Die stille Krise der Generation Z – Freiheit versus Konformität Neue Studie deckt alarmierende Realität auf

Von Ekaterina Quehl"

Als Russin, die in den wilden 90ern in St. Petersburg aufgewachsen ist, erinnere ich mich nicht in erster Linie an Essensmarken oder Second-Hand-Kleidung in meinem Schrank, nicht an drastische Inflation oder schlechte medizinische Versorgung. Die stärkste Erinnerung ist vielmehr ein zuvor nie erlebtes Gefühl der Freiheit. Erzogen in der Sowjetunion, waren wir täglich der Indoktrination ausgesetzt. Und plötzlich war sie nicht mehr da. Es war der Moment, als wir realisierten, dass wir von heute auf morgen die Menschen sein durften, die wir wirklich waren. Wir konnten alles sagen, was wir dachten und alles machen, was wir wollten – ohne Angst vor politischer Verfolgung.

Besonders die jungen Menschen konnten furchtlos den neuen Freiheiten begegnen – im Gegensatz zu unseren Eltern und Großeltern, die sich in der neuen, wenn auch chaotischen, freien Welt mit Misstrauen und Vorsicht bewegten – geprägt von jahrzehntelanger Unterdrückung. In uns brodelte der Rebell gegen alles Konventionelle und wir benötigten keine spezielle Erlaubnis, um frei zu sein. Freiheit überkam uns einfach und dieses Gefühl war berauschend. Doch die Erinnerung an das Aufwachsen in einem indoktrinierten Staat ist tief in mir verwurzelt. Sie wirkt wie eine Impfung, sobald ich Tendenzen zur Einschränkung unserer Freiheiten wahrnehme.

Und genau aus diesem Grund horchte ich auf, als ich die Ergebnisse der neuesten repräsentativen Studie „GenZ 2024 – Generation Überdruck“ des Kölner Markt- und Medienforschungsinsitutes Rheingold las. Die Generation Z, oft als ich-fixierte Couch-Potatoes wahrgenommen, die beim bloßen Gedanken an „Vollzeitarbeit“ zusammenbricht, befindet sich laut der Studie in einer ernsthaften Krise. Und zwar nicht wegen der bevorstehenden Klima-Apokalypse oder weil alte weiße Männer versuchen, ihre glitzernde lila Welt zu „zerstören“ und alle dreiundsiebzig Geschlechter – bis auf zwei – abzuschaffen. Nein, die Gen Z hat wirkliche Probleme.

Stephan Grünewald, Psychologe und Leiter der Rheingold-Studie, bei der junge Menschen tiefenpsychologisch interviewt wurden, beschreibt die Sorgen der Generation Z im Kontext globaler Herausforderungen und im persönlichen Alltag. Während die Jugend noch vor kurzem von vagen Ängsten wie der Klimakrise geprägt war, verlagern sich ihre Sorgen nun auf den Alltag: „Wie komme ich mit den steigenden Lebenshaltungskosten klar?“, „Sind die Renten noch sicher?“ oder „Werde ich mir jemals eine Immobilie leisten können?“. Das erschütterndste Ergebnis ist jedoch für mich ein anderes. Mangel an Wohlstand, Wirtschaftskrise und finanzielle Probleme können überwunden werden, wenn man in einer freien Gesellschaft lebt. Wirklich alarmierend sind in meinen Augen Studien-Ergebnisse zur Meinungsfreiheit und zum Diskurs, die zeigen, dass sich junge Menschen nicht mehr frei fühlen und selbst untereinander Angst haben, etwas Falsches zu sagen.

Statt ‚Wir-Gefühl‘ viele isolierte ‚Bubbles‘

Während frühere Generationen klar definierte, unversöhnliche Positionen oder Gruppenidentitäten hatten, fehlt es der heutigen Jugend an einem übergreifenden Gruppengefühl, das Halt und eine gemeinsame Richtung bieten könnte. Die Babyboomer identifizierten sich unter anderem durch Rock ’n‘ Roll und die Hippie-Bewegung, die Generation X trat mit Grunge und Punk hervor, kombiniert mit einer Skepsis gegenüber Institutionen. Und Millennials prägten Pop-Punk und gelebte soziale Gerechtigkeit. Die Gen Z hat dagegen keine übergreifende Jugendbewegung, die sie durch gemeinsame Musik, Mode oder politische Überzeugungen vereint.

Stattdessen gibt es eine Vielzahl von Bubbles, die von eigenen Interessen und Meinungen geprägt sind und in sich geschlossen wirken. Was innerhalb einer Bubble gefeiert wird, kann in einer anderen verspottet werden. Zwar haben Jugendliche das Bedürfnis, zu einer Gruppe zu gehören, sind jedoch mit den vielen Themen, die zu Konflikten führen können, und dem angespannten gesellschaftlichen Klima überfordert. Deshalb verhalten sie sich außerhalb ihrer Blase sehr vorsichtig und zurückhaltend. Der Rückzug in kleine, isolierte Gruppierungen wird verstärkt. Dieses Phänomen führt zu einem Gefühl permanenter Vorsicht und Angst.

Für Grünewald ist das Verschwinden eines generellen „Wir-Gefühls“ und der Rückzug in private Bubbles eine besorgniserregende Entwicklung. Die Jugendlichen sehnen sich eigentlich nach Gemeinschaft und konstruktivem Miteinander, doch die fragmentierte Gesellschaft behindert diese Sehnsucht. Ein Interviewpartner formulierte es treffend: „Wir haben keinen Generationskonflikt, wir haben einen Konflikt in der Generation.“

Das Ende der Rebellion?

In freien Gesellschaften rebellieren junge Menschen gegen alles Konventionelle, sie agieren häufig impulsiv, haben keine Angst, ihre eigenen Fehler zu machen und ihre Meinungen offen zu sagen – ob unter Gleichaltrigen oder Erwachsenen. Die Generation Z wirkt aber verstärkt höflich und kontrolliert. Um Konflikte zu vermeiden, beziehen sie in Gesprächen außerhalb ihrer vertrauten Blase oft keine klaren Positionen. Dies betrifft auch politische Themen. Die Gründe dafür liegen möglicherweise in der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, die die Jugendlichen im politischen Diskurs erleben, so der Studien-Leiter.

Psychische Belastungen und der Wunsch nach Rückzug

Diese Art von Selbstzensur und Zurückhaltung fungiert zwar als Schutzmechanismus, hinterlässt jedoch das Gefühl einer zurückgehaltenen Persönlichkeit mit einer angepassten Haltung. Kein Wunder, dass extreme Vorsicht, ständige Selbstkontrolle und die Notwendigkeit, in sozialen Situationen genau darauf zu achten, was man sagt, nicht ohne psychische Folgen bleiben. Viele junge Menschen erleben starke psychosomatische Symptome wie Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und ein diffuses Gefühl innerer Unruhe. Eine stabile Umgebung, in der sie ohne Sorge einfach nur jung sein können, ist nicht vorhanden.

Als ich einem mir sehr nahestehenden 17-jährigen Mädchen von den Studienergebnissen erzählte und sie speziell zum Thema Meinungsfreiheit fragte, ob sie sich ähnlich fühlt, hat mich ihre Antwort erschüttert. Die Ergebnisse der Studie stehen nicht nur im Einklang mit ihren persönlichen Erfahrungen, sondern offenbaren noch viel mehr. Hier ist ihre Antwort:

„Es ist sehr schwierig. Es gibt tatsächlich sehr viele Bubbles, große und kleine. Nehmen wir beispielsweise die große Bubble die LGBTQ-Community. Bist du gegen diese Bubble, wirst du kritisiert, bist du aber dafür, wird auch kritisiert.

Doch zum echten Problem wird es, wenn man nur bestimmte Sachen von der Bubble unterstützt und andere nicht.

Wenn man beispielsweise sagt: ‚Hey, ich unterstütze schon die LGBTQ-Community, aber manche Dinge gehen mir zu weit. Wenn zum Beispiel Leute sagen, sie wollen sich Körperteile amputieren lassen oder als Tier rumrennen und du das kritisierst, dann heißt es: Wie kannst du gegen sowas sein, entweder ganz oder gar nicht. Sobald du nur gegen eine kleine Sache bei einem bestimmten Thema bist, dann wird es von den anderen so interpretiert, dass du voll dagegen bist. Und dann heißt es, wenn wir bei diesem Beispiel bleiben: Du bist komplett gegen die LGBTQ-Community – was man aber nicht ist. Am Ende sagt man gar nix.“

In einer freien Gesellschaft sollte eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Themen, die sie bewegen, stets möglich sein. Sowohl aus den Studienergebnissen als auch aus der Aussage des Mädchens geht jedoch hervor, dass selbst unter Jugendlichen keine kritische Betrachtung der Themen und kein Diskurs mehr möglich sind. Wenn Themen nur in ihrer Gänze akzeptiert werden dürfen, dann geht es in einer Gesellschaft nicht mehr um die Themen selbst. Ihre Akzeptanz wird dann lediglich zu einem Indikator für die Zugehörigkeit zu den ‚Guten‘, während Ablehnung Anlass für Diffamierung und Ausgrenzung ist. Ist Kritik nicht mehr erwünscht oder gar gefährlich, kann nicht mehr von einer freien Gesellschaft gesprochen werden.

Der russische Schriftsteller und Kriegskorrespondent Wassili Grossman hat in seinem antisowjetischen Roman „Leben und Schicksal“ geschrieben: „Wenn Menschen zwischen Wurst und Freiheit Wurst wählen, dann bekommen sie am Ende weder das eine noch das andere.“ Wenn unsere Jugendlichen Angst haben, sich selbst untereinander frei zu äußern, ist das ein sehr alarmierendes Signal für unsere Gesellschaft. Der Staat züchtet im Grunde eine neue Generation neurotischer Konformisten, die Konflikten ausweicht und sich in den privaten Raum zurückzieht, um sich zu schützen. Existenzsorgen stehen dabei über der Meinungsfreiheit  und das Streben nach dem Erhalt demokratischer Freiheiten bleibt nicht mehr bestehen.

Es ist daher höchste Zeit, sich zu fragen, ob wir bereits die „Wurst statt Freiheit“ gewählt haben, denn die Wahl zwischen materieller Sicherheit und Meinungsfreiheit ist keine Wahl, die der Menschheit einen Fortschritt bringen kann. Wenn wir weiterhin den Dialog und die kritische Auseinandersetzung in unserer Gesellschaft unterdrücken, gefährden wir nicht nur die integralen Werte der Demokratie, sondern auch unsere eigene Menschlichkeit.

“Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd“

sagt ein altes chinesisches Sprichwort. Bei uns ist es wohl eher ein guter Anwalt – und der kostet Geld. Augsburgs CSU-Oberbürgermeisterin Eva Weber hat mich gerade angezeigt, weil ich es gewagt habe, ihre Amtsführung zu kritisieren. Es geht um mehr als nur diesen Fall. Es geht um das Recht, Kritik an den Mächtigen zu üben, ohne kriminalisiert zu werden. Helfen Sie mir, dieses wichtige Recht zu verteidigen! Jeder Beitrag – ob groß oder klein – macht einen Unterschied. Zusammen können wir dafür sorgen, dass unabhängiger Journalismus stark bleibt und nicht verstummt. Unterstützen Sie meine Arbeit:

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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Sie arbeitet für reitschuster.de.

Bild: Shutterstock

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