Chaos in deutschen Krankenhäusern – Probleme mit der Software Die Digitalisierung wird viele Menschenleben fordern

Von Sönke Paulsen

In dieser Betrachtung geht es vordergründig um ein so harmloses Thema wie die elektronische Patientenakte in Krankenhäusern, das es, bei näherer Betrachtung, allerdings in sich hat. Denn womit derzeit Krankenhäuser und Ärzte zu kämpfen haben, sind dysfunktionale Systeme, welche die Patientensicherheit massiv gefährden.

So kommen bundesweit aus Kliniken Beschwerden, dass die klassische Patienten-Kurve, die mit der elektronischen Patientenakte perfekt kompatibel werden soll, häufig abstürzt, viel zu lange Ladezeiten aufweist und in Notfällen nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. Allein dieser Umstand, der neben vielen anderen Kritikpunkten bei der Funktionalität des digitalen Patientensystems steht, birgt vitale Risiken für die Patienten.

Visiten müssen abgebrochen werden, weil das System abgestürzt ist oder nur noch rudimentär funktioniert. In Notfällen stehen dann die aktuellen medizinischen Patientendaten, einschließlich der diagnostischen Ergebnisse und der Medikation, nicht zur Verfügung. Die Patienten müssen, nach Angabe von Krankenhausärzten überall aus dem Bundesgebiet, ohne entsprechende medizinische Informationen durch die akute körperliche Krise gebracht werden. Die Verlegung auf eine Intensivstation ist in einer solchen Situation oft der einzige Ausweg. Diese Fälle haben in diesem Jahr zugenommen, weil Druck von den Kostenträgern, der Politik und folglich den Krankenhausträgern aufgebaut wurde, auf den Stationen im Zweifel auch mit dysfunktionalen digitalen Systemen zu arbeiten.

Risikomanagement wird komplett außer Acht gelassen

Eine große Schweizer Versicherungsgesellschaft schätzt, dass auf dreihundert gerade noch abgewendete Schadensfälle in der Regel ein schwerer Schadensfall kommt. Diese Zahl ist in Kliniken schnell aufgebraucht. Es kann damit gerechnet werden, dass pro Klinik mindestens ein schwerer Schadensfall pro Jahr auf die nicht ausgereifte medizinische Patientensoftware zurückgeführt werden muss.

Bei zweitausend Kliniken, die wir in Deutschland haben, könnte die Zahl von Opfern allein der forcierten Digitalisierung in den Krankenhäusern erreichen, die den Verkehrstoten auf unseren Straßen entspricht. Eine Statistik darüber wird es nicht geben. In der Tat gibt es aber Klagen von verzweifelten Krankenhausärzten, die überlegen, ihren Job hinzuschmeißen, weil sie mit unzuverlässigen digitalen Informationswerkzeugen ausgestattet werden.

Gründe für die Probleme bei der Software sind nicht schwer zu finden. Der Wettbewerb im Feld der Klinischen Informationssysteme (KIS) führt zu immer neuen Lösungen, die angeblich besser, zukunftsfähiger und kompatibler mit Cloud und elektronischem Patientenausweis sind. Dabei ist der entscheidende Anwendungsbereich der Ärzte vor dem Krankenzimmer der Patienten recht uninteressant für die Softwareanbieter. Entscheidend ist, möglichst viele Bereiche im Gesundheitswesen mit der eigenen Software gleichzeitig abzudecken.

Hier hat in Deutschland SAP die Nase vorn, bietet dabei aber nicht das stabilste und gängigste System für die Patientenbetreuung an. Das kommt von AGFA und heißt Orbis. Da es zu wenig lukrativ ist, das System ständig an die Anforderungen der Klinikärzte anzupassen, wird es nun an einen italienischen Investor verkauft. Die Betreuung dieser lebenswichtigen Software steht dann in den Sternen.

Mittelfristig wird SAP mit seinen Cloud-basierten Systemen die meisten Kliniken versorgen, wobei die beherrschende Stellung des Unternehmens gerade bei Klinik-Ketten mehr zählt als die Qualität des klinischen Systems (KIS). Das ist lediglich in den Werbeprospekten von SAP perfekt. Im Krankenhausalltag klagen viele Ärzte über fehlende Anwenderfreundlichkeit, Unzuverlässigkeit und Langsamkeit dieser SAP-Systeme, die ursprünglich vor allem als Systeme der (Finanz-)Verwaltung in den Klinikkonzernen eingezogen sind. Diese Machtposition hat SAP dann genutzt, um auch seine medizinischen Systeme zu verkaufen, mit denen sich Ärzte, Pflegepersonal und Diagnostiker in den Krankenhäusern jetzt herumschlagen müssen. Kritik prallt dabei meist an den Führungsetagen der Kliniken und der Krankenhauskonzerne ab.

Opfer dieses kapitalistischen Wettbewerbes bei der Digitalisierung werden vor allem die Patienten sein!

Bemerkenswert ist, wie wenig vehemente Beschwerden es im Internet über diese desolate Situation der Digitalisierung in deutschen Kliniken gibt. Es scheint ganz so, dass der traditionell hierarchische Klinikbetrieb bis hinauf zur Konzernleitung offene Diskussionen über diese gefährlichen Missstände verhindert.

Es stimmt – auch in Deutschland fängt die Meinungsfreiheit nicht gerade in den Unternehmen an, schon gar nicht bei den Klinikkonzernen.

Merchandising

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“. Hier finden Sie seine Fortsetzungsgeschichte „Angriff auf die Welt“ – der „wahre“ Bond.

Bild: Shutterstock
Text: Gast

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