Lesen Sie heute Teil 18 von „Putins Demokratur“. Warum ich Buch hier auf meiner Seite veröffentliche, können Sie hier in meiner Einleitung zum ersten Beitrag finden.
William F. Browder hat ein Problem. Weltweit lobte der Mittvierziger mit dem graumelierten Resthaar und einem Dauerlächeln wie aus der Zahnpasta-Reklame jahrelang den russischen Präsidenten Putin. Inzwischen ist er zu einem der wichtigsten Staatsfeinde geworden; fünfmal versucht
Moskau ihn im Ausland festnehmen zu lassen – doch Interpol wies alle entsprechenden Anträge zurück. Das Schicksal hat dem millionenschweren Geschäftsmann nämlich einen bösen Streich gespielt. Genauer gesagt waren es wohl einige Apparatschiks mit besten Kontakten, die schuld sind an seiner Misere.
Dabei war Browder immer brav und pflichttreu. Zumindest blieb er immer in dem engen Rahmen, der freien Meinungsäußerungen heute in Russland gesteckt ist. Moskauer Oppositionspolitiker nennen den biederen Mann scherzhaft »wandelnde PR-Agentur des Kreml«. Tatsächlich nimmt der Gründer des Hedge-Fonds Hermitage Capital Management, der in Russland ein gewaltiges Vermögen gemacht hat, kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, Misswirtschaft und Korruption im Beamtenapparat und in Staatsunternehmen anzuprangern. Aber ganz nach dem alten russischen Motto, dass die Apparatschiks böse, der Zar aber gut ist, fand der einstige Wallstreet-Broker mit dem gepflegten Äußeren und der randlosen Brille stets lobende Worte für den Präsidenten: »Putin schützt als Einziger die Rechte der Aktionäre«, beteuerte der größte ausländische Finanzinvestor in Russland etwa auf dem Höhepunkt der Yukos-Affäre im Oktober 2004: Die Oligarchen seien jetzt alle brav wie Hunde und akzeptierten, dass die Regierung und nicht sie den Ton angeben.
Browder ist durch und durch Optimist. Er muss es auch sein: Sein Fonds hat 4 Milliarden Dollar in Russland investiert – und der Erfolg seines Geschäfts steht und fällt mit dem Ansehen Putins. Eine pessimistische Einschätzung wäre schlecht fürs Geschäft. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos griff Browder 2005 denn auch die westlichen Medien an. Zu schlecht seien die Berichte über Russland, bemängelte Browder: »Der Westen nimmt immer das Schlechteste an, wenn es um Russland geht.« Die Yukos-Zerschlagung, so beteuerte er, werde nicht zu einer Welle von Verstaatlichungen führen.
Browder mag dies durchaus ehrlich meinen. Dank seines riesigen Vermögens kann er sicher die eine oder andere Unannehmlichkeit des russischen Alltags mit Dollars und Personal wettmachen; er wird auch kaum in einer Warteschlange stehen müssen.
Ohne eine solche Spezialbehandlung würde es nur halb so viel Spaß machen, die Wochenenden hoch über den Wolken zwischen Moskau und London in den blauen, breiten Sesseln der AeroflotBusiness-Class anzufangen und zu beenden.
Die Strapazen der Wochenendtrips ist Browder nun los. Guter Dinge und ohne Böses zu ahnen, drückt er am 13. November 2005 nach seiner Ankunft am Moskauer Flughafen Scheremetjewo der Stewardess seinen Reisepass in die Hand und wartet auf seinen Einreisestempel – vergeblich. Ein Grenzbeamter eröffnet dem verdutzten Manager schließlich, dass er die VIP-Lounge nicht in Richtung Stadtausgang, sondern in Richtung Flugsteig zu verlassen habe: Er muss sich in den nächsten Flieger zurück nach London setzen. William F. Browder, »Mr. Russia«, wie man ihn in London nennt, ist zur unerwünschten Person in Russland erklärt worden. Zum nationalen Sicherheitsrisiko. Buchstäblich über Nacht. Ohne Vorwarnung.
Was ist geschehen? Warum ausgerechnet er? Browder hat nicht etwa seinen kremlfreundlichen Kurs gewechselt, von kritischen Aussagen über Putin oder krummen Geschäften ist nichts bekannt. Statt vom 18. Stock des Moskauer Pawelezki-Towers am Gartenring die Aussicht auf die Dächer der russischen Hauptstadt zu genießen, blickt Browder nun von seinem Schreibtisch aus auf die Rückfassaden am Covent Garden Market. Im Gespräch mit Journalisten zeigt er sich mit einem Mal ängstlich und bittet wiederholt: »Schreiben Sie das auf keinen Fall.« Seine Kunden verstehen nicht, was passiert ist, und Browder kann es sich offenbar selbst nicht so recht erklären. Nur wenige der 6 000 Anleger seien nervös geworden und hätten ihr Geld bislang zurückgefordert, beteuert er.
Eine nachvollziehbare Begründung für das Einreiseverbot gab es damals nicht. Zwischenzeitlich avancierte Browder jedoch zu einem der lautstärksten Kritiker des Systems Putin. Der Wendepunkt war der Tod seines Vertrauten, des Anwalts Sergej Magnitski, in einem Moskauer Gefängnis im November 2009. Magnitski war umfassendem Steuerbetrug durch Offizielle auf die Spur gekommen – doch statt der Tatverdächtigen geriet er ins Visier der Justiz. Nach Überzeugung Browders wurde er im Gefängnis de facto umgebracht. Browder ist eine der treibenden Kräfte hinter dem so genannten Magnitski-Gesetz. Das verbietet russischen Offiziellen, die in den Fall Magnitski und andere Verbrechen involviert sind, unter anderem die Einreise in die USA und blockiert ihr Vermögen dort. Die offizielle Begründung für das Einreiseverbot von 2005 – dass Browder eine Gefahr für die nationale Sicherheit sein soll, klang abwegig. Eine Gefahr war der amerikanische Investor damals dagegen sehr wohl für viele zweifelhafte Wirtschaftsmänner und Apparatschiks, denen er als Aktionär auf die Finger klopfte. So sind seine Attacken wegen angeblicher Vetternwirtschaft und Korruption beim Gazprom-Konzern legendär. In Moskau wird denn auch darüber spekuliert, dass Mitarbeiter von Gazprom bei dem Einreiseverbot ihre Finger im Spiel haben könnten.
Noch im April 2006, nach fast einem halben Jahr Einreiseverbot, zeigte Browder sich in einem Interview mit der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti, das in Russland groß verbreitet wird, weiter als Anhänger von Präsident Putins Kurs und lobt die Entwicklung in Russland.
Die Browder-Affäre ist auf bizarre Weise typisch für das heutige Russland, für die Risiken, die ausländischen Investoren drohen. Trotz seiner Lobeshymnen auf den Präsidenten sieht sich der Amerikaner plötzlich der Willkür der Bürokratur ausgesetzt. Er, der den autoritären Staat als Garant gegen eine Mafia-Herrschaft lobte, wurde allem Anschein nach selbst Opfer mafiöser Machenschaften. Ohne sich wehren zu können, ohne dass ihm Gründe genannt werden, ohne mit Aussicht auf ein faires Verfahren vor Gericht ziehen zu können, wird Browder ein für ihn existenzielles Recht verweigert: die Einreise in das Land, in dem er der größte ausländische Investor ist. Und sein Vertrauter Magnitski wurde Opfer des Systems.
Der Fall Browder – den dieser inzwischen eindrucksvoll in seinem Buch »Red Notice – wie ich Putins Staatsfeind Nr. 1 wurde« beschrieb, ist ein tragisches Lehrstück. Es zeigt, dass in einem System, in dem statt Recht und Gesetz Beziehungen und Protektion ausschlaggebend sind, auch lautstark demonstrierte Loyalität – und selbst das Wohlwollen des Staatschefs keine Garantie gegen Unrecht und Willkür ist.
Recht und Gesetz sind nicht nur ein Steckenpferd von Menschenrechtlern. Sie sind eine elementare Voraussetzung für eine normale wirtschaftliche Entwicklung. Nur Blauäugige können erwarten, dass Russland in absehbarer Zeit zu einem Rechtsstaat nach westlichem Vorbild wird. Noch viel blauäugiger wäre es allerdings, das horrende Ausmaß an Willkür, Korruption und Rechtlosigkeit als zwangsläufiges Erbe der Sowjetunion hinzunehmen. Eben weil unter Wladimir Putin die Presse gleichgeschaltet wurde, weil in Fällen wie dem von Browder kaum jemand fürchten muss, dass der Vorfall innerhalb Russlands publik wird und die Beteiligten in Erklärungsnöte bringt, ist der Nährboden für Rechtsverstöße durch die Behörden heute ideal.
Vor seiner Ausweisung hatte Browder gesagt, Russland habe nur zwei Möglichkeiten, »eine autoritäre Herrschaft des Präsidenten oder ein Leben nach den Gesetzen der Mafia«. Eine Argumentation, die immer wieder von Anhängern Putins zu hören ist. Und die in die Irre führt. Gewiss brauchte Russland nach dem Chaos der Jelzin-Zeit mit ihren Zerfallserscheinungen einen Staat mit starker Autorität. Deshalb konnte man anfangs durchaus Verständnis für Putins Daumenschrauben haben. Doch inzwischen wird klar, dass die Entwicklung weniger auf einen Staat mit Autorität hinausläuft als auf einen autoritären Staat. Und genau hier liegt das Problem in Browders Argumentation. Er verdreht die Begriffe und verharmlost die Realität. Hinter seiner These steht die Auffassung, dass Russland unreif sei für die Freiheit. Und es wäre tatsächlich sträflich naiv, von Russland westliche Demokratie-Maßstäbe zu erwarten. Aber ebenso zynisch ist es, dies als Vorwand zu nehmen, um die autoritären Auswüchse im heutigen Russland zu rechtfertigen – und sie gar als Kampf gegen die Mafia zu adeln. Wie Medienmanipulation, die Unterdrückung von Kritik und öffentlichen Debatten, das Mundtotmachen der Opposition und die Beendigung jeglicher Gewaltenteilung dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen dienen sollen, ist schleierhaft.
Genau das Gegenteil ist der Fall: Alle, die dunkle Geschäfte betreiben, müssen das Licht der Öffentlichkeit fürchten.
[Title Text=“Investoren als Leckerbissen“ Link=““ Link_Text=““]»Die russische Investmentstory basiert auf der Annahme, dass sich das meiste Geld dann verdienen lässt, wenn sich die Dinge vom Schrecklichen zum Schlechten verbessern. Diese Veränderung findet in Russland statt, und die Wertentwicklung des Fonds zeugt davon«, schreibt Willküropfer Browder in einem Brief an seine Investoren. Browder hat sicher Recht, dass der russische Markt viele Chancen bietet. Dabei ist Deutschland als Markt für Russland viel wichtiger als umgekehrt. Gerade für Deutschland ist dieser Markt enorm wichtig. Angaben des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft zufolge ist die Bundesrepublik Deutschland für Moskau der wichtigste Außenhandelspartner, mit einem Anteil von 10 Prozent. Der Handelsumsatz lag im Jahr 2005 bei 47 Milliarden Euro, rund ein Viertel mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig wuchsen die deutschen Exporte von 12 auf 15 Milliarden Euro; mit einem Anteil von gut zwei Prozent an allen deutschen Exporten kam Russland damit nicht mal unter die Top ten der wichtigsten Ausfuhrländer, sondern hinter Polen, China und Tschechien nur auf Platz 13; bei den Einfuhren belegte Russland Platz 10. Während die Bundesrepublik in erster Linie Öl und Gas aus Russland bezieht, passieren in der anderen Richtung vor allem Autos, Chemie-Erzeugnisse, Maschinen und Anlagen die Grenze. Die Ausfuhren dürften weiter zunehmen, da der Konsum in Russland rasant wächst.
Der Einzelhandel weist zweistellige Zuwachsraten auf, wovon die deutsche Konkurrenz nur träumen kann – weshalb zahlreiche deutsche Einzelhandelsketten den Weg nach Moskau gefunden haben. Das Konsumwachstum ist zum einen auf steigende Einkommen zurückzuführen, aber auch auf andere, sehr spezifische Faktoren: etwa, dass Geldanlagen in Russland noch relativ unüblich sind – vor allem, weil die Menschen nach diversen Krisen kein Vertrauen in Banken und Aktien haben. Zum anderen besteht bei vielen Russen immer noch ein großer Nachholbedarf in Sachen
Konsum, und seit kurzer Zeit gibt es die Möglichkeit, ihn durch Verbraucherkredite zu befriedigen.
Ohne Zweifel hat sich die wirtschaftliche Lage für die Mehrzahl der Menschen seit dem Amtsantritt von Wladimir Putin gebessert. Dies ist sicher neben der Medienmanipulation einer der wesentlichen Faktoren für die große Unterstützung, die der Präsident genießt – gerade wenn man bedenkt, dass unter Boris Jelzin monatelange Verzögerungen der Lohnzahlungen noch durchaus üblich waren. Die real verfügbaren Einkommen sind in den vergangenen Jahren um 50 Prozent gestiegen. Vor allem in den Großstädten, wo rund zwei Drittel der Russen leben, ist eine halbwegs kaufkräftige Mittelschicht entstanden. Die soziale Schere geht dabei jedoch sehr weit auseinander. 2005 lebten 15,8 Prozent der Russen unter der Armutsgrenze. Auf dem Dorf liegt das Durchschnittseinkommen bei 130 Dollar und die Arbeitslosigkeit bei 32 Prozent; unter der Armutsgrenze lebt hier jeder Zweite. Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung verdienen 20bis 25-mal so viel wie die 10 Prozent der Ärmsten. In westlichen Industrieländern liegt dieser Faktor nur beim Fünfbis Achtfachen.
In Moskau ist der Durchschnittslohn mit 800 Dollar im Monat mehr als doppelt so hoch wie im landesweiten Schnitt. Dafür kostet beispielsweise eine Ein-Zimmer-Wohnung am Stadtrand auf dem freien Mietmarkt in der Regel mindestens 400 Dollar Miete.
Die Chancen des russischen Marktes nicht zu nutzen, wäre sicher ein Fehler. Wirtschaftsberater und Verbände, die natürlich auch ihre eigenen Interessen haben, rühren kräftig die Werbetrommel. Zu Recht verweisen sie auf positive Faktoren wie die steigenden Löhne, die sinkende Arbeitslosigkeit, die Senkung der Staatsschulden und die Umstrukturierung des Rentensystems. Unternehmer, die bereits in Russland investierten, beurteilten die Bedingungen dort deutlich positiver als solche, die noch keine Erfahrungen aus dem Land haben, berichtet die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young: Die rechtlichen Rahmenbedingungen, Infrastruktur und Kaufkraft würden von den Investoren immerhin als befriedigend bezeichnet; bei den Themen Lohnkosten, Ausbildungsniveau der Mitarbeiter und zukünftige Absatzmöglichkeiten erhalte Russland gute Noten. »Der russische Markt ist für deutsche Unternehmen der interessanteste Markt in Osteuropa und hat ein enormes Wachstumspotenzial«, meint Günter Spielmann, Partner bei Ernst & Young. »Dennoch schrecken viele deutsche Unternehmen vor einem Markteintritt in Russland zurück – zu negativ ist das Image angesichts häufiger Medienberichte über Kriminalität, Korruption und Terrorismus.«
Bei den Direktinvestitionen in Russland lag Deutschland 2004 hinter Zypern, von wo russisches Fluchtkapital in die Heimat zurückfließt, hinter den Niederlanden und den USA. Unternehmer aus der Bundesrepublik scheuen die Risiken, zumal auch die Gehälter etwa für Fachkräfte in Moskau inzwischen deutsches Niveau erreicht haben oder noch darüber liegen. Und natürlich hat der Fall Yukos ausländische Investoren verunsichert. Doch auch Eigentümern kleinerer Unternehmen droht Ungemach, wie Wirtschaftsminister German Gref berichtet: Miliz und Staatsanwaltschaft »erpressen die Eigentümer und die Manager von Unternehmen«. Sobald ein »Leckerbissen« auf dem Markt auszumachen sei, träten oft Beamte selbst als »Räuber« auf und würden bei der Enteignung helfen. »Hunderte Millionen und Milliarden Dollar werden vor unseren Augen geklaut«, klagt Gref, inzwischen Chef der Sberbank. Wie ein Politiker ein derart vernichtendes Urteil fällen kann über einen Bereich, für den er zum Zeitpunkt seiner Aussage seit sechs Jahren als Minister politische Verantwortung trägt, ist nur mit den legendären Zeilen des Dichters Fjodor Tjutschew aus dem Jahr 1866 zu erklären: »Mit dem Verstand ist Russland nicht zu begreifen, mit gewöhnlichen Maßstäben nicht zu messen, es hat ein besonderes Wesen, man kann an Russland nur glauben.«
Nicht verstehen konnten auch die Manager der amerikanischen Firma Motorola, was ihnen widerfuhr. Im März 2005 beschlagnahmt der Zoll am Moskauer Flughafen 167 500 Motorola-Handys im Wert von 19 Millionen Dollar mit der Begründung, die Firma habe den Einfuhrzoll nicht bezahlt. Motorola legt Zahlungsbelege vor. Daraufhin erklärt der Zoll, die Handys würden die Strahlenrichtwerte überschreiten. Motorola legt Gutachten vor, die diese Behauptung widerlegen. Daraufhin erstattet eine ominöse Moskauer Firma Anzeige mit der Begründung, Motorola verletze das Patentrecht. Der amerikanische Handyhersteller bekommt seine Telefone vom russischen Zoll nie zurück; dafür tauchen sie auf dem Moskauer Schwarzmarkt auf. Die illegale, billige Konkurrenz macht dem russischen Handelspartner von Motorola, der Firma Euroset, schwer zu schaffen. Euroset beziffert den Gesamtverlust durch »staatlich gedeckte Diebstähle« allein für das Jahr 2005 auf 200 Millionen Dollar.
Vorfälle wie dieser zeigen: So falsch es für Investoren wäre, die Chancen auf dem russischen Markt zu verschlafen, so gefährlich ist es, sich blauäugig ins Abenteuer zu stürzen. Dass unzählige Firmen Millionen an Lehrgeld bezahlen mussten, liegt nicht zuletzt auch an der schlechten Beratung von Wirtschaftsverbänden. Eric Kraus, Chefstratege beim Moskauer Investmenthaus Sovlink, wirft westlichen Medien »einseitige und oberflächliche Berichterstattung« vor und sagt, dass Russland »langsam ein normales Land« werde: »Unter der Putin-Verwaltung vollzog der Staat Riesenschritte in Richtung der Schweiz.«
Viele westliche Investoren weigern sich hartnäckig und aus »politischer Korrektheit«, mentale Unterschiede zwischen Russen und Deutschen wahrzunehmen. Unter ausländischen Geschäftsleuten in Russland ist gelegentlich das Gutsherren-Syndrom zu beobachten: Hofiert von den an strenge Hierarchien gewohnten russischen Untergebenen, verlieren sie die Bodenhaftung. Gleichzeitig wagen es die russischen Angestellten oft nicht, von Vorgaben aus Deutschland abzuweichen – auch wenn diese für Russland völlig unangebracht sind. »Man hält sich oft sklavisch an jede Direktive aus der Zentrale, aus Angst, die gut bezahlte Stellung zu verlieren, und ist deshalb nicht konkurrenzfähig«, berichtet ein deutscher Geschäftsmann in Moskau über die folgenschweren Mentalitätsunterschiede. »Wenn das Russland-Engagement erfolglos bleibt, heißt es dann, daran sei die Mafia, die russische Bürokratie, die mangelnde Kaufkraft, Zahlungsmoral, der nicht entwickelte Markt und dergleichen schuld. Dabei ist man zu unbeweglich, um sich anzupassen. Die Vorstände in Deutschland können die Angaben nicht prüfen und gewähren einen Mitleidsbonus. Angloamerikaner und Chinesen lachen sich ins Fäustchen und verleiben sich die einstmals dominierenden Marktanteile der deutschen Firmen ein.«
Zu wenige Unternehmen schickten erfahrene Fachkräfte nach Russland, klagt auch der deutsche Klimaexperte Tobias Koch, der sich nach »entnervenden Erfahrungen mit Inkompetenz auf deutscher und russischer Seite« aus dem Russland-Geschäft zurückzog: »Bei vielen Unternehmen ist Russland entweder das Abstellgleis für Versager oder der Übungsplatz für völlig überforderte Nachwuchskräfte, es gibt zu viele Spesenritter.« Koch berichtet etwa von einem deutschen Energiekonzern, der in den neunziger Jahren mit einem Heizkosten-Abrechnungssystem in Russland groß ins Geschäft kommen wollte. Riesensummen wurden in eine Niederlassung, in Büros und Wohnungen für Mitarbeiter investiert, dabei aber die lokalen Gegebenheiten völlig falsch eingeschätzt. Die Firma wollte zuerst Geld sehen und danach die Energiespar-Technik einbauen – die klamme Stadtverwaltung hätte aber erst zahlen können, wenn sie dank der neuen Technik entsprechend Energiekosten gespart hätte. Die Niederlassung produzierte nichts als Verluste.
Ein bekannter deutscher Elektronikkonzern verkaufte Koch zufolge in Russland die wohl billigsten Waschmaschinen seiner Konzerngeschichte: Parallel zum Aufbau eines Vertriebsnetzes bezog das deutsche Unternehmen Stahlblech aus einem Werk im Ural und ging auf die Bitte der russischen Partner ein, wegen der Inflation und Problemen bei Überweisungen mit Waschmaschinen zu bezahlen. Allerdings machte die deutsche Konzernzentrale die Rechnung ohne die örtlichen Besonderheiten. Die Firmenleitung zahlte den Mitarbeitern einen Abschlag und verfrachtete die Waschmaschinen im großen Stil nach Moskau, wo das Überangebot die Preise kaputt machte und damit die Händler des Unternehmens, die viel Geld in den Vertrieb der Maschinen investiert hatten, in enorme Probleme stürzte, weil plötzlich niemand mehr zu offiziellen Preisen kaufen wollte. Auf Werbung wiederum glaubte der frisch angeheuerte Leiter der Werbeabteilung des Unternehmens verzichten zu können: »Wir brauchen das nicht, jeder kennt die Firma in Russland.«
Alle nur möglichen »Anstrengungen« unternahm das gleiche Unternehmen, so Koch, als die Stadt Moskau der Firma ohne Ausschreibung einen Großauftrag bei der Errichtung des unterirdischen Einkaufszentrums »Manege« erteilen wollte. Zuerst zeigte der Niederlassungsleiter den Russen die kalte Schulter mit dem Hinweis, er sei nur für bestehende Verträge, nicht aber für das Akquirieren neuer Aufträge zuständig. Sodann war die Vertretung einen Monat lang unfähig, ein Fax mit einem Angebot an die zuständige Behörde zu schicken, die nur zehn Gehminuten entfernt liegt.
Der Auftrag mit einem Volumen von insgesamt 10 bis 20 Millionen Dollar ging schließlich an eine US-Firma. »Die lachten sich die Hucke voll über die Deutschen«, berichtet Koch. Ebenso hätten es deutsche Energiekonzerne trotz eindringlicher Bitten von russischer Seite versäumt, nach dem Kioto-Protokoll rechtzeitig ins Emissionshandelsgeschäft mit Russland einzusteigen. Auf eine Initiative des russischen Unternehmerverbands und des Förderationsrates hin, die später von Bundeskanzler Schröder weitgehend abgeschriebenen Altschulden Moskaus bei der DDR gegen Emissionsrechte aufzurechnen, sei nicht einmal eine Antwort erfolgt, klagt Koch: »Dabei hätte man so mehrere Milliarden retten können und Russland zwei Jahre früher ohne weitere Zugeständnisse zur Ratifizierung des Kioto-Klimaschutzabkommens gebracht.«
Folgenschwere Fehlgriffe leisten sich westliche Investoren oft auch im Umgang mit den Steuerbehörden. Namhafte westliche Beratungsfirmen raten ihren Kunden bei kleinen Unstimmigkeiten allen Ernstes, sie sollten gegen das Finanzamt klagen statt der zuständigen Beamtin einen Blumenstrauß zukommen zu lassen – eine Todsünde in Russland und der beste Weg, sich das Leben zu vergällen und den Beamtenapparat gegen sich aufzubringen. Wer unnötige Scherereien vermeiden will, tut zudem gut daran, sich russische Partner zu suchen, die über die obligatorischen Kontakte zu den Behörden verfügen. Für solche Dienste hat im Russischen das neutrale Wort »Dach« längst den unschönen Begriff Schutzgelderpressung abgelöst. Bezahlt wird offiziell und mit Rechnung, streng gemäß Vertrag mit der »Sicherheitsfirma«. Viele dieser »Firmen« haben wiederum beste Kontakte zu Geheimdienst und Miliz. Solche Kontakte bergen indes Risiken, weil in der Firma nichts mehr geheim bleibt und die Sicherheitsleute durchaus ihre eigenen Interessen verfolgen, bei steigenden Gewinnen einen größeren Anteil fordern oder im schlimmsten Fall vielleicht sogar versuchen, die Firma zu übernehmen, wie selbst Wirtschaftsminister Gref eingesteht. Mehrere deutsche Investoren fanden sich in der unschönen Situation wieder, dass ihnen ihr eigener Betrieb über Nacht nicht mehr gehörte. Bestechliche Richter sind in diesem Zusammenhang ein erhebliches Investitionsrisiko.
Wer als ausländischer Investor sein Glück ohne »Dach« versucht, dem drohen ganz andere Gefahren, wie ein großer deutscher Versicherungskonzern feststellen musste, als er ein russisches Unternehmen übernahm: Ein aus Deutschland entsandter Mitarbeiter entwickelte allzu viel Interesse für undurchsichtige Geschäftsvorgänge. Wenig später prügelten ihn Unbekannte in seinem Hausaufgang halb tot. Wie im politischen Leben ist auch in der Wirtschaftswelt Gewalt bis hin zum Mord immer noch ein gängiges Mittel der Konfliktbewältigung. Mancher Geschäftsmann glaubt, dass er sein Recht billiger bekommt, wenn er einen Rivalen niederstechen lässt, als wenn er den Richter besticht.
Wer als Unternehmer in der Hauptstadt Erfolg haben will, ist darauf angewiesen, dass der Kontakt zur Stadtverwaltung wie geschmiert läuft. Viele Russen haben nichts daran auszusetzen, dass es die Frau des Stadtoberhauptes als Bauunternehmerin laut Forbes zur Dollar-Milliardärin brachte. Auch in anderen Wirtschaftszweigen fällt auf, dass Freunde und Verwandte von hohen Beamten in lukrativen Wirtschaftszweigen an vorderster Front sitzen und astronomische Summen verdienen. Wer nicht zur »Familie« gehört, tut sich schwerer: Ein Manager des schwedischen IKEAKonzerns etwa klagte, die Stadt Moskau habe die Eröffnung einer Filiale davon abhängig gemacht, dass die Schweden ein Aktienpaket abträten, eine Vertrauensperson der Stadtverwaltung in die Führungsetage aufnähmen und Zugriff auf die Geldströme gewährten. Die Möbelhäuser entstanden aus diesem Grund außerhalb der Stadtgrenzen.
Die Fortsetzung finden Sie in Kürze hier auf meiner Seite: Exportschlager Mafia.
Den siebzehnten Teil – Putins Politbüro am See – finden Sie hier.
Den sechzehnten Teil – Albtraum im Käfig – finden Sie hier.
Den fünfzehnten Teil – „Call-Girls“ gegen Yukos – lesen Sie hier.
Den vierzehnten Teil – die Diktatur der Apparatschiks – lesen Sie hier.
Den dreizeiten Teil – Feinde und Verräter – lesen Sie hier.
Den zwölften Teil Schweinwelt auf der Mattscheibe finden Sie hier.
Den zehnten Teil Zynismus statt Marxismus und den elften Teil Gerdshow auf Russisch finden Sie hier.
Den neunten Teil – Farce statt Wahlen – finden Sie hier.
Den achten Teil – Spiel ohne Regeln – finden Sie hier.
Den vorherigen, siebten Teil – Militarisierung der Macht – finden Sie hier (Teil 2).
Den sechsten Teil – Militarisierung der Macht – finden Sie hier (Teil 1).
Den fünften Teil – Putins bombiger Auftakt – finden Sie hier.
Den vierten Teil – Die Herrschaft der Exkremente – finden Sie hier.
Den dritten Teil – Mit Stalin in die Zukunft – die verratene Revolution – finden Sie hier.
Den zweiten Teil – „Der Gas-Schock – Moskaus Warnschuss“ – finden Sie hier.
Den ersten Text der Buchveröffentlichung finden Sie hier.
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Bild: uilyam-brauder.wikirap.ru