Ein Gastbeitrag von Sönke Paulsen
Wie wir alle zu Kindern werden
Plakate, auf denen uns nicht nur die Verhaltensregeln angesichts der Pandemie nahegebracht werden sollen, sondern gleich die richtige Einstellung zu den Maßnahmen der Regierung, gibt es in Berlin genug.
Aber was ist die richtige Einstellung?
Klar, #wirbleibenzuhause, natürlich. Das wird einem ja überall nahegelegt, auch wenn es nicht stimmt. Wir gehen nämlich noch arbeiten. Da kommt es schon etwas seltsam, wenn bekannte Persönlichkeiten immer noch den BiBaButzelmann (Ich bin ein BibaButzelmann und geh im Kreis herum, Fidebum!) machen und die Hände über dem Kopf zu einem Dach formen. Die bleiben nämlich auch nicht zu Hause.
Über Weihnachten sollten wir unsere Liebe zu unseren Angehörigen zeigen, indem wird sie meiden, damit sie kein Corona kriegen. Aber was macht dann Oma zu Hause so allein? Das haben sich auch Merkel und die Ministerpräsidenten wohl gedacht und Familienzusammenkünfte erlaubt und zwar in einer Zahl, die grundsätzlich immer Oma dabei sein lässt.
Ein menschlicher Akt, möchte man meinen, der aber durch die Neujahrsansprache der Kanzlerin, die sich über die Uneinsichtigen beschwerte, gleich wieder entwertet wurde und nun auch noch (trotz rückläufiger Zahlen) nachträglich bestraft wird. Die Leute waren nämlich am Neujahrstag einfach alle in den Schnee gefahren (jeder dachte, er ist der einzige) und das muss nun mit einer fünfzehn Kilometer langen Leine bestraft werden, die in Risikogebieten hinten an der Stoßstange festgebunden wird. Das andere Ende kommt an die Haustür. Wer zu weit fährt, dem reißt es die Haustür weg und dann wird’s drinnen kalt.
Aber das wollen wir doch nicht! Wir wollen es doch warm haben, warm und lieb, weil wir alle so bedürftig sind.
Ich habe noch nie eine Zeit erlebt, in der so dermaßen beknackt jeder für alle gesprochen hat und behauptete, dass wir alle gemeinsam gegen Corona kämpfen müssen. Eigentlich ist doch das Gegenteil der Fall. Wir sollen alle möglichst allein bleiben!
Auch Sex ist nicht mehr erwünscht („Ruhig bleiben und Dildos benutzen“) und die Hochzeit soll möglichst verschoben werden („Change the date!“).
Bei all diesen Frechheiten, die ja nicht nur gegen unsere Individualität gerichtet sind, sondern auch gegen unsere erwachsene Persönlichkeit, die zu eigenen Einschätzungen des Lebensrisikos in der Lage ist, werden wir natürlich geduzt.
Psychologisch betrachtet wird gerade eine ganze Gesellschaft in die Regression geschickt. Das bedeutet, dass wir alle zu Kindern heruntergestuft werden, denen man umständlich erklären muss, dass Mama sie auch noch lieb hat, wenn sie ihnen keinen feuchten Schmatzer mehr auf die Wange drückt.
Wie unwürdig!
Man könnte es dabei belassen und den Artikel hier beenden, wenn die anderen Folgen psychischer Regressionen nicht so gravierend und zerstörerisch auf die Psyche wirken würden.
Da ist in allererster Linie die Ohnmacht, die Hauptfaktor für depressive Entwicklungen ist. Genau aus diesem Grund gibt es den therapeutischen Ansatz der Ermächtigung (Empowerment) psychisch Kranker in vielen Therapien.
Derzeit werden wir von Regierungen, die sich selbst in nie dagewesener Weise ermächtigen, über Bürger zu bestimmen, in die Ohnmacht geschickt (weil wir keine braven Kinder waren und einfach in den Schnee gefahren sind oder uns zu oft anstecken). Eine über-protektive Mutter, namens Merkel, (was sie wirklich denkt, habe ich mal in meinem Blog vermutet) will doch einfach nur, dass wir nicht krank werden und denkt sich zusammen mit ihren politischen Beratern, die auf dünnem wissenschaftlichen Eis wandeln, immer neue Infektionswege aus, die blockiert werden müssen.
Damit kommen wir zum zweiten schädlichen Merkmal der Regression. Wir werden entmächtigt und zugleich beschwichtigt (bleibt zu Hause, dann werdet ihr von allen geliebt oder geht auf die Straße, dann seid ihr böse). Eingesperrt aus „Liebe“. Das typische Merkmal überbehüteter Kinder, die seelische Schäden davontragen.
Diese Doppelstrategie der radikalen Lebenseinschränkungen unter staatlicher Drohung und des Schmusekurses (man nennt das Zuckerbrot und Peitsche) ist eigentlich ein Relikt aus der Zeit des neunzehnten Jahrhunderts (der Hochzeit der autoritären Erziehung) und wurde bereits in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts ausführlich von Psychoanalytikern zerlegt. Es handelt sich um sogenannte „Schwarze Pädagogik“, die nach dem Prinzip, „Du sollst nicht merken“ (was man Dir antut) verfährt. Eine der übelsten Manipulationstechniken überhaupt, um Menschen gefügig zu machen.
Den Höhepunkt dieser Strategie aber geben die Medien, die eine regelrechte Rollenumkehr vollzogen haben, von der kritischen Öffentlichkeit, die die Regierung als vierte Gewalt kontrollieren soll, zu Schäferhunden, die über die Einhegung der Bürger wachen. Es wirkt fast so, als sei die Politik von immer neuen und immer radikaleren Forderungen nach Freiheitseinschränkungen durch die Medien getrieben. Es werden schwarze Schafe angeprangert, es wird medial denunziert und zur Denunziation aufgefordert und die Medien sind zu den schärfsten Verfechtern eines fast totalitären Konformitätsdruckes (keine Ausnahmen!) geworden.
Eine solche Zeit und solche Medien habe ich noch nie erlebt!
In die Verhältnisse der autoritären Erziehung des neunzehnten Jahrhunderts und der sogenannten „Schwarzen Pädagogik“ übertragen, haben die Medien die Rolle des Erziehers übernommen, der sich das Vertrauen der Kinder zunächst erschleicht und dann brutaler gegen diese vorgeht als die Eltern selbst.
Erst dieser Erzieher schafft es, die Kinder zu brechen und ihre Entwicklung zu autonomen Persönlichkeiten nachhaltig zu zerstören, indem er ihnen brutal klarmacht, dass sie mit ihrer eigenen Anschauung und ihren eigenen Strebungen ganz allein gegen eine erdrückende gesellschaftliche Übermacht stehen. Auch die Medien überbieten sich derzeit in brutalen Ankündigungen und Drohungen, die Angst machen sollen.
Das führt dann in eine ganz nachhaltige Entmutigung und letztlich in die psychische Abhängigkeit und die Erkrankung.
Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so etwas über unsere Politik und unsere Medien schreiben muss, dass ich die Grundlagen für die Akzeptanz einer Diktatur, die hier gerade gelegt werden und uns schon einmal ins Verderben geführt haben, mit einem so weiten Rückgriff in dunkle Zeiten beleuchten muss, um die gesellschaftlichen Fehler, die derzeit begangen werden, zu erklären.
Ich fürchte aber, dass damit noch nicht alles gesagt ist.
Denn der Verdacht besteht, dass die letzten dreißig Jahre eines immensen, wirtschaftlichen und sozialen Anpassungsdruckes, Schäden gerade bei vielen jungen Menschen in unserer Gesellschaft angerichtet haben, die nun zu einer fehlenden Gegenwehr gegen absurde staatliche Vorschriften, mit zweifelhafter verfassungsrechtlicher Grundlage, führen.
Ich unterstelle der jetzigen jüngeren Generation eine sogenannte „Identifikation mit dem Aggressor“, in der sie sich auch noch hinter die eigene Entrechtung stellt, die sie gerade erleidet, unfähig, für die eigenen menschlichen Grundrechte einzutreten.
Auch diese Identifikation mit dem Aggressor ist ein Ergebnis der „Schwarzen Pädagogik“, die am Ende angestrebt wird, um perfekt dressierte Kinder in ein abhängiges Erwachsenenleben zu entlassen.
Jeder Diktator würde sich nach solchen Bürgern die Finger lecken.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“
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