Einstige und neue „Hauptstadt des Sozialismus“? Clan-Mord und Eierwurf auf Bürgermeisterin zum 1. Mai

„Natürlich wissen wir, dass es zu Gewalt kommen kann und höchstwahrscheinlich auch kommen wird“, sagte Berlins SPD-Innensenatorin Spranger im Vorfeld der 1.-Mai-Demos in Berlin dem öffentlich-rechtlichen RBB. Die Polizei verfolge eine Strategie der ausgestreckten Hand, so die Sozialdemokratin, schreite aber „natürlich massiv ein, wenn es zu Ausschreitungen kommen sollte.“ Hier stellt sich die Frage: Warum wurden Corona-Demos immer wieder verboten unter Hinweis darauf, es habe ja in der Vergangenheit Verstöße gegen bestehende Regeln bei ihnen gegeben – während in Berlin bei fast jährlichen Gewaltexzessen eine „Strategie der ausgestreckten Hand“ gilt?

„Seit ich denken kann, brannten in unserem Kreuzberger Kiez pünktlich zum Maiauftakt jedes Jahr Mülltonnen, Autos und manchmal ganze Straßenabschnitte. Egal ob man im ersten oder dritten Stock wohnte, man war nicht vorm Pflaster-Steinschlag sicher“, schreibt die Berlinerin Pauline Schwarz auf TE: „Banken, Supermärkte und alle anderen Läden, die den Tag überleben wollten, verbarrikadierten jedes Jahr ihre Scheiben mit dicken Holzpaletten. Und wer sein Auto nicht wegfuhr, hatte am nächsten Tag im schlechtesten Fall keines mehr.“

Die „Maifestspiele“, wie die gewaltsamen Krawalle oft beschönigend genannt werden, haben eine 35-jährige Geschichte. Die begann, als 1987 ein Straßenfest in Kreuzberg eskalierte und fließend in eine der größten Straßenschlachten Westberlins überging. Damals kam es zu Plünderungen von Geschäften, Autos und ein Supermarkt wurden angezündet. Seither herrschen am 1. Mai in Teilen von Berlin fast bürgerkriegsähnliche Zustände. Teilweise setzte die Polizei auf Deeskalation – was nach Ansicht von Kritikern die Exzesse nur noch befeuerte.

Auf deren Wiederholung setzte die linke Szenen auch in diesem Jahr. Schon seit Wochen wurde virtuell, auf Plakaten und Kundgebungen für den 1. Mai mobilisiert. Man habe, so hieß es, aus der Polizeitaktik vom letzten Jahr gelernt – und wolle es diesmal besser machen. Mit anderen Worten: gewalttätiger. Heute Abend werden wir sehen, ob diese Rechnung der Extremisten aufgeht. Dabei kam es schon am Nachmittag zu Gewalt. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wurde bei der DGB-Demo mit einem Ei beworfen, das sie nur knapp verfehlte. Ausgerechnet in dem Moment, als sie der Polizei für ihren Einsatz dankte. Giffey kommentierte die Attacke wie folgt: „Solche Aktionen sind weder hilfreich noch politisch wertvoll. Sie lenken von dem ab, worum es am heutigen Tag eigentlich geht: Solidarität mit der Ukraine, faire Arbeitsbedingungen und Bezahlung und die gemeinsame Bewältigung der Krisen unserer Zeit.“

Dabei kam es schon in der Nacht auf den 1. Mai in Berlin zu heftiger Gewalt – wenn auch ganz unabhängig vom Demonstrations-Geschehen. Am Tempelhofer Feld wurde ein 25-Jähriger durch eine Messerattacke getötet – direkt auf den Neuköllner Maientagen am Columbiadamm. Nach Informationen der Berliner Zeitung handelt es sich um Mohammed R. – den Bruder des im September 2018 nur einige hundert Meter weiter erschossenen Schwerkriminellen Nidal R. „Das Opfer wird als eine bekannte Clangröße beschrieben“, heißt es in dem Blatt.

Weitaus friedlicher ging es tagsüber in Kreuzberg zu. Dort wurde zwar das Straßenfest „Myfest“ abgesagt. Dafür kam es zu einem spontanen Kiezfest, wie die Berliner Zeitung meldet: „An den Straßen, auf den Gehwegen, vor Kneipen und im Görlitzer Park flanieren und stehen am Nachmittag Tausende überwiegend junge Menschen. An einigen Stellen sind Musikanlagen aufgebaut und es wird getanzt.“

Parallel kam es im Grunewald zu der inzwischen auch fast traditionellen antikapitalistischen Fahrrad-Demo gegen Wohlhabende mit Losungen wie „Wir können uns Reiche nicht mehr leisten“ und „Allen alles!“. Frauke Geldher, so das Pseudonym der Sprecherin der Initiative „Quartiersmanagement Grunewald“, schilderte der Berliner Zeitung Beweggründe für die Aktion: „Armut werde oft zum Thema gemacht, die Skandalisierung des Reichtums aber oft vergessen“, sagt sie. Und weiter: „Wir wollen von oben nach unten umverteilen“, sagt sie.

Irgendwie hat man den Eindruck, dass Berlin, dessen Ostteil einst „Hauptstadt des Sozialismus“ gewesen ist, auch heute noch zumindest in Teilen in dieser Rolle verharrt.

DAVID
Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Bild: Kutsenko Volodymyr/Shutterstock
Text: br

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