt nicht nur Sie, sondern auch immer jemanden, dem Sie nahestehen, der Ihnen wichtig ist, den Sie lieben.“
Bei ihrem Amtsnachfolger Olaf Scholz (SPD) hörte sich das am 2. Dezember 2021 nicht weniger dramatisch, aber ebenso falsch an: „Wer sich nicht impfen lässt, gefährdet sich selbst, gefährdet Kinder und alle seine Mitmenschen, die sich aufgrund von Vorerkrankungen nicht impfen lassen können. […] Ich möchte, dass wir bis Weihnachten bis zu 30 Millionen Impfungen in die Oberarme kriegen.“
Aber auch der Tatvorwurf der Nötigung liegt für die Anzeigenerstatter auf der Hand, was diese am Beispiel Berlin skizzieren. So sei eine „Vielzahl von Rechtsverordnungen“ beschlossen worden, insbesondere die „Verordnungen über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin“ und die „Verordnungen über erforderliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2“.
Die GGG sieht in diesen Regelungen eine Grundlage für „das Nötigen einer natürlichen Person zu einer bestimmten Handlung, hier der ‚freiwilligen‘ Einwilligung in einen medizinischen Eingriff“. Wer sich weigerte, musste in Zeiten von 3G, 2G, 2Gplus und 1G weitreichende Folgen bis hin zur Vernichtung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Existenz in Kauf nehmen: „Ausschluss von der Teilhabe am sozialen Leben, etwa der (erschwerte) Besuch von Restaurants und Freizeitstätten, der Arbeitsstätte oder gar Verwandten als auch (den) gänzlichen Verlust des Arbeitsplatzes.“
Die hier aufgeführten Beispiele sind eine sicher nicht vollständige Aufzählung von Entscheidungen und Handlungen der Exekutive, die über das Maß des bloßen politischen Versagens hinausgehen. Nicht wenige Politiker auf allen Ebenen verfielen in Muster, die wir zuvor nur aus totalitären Systemen kannten und legitimierten ihre Entscheidungen teilweise selbst, indem sie völlig neue, in einer föderalen Republik bisher ebenfalls unbekannte Instrumente erfanden, etwa eine sogenannte „Ministerpräsidentenkonferenz“.
Vor diesem Hintergrund reicht das einfache, vom damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn – wohl in banger Vorahnung? – formulierte „Wir werden einander viel zu verzeihen haben“ sicher nicht aus. Denn dies wiederum würde voraussetzen, dass die verantwortlichen Entscheidungsträger jeweils nach bestem Wissen und Gewissen handelten. Ob das beim Corona-Regime so war, muss spätestens seit Bekanntwerden der RKI-Files massiv in Zweifel gezogen werden – und könnte jetzt ein Fall für die Generalstaatsanwaltschaft Berlin werden.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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