Von Kai Rebmann
Handgestoppte 16 Stunden hat es gedauert, ehe sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach der unsäglichen Holocaust-Relativierung durch Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas zu einer öffentlichen Verurteilung derselbigen durchringen konnte. Erst auf ausdrückliche Nachfrage der „Bild“ bezeichnete Scholz die Äußerungen als „unerträglich“ und „inakzeptabel“. Die Hofberichterstatter vom Bayerischen Rundfunk versuchten noch zu retten, was nicht mehr zu retten war, und bescheinigten dem Bundeskanzler eine „versteinerte Miene“, „sichtliche Verärgerung“ und die Absicht, die Abbas-Äußerungen an Ort und Stelle erwidern zu wollen. Problem: Der Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatte seinen Chef bereits „abmoderiert“, wie aus dem Kanzleramt zu erfahren war. Das kann man glauben, man muss es aber nicht…
Damit hätte die Sache aus Sicht der Bundesregierung eigentlich erledigt sein können. Man hatte in Steffen Hebestreit ein Bauernopfer gefunden, das sich den Medien auf der Bundespressekonferenz auch noch willfährig selbst zum Fraß vorwarf. „Da war ich nicht schnell genug, aufmerksam genug, um darauf zu reagieren. Das war mein Fehler, und den muss ich auf meine Kappe nehmen“, so der Regierungssprecher. Dumm nur, dass sich weite Teile der deutschen und internationalen Öffentlichkeit mit derart absurden Ausreden nicht abspeisen lassen wollten. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, kritisierte Olaf Scholz mit deutlichen Worten: „Dass eine Relativierung des Holocaust, gerade in Deutschland, bei einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt unwidersprochen bleibt, halte ich für skandalös.“
ARD-Korrespondent will die Kohlen aus dem Feuer holen
Wenn sich die politische Sprengkraft des Wegduckens des deutschen Bundeskanzlers im Inland schon nicht mehr leugnen lässt, dann muss doch zumindest so getan werden, als ob es im Rest der Welt, insbesondere in Israel, niemanden wirklich interessiert. Und wer würde sich dafür besser eignen als die ARD? In der Tagesschau unternahm der durch Zwangsgebühren finanzierte Sender den ambitionierten Versuch, seine Zuschauer im Zusammenhang mit den Abbas-Äußerungen und der Nicht-Reaktion von Olaf Scholz einmal mehr für dumm zu verkaufen. Israel-Korrespondent Christian Limpert behauptete allen Ernstes: „Das Verhalten des deutschen Bundeskanzlers hat hier in Israel heute keine Rolle gespielt.“ Im Hintergrund ist die Skyline von Tel Aviv zu sehen, was letzte Zweifel daran ausräumt, dass sich der ARD-Mann vielleicht gar nicht im Heiligen Land aufhält und nur aus der Ferne berichtet.
Und so stellt sich die Frage, was ein Israel-Korrespondent der Tagesschau den lieben langen Tag macht. Selbst deutsche Medien berichten davon, dass das „Verhalten des deutschen Bundeskanzlers“ in Israel durchaus hohe Wellen geschlagen hat. Das Handelsblatt schreibt: „In Israel löst der Eklat in Berlin einen innenpolitischen Streit aus und wird zum Wahlkampfthema.“ Die meistgelesene israelische Tageszeitung Yedioth Achronot titelt: „Abbas verbreitet Gift, Europa finanziert“. In der nicht minder bekannten Haaretz wird in der Einleitung zu einem Artikel über den Vorfall die „besondere Beziehung“ zwischen Deutschland und Israel aufs Korn genommen, wobei diese beiden Worte offenbar ganz bewusst in Anführungszeichen gesetzt wurden. Weiter schreibt das Blatt: „Bundeskanzler Olaf Scholz scheiterte bei seiner ultimativen Bewährungsprobe im heimischen Kanzleramt kläglich. Als Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas in Berlin über die ‚50 Holocausts‘ sprach, die Israel an den Palästinensern begangen haben soll, schwieg er. Die Kameras waren auf sein Gesicht gerichtet, in der Hoffnung, eine Verurteilung, Ablehnung oder zumindest ein säuerliches Gesicht zu sehen. Aber er stand da. Blinzelte und sagte nichts.“
Man sollte doch meinen, dass ein gewissenhaft arbeitender Journalist, der sich auf Kosten der Gebührenzahler in Tel Aviv aufhält, davon etwas mitbekommt. Die meisten israelischen Tageszeitungen erscheinen auch in englischer Sprache. Es sollte aber nicht zu viel verlangt sein, dass sich die ARD einen Israel-Korrespondenten leistet, der zumindest über rudimentäre Hebräisch-Kenntnisse verfügt. Oder führt Christian Limpert in Tel Aviv das Leben einer Stehlampe und wagt sich nur dann vor die Kamera, wenn es darum geht, für die Bundesregierung in die Bresche zu springen?
Der hochnotpeinliche Anruf des Kanzlers in Israel
Dass das Kind längst in den Brunnen gefallen ist, hat inzwischen aber auch Olaf Scholz realisiert. Der Bundeskanzler sah sich deshalb dazu genötigt, die Nummer des israelischen Ministerpräsidenten Jair Lapid zu wählen. Man kann sich gut vorstellen, wie sich der deutsche Regierungschef vor diesem Anruf gefühlt haben muss. In etwa so wie ein Schüler, der seine Hausaufgaben nicht gemacht hat und seinen Eltern jetzt beichten muss, dass er vom Klassenlehrer deshalb zu zwei Stunden Nachsitzen verdonnert worden ist. Dem Vernehmen nach hat Scholz seinem Gegenüber versichert, dass die Abbas-Äußerungen für ihn persönlich wie auch für die gesamte Bundesregierung „unerträglich“ und „völlig inakzeptabel“ seien. Wo haben wir genau diese Worte schon einmal gehört? Richtig, in der ersten offiziellen Stellungnahme einer Scholz-Sprecherin zu der eingangs zitierten „Bild“-Anfrage.
Nachdem der Kanzler seinem israelischen Amtskollegen offenbar den von seiner Sprecherin angefertigten Text vorgelesen hatte, verständigten sich beide Seiten auf einen alsbaldigen Besuch von Jair Lapid in Berlin. Damit sieht Scholz die Affäre offensichtlich als beendet an. Kurz nach dem Telefonat mit Lapid trat der Kanzler vor die Presse, um sich zu der Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas zu äußern. Fragen der anwesenden Journalisten waren bei diesem Termin ausdrücklich nicht zugelassen.
Bloß keine unbequemen Fragen
Dieses Frageverbot beschreibt nicht nur den Zustand der Pressefreiheit in Deutschland sehr gut, sondern kommt sicher nicht von ungefähr. Nicht dass ein Journalist, der es mit seiner Berufsehre noch ernst nimmt, auf dumme Gedanken gekommen wäre und kritische Fragen gestellt hätte. Zum Beispiel zur Unterstützung der Palästinensischen Autonomiebehörde mit insgesamt 340 Millionen Euro, die das Auswärtige Amt für die Jahre 2021 und 2022 fast zeitgleich zu den Abbas-Äußerungen zugesagt hat. Dieses Timing zeigt einmal mehr, dass die aktuelle Bundesregierung wirklich kein Fettnäpfchen auslässt. Offiziell ist dieses Geld für „humanitäre Hilfen“ und „Entwicklungsprojekte“ in Palästina vorgesehen. Man muss jedoch kein Nahost-Experte sein, um sich ausmalen zu können, dass die Bundesrepublik Deutschland, ohnehin einer der größten Geldgeber der Palästinenser, damit indirekt auch den Terror gegen Israel finanziert.
Weder Kanzler Olaf Scholz noch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) scheinen sich Gedanken darüber zu machen, welches Signal die Bundesregierung mit dieser Unterstützung aussendet. Einerseits finanziert Deutschland eine Regierung, die seit Anfang 2009 ohne demokratische Legitimation amtiert, andererseits scheinen auch zutiefst antisemitische Hassreden kein Grund zu sein, den Geldhahn in Richtung Palästina zuzudrehen. Jetzt reflexartig einen sofortigen und vollständigen Zahlungsstopp zu fordern, wäre jedoch zu kurz gedacht. Denn es wäre nicht in erster Linie die Regierung um Mahmud Abbas, die darunter zu leiden hätte, sondern die Bevölkerung. Leider hat es die Bundesregierung um Kanzler Scholz aber einmal mehr verpasst, die Zahlung von dreistelligen Millionenbeträgen an gewisse Bedingungen und Garantien zu knüpfen. Man kann davon ausgehen, auch wenn es die Tagesschau eventuell wieder anders verkaufen wird, dass auch solche Entscheidungen in Israel zur Kenntnis genommen werden und dort durchaus eine Rolle spielen.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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