EU führt eigene Sanktionen ad absurdum Doppeltes Spiel mit russischem Gas

Von Kai Rebmann

Der Winter kann kommen, die Gasspeicher in Deutschland sind zu 99 Prozent gefüllt. So war und ist es seit Tagen in verschiedenen Gazetten zu lesen. Die Bundesregierung und insbesondere die Grünen wollen diese Leistung als Verdienst von Wirtschaftsminister Robert Habeck gewürdigt wissen. Dem Vizekanzler sei es zu verdanken, so das Argument, dass die Abhängigkeit von Energie aus Russland in den vergangenen Monaten sukzessive verringert werden konnte und im kommenden Winter trotzdem keine Mangellage beim Gas drohe. Die Realität sieht jedoch etwas anders aus. Ohne Gas aus Russland wird es in Deutschland und Europa zumindest mittelfristig nicht gehen. Allen Beteuerungen aus Berlin und Brüssel zum Trotz.

Denn: Während die EU stets betont, dass der Verzicht auf russisches Gas ein wichtiger Baustein der Sanktionen gegen Putin sei, sprechen die nackten Zahlen eine andere Sprache. Von Januar bis Ende September 2022 ging der Import von Erdgas aus Russland in die EU im Vergleich zum Vorjahr zwar tatsächlich um nahezu die Hälfte zurück. Flossen in den ersten drei Quartalen 2021 noch insgesamt 105,7 Milliarden Kubikmeter Erdgas westwärts, so waren es in diesem Jahr nur noch 54,2 Milliarden Kubikmeter. Aber: Die EU unterläuft offenbar ihre eigenen Sanktionen und gleicht das fehlende Gas zumindest zum Teil mit deutlich gestiegenen LNG-Importen aus Russland aus.

Laut offiziellen Zahlen der EU-Kommission wurden seit Jahresbeginn bis Ende September etwa 16,5 Milliarden Kubikmeter LNG (Liquified Natural Gas) auf dem Seeweg aus Russland nach Europa verschifft. Im Vergleichszeitraum aus dem Vorjahr kamen in den Häfen der EU aber nur 11,3 Milliarden Kubikmeter LNG aus Russland an. Dies entspricht einer Steigerung der LNG-Importe um knapp 50 Prozent. Wie ist diese Entwicklung zu erklären? Gibt es etwa gutes Gas und böses Gas?

Russische LNG-Exporte erreichen im Oktober fast Rekordwert

Die Antwort liegt auf der Hand: Je näher der Winter rückt, umso größer wird die Angst vor kalten Wohnungen und Produktionsausfällen in ganzen Industriezweigen – und damit auch die politische wie auch tatsächliche Abhängigkeit von Energie aus Russland. In welcher Form diese daherkommt, ob nun als Erdgas oder LNG, wird den meisten Bürgern und Firmenchefs im Zweifelsfall relativ egal sein. Etwas anders sieht es hingegen bei den politischen Entscheidungsträgern aus. Diese haben ihren Wählern eine Unabhängigkeit von Putin und das Versiegen der Geldströme nach Russland versprochen. Also muss der Schein gewahrt und so getan werden, als könne die Versorgungssicherheit mit dem unsichtbaren Gold auch ganz ohne die zumindest indirekte Finanzierung des Ukraine-Kriegs über die Bühne gehen.

Dabei ist offensichtlich das Gegenteil der Fall. Auch wenn die Gas-Importe aus Russland insgesamt – Erdgas und LNG zusammengerechnet – unter dem Strich spürbar zurückgegangen sind, ist eine Trendwende beim LNG nicht in Sicht. Der Bloomberg-Experte Stephen Stapczynski bescheinigte den russischen LNG-Exporten, im Oktober 2022 „fast einen Rekordwert“ erreicht zu haben. Als wichtigste Zielländer werden Frankreich, Japan und China genannt. Auf Europa bezogen, zählen auch Spanien, Belgien und die Niederlande zu den größten Importeuren der LNG-Lieferungen aus Russland. Stapczynki wertet dies als deutliches Zeichen dafür, dass Länder in aller Welt, insbesondere aber in Europa, auf den letzten Metern sicherstellen wollen, dass sie auch wirklich gut durch den Winter kommen.

Nur Großbritannien mit vollständigem Gas-Embargo gegen Russland

Als einzige westliche Industrienation hat bisher lediglich Großbritannien seit Jahresbeginn keinen einzigen Kubikmeter LNG-Gas aus Russland bezogen. Und dabei wird es auch in Zukunft bleiben. Mit Beginn des Jahres 2023 werden solche Importe aus Russland in dem ehemaligen Mitgliedsstaat der EU auch gesetzlich verboten sein. Wo in Brüssel also nur von Boykotten und Embargos geredet wird, ist London längst zum Handeln übergegangen.

Um es deutlich zu sagen: Es ist zunächst überhaupt nichts Verwerfliches, russisches Gas zu beziehen – in welcher Form auch immer – wenn davon Wohlstand und Versorgungssicherheit in Europa abhängen. Etwas ganz Anderes ist es jedoch, wenn die EU dabei sich selbst und ihren Bürgern in die Tasche lügt. Oder die Politiker in ihren wohlbehüteten Elfenbeintürmen jeden Bezug zur Lebenswirklichkeit verlieren. Erst kürzlich machte sich Olaf Scholz (SPD) beim sogenannten „Kanzlergespräch“ über einen Bürger lustig, der ihm davon berichtet hatte, dass er von einem Elektro- auf einen Gas-Ofen umgerüstet habe.

Der aktuellen Bundesregierung scheint also nicht nur jedes Fingerspitzengefühl zu fehlen. Sie hat allem Anschein nach auch keine nachhaltigen Konzepte in der Schublade, wie eine echte Unabhängigkeit von russischer Energie gelingen kann.

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Dreist: Der Kanzler lacht die Energie-Ängste der Bürger ganz offen aus – Zynismus statt Mitgefühl!

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Shuttserstock

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