Durchlesen verboten Geschichten zum Schmunzeln – Mein Krisen-Alternativ-Programm

Hand aufs Herz: Haben Sie es nicht auch satt, ständig negative Nachrichten zu lesen? Bei denen man denkt, es seien „Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus“? Was sie aber leider nicht sind – denn es sind reale Neuigkeiten aus Deutschland. Ich möchte Ihnen ein Kontrastprogramm bieten, aus meiner Zeit in Russland. Zum Entspannen und Schmunzeln. Voilà – eine Geschichte von 2008:

Um ein Haar kommt es zu Handgreiflichkeiten. Vielleicht hat es der Mann im braunen Sakko mit der Beethoven-Frisur und der breiten Whiskey-Fahne auch genau darauf angelegt. Doch statt der Frau in der blauen Uniform, die sich vor ihm in Pose gestellt hat, stürzt sich sein Freund, der neben ihm sitzt, auf ihn: „Wadik, mach keinen Blödsinn, sei jetzt endlich vernünftig.“ Wadik denkt gar nicht daran und stößt seinen Freund zurück. „Ihr könnt mich alle mal.“ Mit der Geduld eines Bettelmönches versucht die Stewardess auf ein Neues ihr Glück: „Bitte, schnallen Sie sich an.“ Wadik ist unerbittlich: „Steig mir auf den Schwanz!“

„Dann werden wir die Polizei holen, der Start wird sich verzögern, und Sie sind dafür verantwortlich und müssen bezahlen, das wird sehr teuer“, sagt die Stewardess. Beim Wort „teuer“ hält Wadik für einen Moment inne in seiner brummelnden Schimpfkanonade. Und siehe da, er lässt sich von seinem Nachbarn und Freund um den Bauch langen und den Gurt einstöpseln. Nicht ohne ihn heftig zu beschimpfen: „Du Hure!“ Kaum hat sich die Stewardess erleichtert umgedreht, schon schließt Wadik seinen Gurt wieder auf – obwohl ihm dieser Akt der Befreiung in seinem Zustand viel Sucharbeit und Tastgefühl abverlangt: „Ihr könnt mich alle mal!“

Geldkoffer, Schönheit und Verbot

Die Szene kurz vor dem Abflug einer Aeroflot-Maschine von Warschau nach Moskau ist wohl der Albtraum für jede Lufthansa-Crew – doch das Aeroflot-Kollektiv bringt er nicht aus der Ruhe. Die Männer und Frauen an Bord sind offenbar an derartige Auftritte gewöhnt. Ganz anders als in Deutschland scheint es in Russland oft, dass Vorschriften und Regeln vor allem dafür da sind, dass man sich nicht an sie hält. „Wenn etwas verboten ist, man es aber trotzdem unbedingt möchte, dann darf man es auch“, besagt ein altes russisches Sprichwort. Und auch der berühmt-berüchtigte russische Witz hat sich das Thema vorgeknüpft: Wie bringt man einen Amerikaner, einen Franzosen und einen Russen dazu, von einer Brücke in den Moskwa-Fluss zu springen? Den Amerikaner, indem man ihm sagt, es sei gerade jemand mit einem Geldkoffer hinuntergefallen; den Franzosen lockt die Auskunft, eine vollbrüstige Schönheit habe sich soeben in die Fluten gestürzt. Der Russe dagegen springt, wenn man ihn mahnt, dass Springen strengstens verboten sei.

Die Realität ist davon gar nicht so weit entfernt. An den Moskauer Borisowskij-Teichen und zahlreichen anderen Pfuhlen und Tümpeln in der Hauptstadt ist das Baden wegen der schlechten Wasserqualität strengstens verboten – und dennoch bekommt man im Sommer oft den Eindruck, sie müssten noch mehr wegen Überfüllung als wegen der Hygiene-Probleme geschlossen werden. Die Höchstgeschwindigkeit in Ortschaften beträgt in Russland 60 Stundenkilometer. Wer sich daran hält, wird wie ein Verkehrshindernis angesehen und kommt im schlimmsten Fall bei der Polizei in den Verdacht, er müsse betrunken sein – denn, so die Logik vieler Ordnungshüter, was könnte er sonst für Gründe haben, sich an die Regeln zu halten?

Warnschilder in der Sauna, dass Aufgüsse verboten sind und auf das Holz ein Handtuch unterzulegen ist, scheinen genau das Gegenteil zu bewirken. Genauso die Tafel mit dem „Springen vom Beckenrand verboten.“ Auch die Bademeister scheinen weniger für die Einhaltung der Regeln zuständig zu sein als für deren Verletzung. Sie schütten schon mal selbst vorschriftswidrig einen Aufguss in den Ofen. Vielleicht ist einfach die Taktik falsch: Um das gewünschte Ziel zu erreichen, müsste man kategorisch verbieten, keine Aufgüsse zu machen, nicht vom Beckenrand zu springen und mit Handtuch zu saunieren. Jedenfalls scheinen Schilder mit der Aufschrift „Zutritt verboten“ wie ein Magnet Besucher anzulocken. Und angeblich tranken die Russen auch nie so viel wie zu Zeiten von Michail Gorbatschows Anti-Alkohol-Kampagne.

Bei Rauchverboten jedenfalls ist es kaum anders. Als ich vergangene Woche in Sankt Petersburg ankam, war zu meinem Entsetzen der gesamte Flughafen zur Nichtraucher-Zone geworden. Das behauptete jedenfalls eine ganze Stafette von entsprechenden Verbotsschildern an den Wänden. Es folgte einer jener Momente, in denen ich verstehe, warum ich dieses Land trotz aller Widrigkeiten des Alltags so liebe: Ich fragte einen der Zollbeamten an der Gepäckausgabe, den ich anhand seiner leicht gelblichen Fingerspitzen als Leidensgenossen ausgemacht habe, mit gequältem Gesichtsausdruck, wo denn ein armer, verfolgter Europäer hier die russische Freiheit in Form von Nikotin kosten dürfe. Der Beamte lächelte verständnisvoll und zeigte auf eine gegenüber liegende Ecke, in der ein Abfalleimer stand: „Gehen Sie dort hin!“ Als ihn verwundert auf die Verbotsschilder ansprechen wollte, fiel er mir gleich ins Wort: „Mach Dir keine Sorgen, ist schon okay.“ Der ganze Abfalleimer war voll von Kippen. Mitten in der Nichtraucher-Zone.

Das Beispiel zeigt: Es wäre geradezu töricht von einem Ausländer, alles in Russland für bare Münze zu nehmen. So streng neuerdings die Registrierungs-Vorschriften für Nicht-Russen sind, so viel Mühe es macht, den vorgeschriebenen amtlichen Stempel zu bekommen – so unnötig ist er. Nie in all den Jahren hat mich jemand danach gefragt. „Strikt vorgeschrieben“ bedeutet in Russland, es könne nichts schaden. „Streng verboten“ heißt, man solle sich nicht unbedingt dabei erwischen lassen. Die Strenge der russischen Gesetze wird durch die Laschheit bei ihrer Ausführung kompensiert, schrieb einst schon Gogol. Und es sind wohl vor allem Deutsche, die sich über die Paragraphen in Russland aufregen. Echte Russen dagegen wissen: Ein Gesetz ist wie ein Pfeiler, besagt der Volksmund: Man kann ihn nicht übersteigen, aber umgehen.

„Ein Deutscher geht davon aus, dass er ein würdiges Leben, Stabilität und Perspektiven hat, wenn er das, was man nicht tun darf, auch wirklich nicht tut“, schreibt der russische Journalist Dmitrij Ljukajtis: „Ein Russe dagegen urteilt zurecht genau umgekehrt – dass er es im Leben nie irgend etwas bringen wird, wenn er nicht Sachen machen wird, die er nicht machen darf.“

Henne oder Ei

Über die Ursachen für das liberale Verhältnis der Russen zu starren Regeln wird viel spekuliert. Die Freiheitsliebe der Menschen zwischen Ostsee und Pazifik sei größer als anderswo, heißt es. Eine andere Erklärung verweist auf die Regelungswut der russischen Bürokratie, die den Menschen schon zu Zarenzeiten gar keine andere Wahl ließ, als sie zu hintergehen. Wobei wohl auch die Beamten ihre guten Gründe hatten, die Regeln zu verschärfen – wussten sie doch, dass sie allenfalls zu einem Bruchteil eingehalten werden. Darüber zu streiten, ob Beamten oder Bürger den Anfang in dieser Eskalations-Spirale machten, ist wohl genauso sinnvoll wie der Disput, ob Henne oder Ei zuerst da waren. Offensichtlich ist dagegen, dass die Sowjetherrschaft mit all ihren Absurditäten die Distanz zwischen Staat und Menschen noch verstärkte und so der Bereitschaft, Regeln und Gesetze einzuhalten, nicht gerade förderlich war.

Viele Russen wie mein Fotograf Igor können denn auch gar nicht verstehen, dass wir Deutsche uns zuweilen strikt an unsere Vorschriften halten. „Ihr klagt, bei uns herrsche keine Demokratie, dabei seid Ihr es doch, die unterdrückt sind, von all den Regeln und Gesetzen, an die Ihr Euch halten müsst wie Sklaven“, meint Igor: „Ich wollte nie in einem Land wohnen, in dem einem ein Polizist den Führerschein wegnimmt, nur weil man mal mit Tempo 100 durch die Stadt fährt.“

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Bilder: Boris Reitschuster

Lust auf mehr Geschichte über Igor und aus Russland? Die gibt es auch als Buch:

Und hier noch mehr:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert