Von Kai Rebmann
Treue Leser dieser Seite kennen Onoda Hirō. Der Nachrichtenoffizier der japanischen Armee setzte den Zweiten Weltkrieg im philippinischen Dschungel bis ins Jahr 1974 fort, weil er von der Kapitulation seines Landes schlicht nichts mitbekommen hatte. Vergleiche mit diesen sogenannten „Holdouts“ drängen sich unwillkürlich auf, wenn man sieht, wie verbissen sich mancherorts an völlig sinnbefreite Corona-Maßnahmen geklammert wird. Ganz nach dem Vorbild von Onoda Hirō führt auch eine Grundschule in Nürnberg den Kampf gegen Corona unbeirrbar fort und weigert sich hartnäckig anzuerkennen, dass das Virus längst in die endemische Phase eingetreten ist. Die Schulleitung wandte sich mit einem Schreiben an die künftigen Erstklässler, den man nur als „Elternbrief des Grauens“ bezeichnen kann.
Vielen von uns sind die Bilder von Kindern mit sogenannten „Abstandshüten“ aus den Jahren 2020 und 2021 noch in leidvoller Erinnerung. Was als „Social Distancing“ gepriesen wurde, sollte gewährleisten, dass sich Schüler auf Klassenfotos oder beim Spielen auf dem Pausenhof bloß nicht zu nahe kommen. Mit Kindern kann man es ja machen. Jetzt gibt es im Frankenland einen bösen Rückfall in diese finsteren und längst vergessen geglaubten Zeiten. In einem Elternbrief, der tatsächlich im September 2022 verfasst wurde, wird um die „Einhaltung bestimmter Hygieneregeln“ bei der Einschulung der diesjährigen ABC-Schützen gebeten.
Auf dem Schulhof liegen Gymnastikreifen bereit
Die Schulleitung bittet um Verständnis, dass der erste Schultag leider „nicht ganz so ablaufen“ kann, wie sich die Erstklässler und deren Eltern das wohl vorgestellt haben. „Aufgrund von Corona“ werden die beiden ersten Klassen getrennt voneinander eingeschult. Bei gutem Wetter könne die Begrüßung des neuen Jahrgangs auf dem kleinen Hof vor der Schule stattfinden und jede Familie dürfe in diesem Fall zwei bis drei Gäste mitbringen. Und dann kommt dieser Satz: „Damit die Abstände auf dem Schulhof eingehalten werden, liegen Gymnastikreifen auf dem Boden bereit, die den Treffpunkt für eine Familie markieren.“
Wohlgemerkt, wir reden hier über eine Veranstaltung im Freien! Dass die Weitergabe des Virus auf dem Schulhof, sprich unter freiem Himmel, praktisch ausgeschlossen ist, hat sich offensichtlich noch nicht bis nach Franken herumgesprochen. In Zeiten, in denen sich in Fußballstadien und auf Volksfesten Tausende von Menschen tummeln, soll die Begrüßung der neuen Erstklässler auf dem Pausenhof einer Grundschule in Nürnberg ein Problem darstellen?
Man kann nur hoffen, dass das Wetter am Tag der Einschulung auch wirklich mitspielt, denn ansonsten droht weiteres Ungemach. Über den Ablauf der Veranstaltung, falls diese nicht im Freien stattfinden kann, informiert die Schulleitung wie folgt: „Da dann der Raum begrenzt ist, um die Hygienemaßnahmen entsprechend einzuhalten, können nur die Eltern und evtl. kleinere Geschwister teilnehmen. Bitte haben Sie dafür Verständnis. Wir wollen nicht gleich in den ersten Wochen mit coronabedingten Ausfällen konfrontiert sein.“ Für Großeltern, Patenonkel und ältere Geschwister heißt es in diesem Fall: Wir müssen leider draußen bleiben!
Maßnahmen gegen Kinder missachten die Realität
Bemerkenswert: In dem Elternbrief wird zumindest indirekt mit Schulschließungen gedroht, obwohl diese laut überarbeitetem Infektionsschutzgesetz (IfSG) überhaupt nicht mehr vorgesehen sind. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte bei der Debatte über den inzwischen vom Bundestag verabschiedeten Entwurf: „Der enthält keine Lockdowns, keine Betriebsschließungen, keine Schulschließungen, keine Demonstrationsverbote.“ Selbst eine Maskenpflicht soll an Schulen – wenn überhaupt – nur ab der 5. Klasse wieder eingeführt werden können. Warum in dem Elternbrief dann trotzdem mit Schulschließungen kokettiert wird? Das Schicksal von Onoda Hirō ist die wohl einzig plausible Antwort.
Auch regionale Besonderheiten können nicht als Erklärung für die völlig willkürliche Entscheidung des Rektorats herhalten. In Nürnberg liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 207 (Stand: 09.09.2022) und damit noch unter den für Bayern (223,3) und Deutschland (229,5) veröffentlichten Werten. Die Einschulung ist einer der ersten wichtigen Meilensteine im Leben unserer Kinder und sollte ein freudiges Ereignis sein, an dem die ganze Familie teilhaben kann. Man weiß nicht, ob man wütend sein soll auf die Mitglieder der Schulleitung in Nürnberg oder man einfach nur Mitleid mit ihnen haben muss. Womöglich sind sie ja selbst nur Opfer der angstbasierten Corona-Politik der vergangenen Jahre geworden.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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