Impfpflicht ab 60: BaWü, Bayern und Hessen lassen nicht locker Gesundheitsminister der Südländer: „Letztes Wort noch nicht gesprochen“

Von Kai Rebmann

Es war der Abend des 7. April 2022, als ein sichtlich geknickter Manfred Lucha (Grüne) gegenüber dem SWR erklärte: „Ich bin in gewisser Weise entsetzt, dass es nicht einmal jetzt gelungen ist, diesen Minimalkompromiss hinzubekommen“. Mit diesem „Minimalkompromiss“ meinte der Gesundheitsminister von Baden-Württemberg die Impfpflicht ab 60, die der Bundestag nur Stunden zuvor mit einer überwältigenden Mehrheit abgeschmettert hatte. Ehrlicher wäre es natürlich gewesen, wenn Lucha von einem „faulen Kompromiss“ gesprochen hätte, denn der Altersbezug „ab 60“ stand bis kurz vor der Abstimmung nie zur Debatte. Vielmehr hatten sich die Befürworter einer Impfpflicht ab 18 und einer Impfpflicht ab 50 in ihrer Verzweiflung in letzter Minute auf diesen „Kompromiss“ geeinigt. Wie wenig es Lucha und den anderen Impf-Apologeten in der ganzen Diskussion um evidenzbasierte Fakten geht, machte der Grünen-Politiker im nächsten Satz deutlich. Die Gesundheitsminister würden jetzt alles dafür tun, für den Herbst eine „wie auch immer geartete“ Impfpflicht hinzubekommen.

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Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Damit verrät Lucha zweierlei über sein Innenleben. Erstens offenbart er ein fragwürdiges Demokratieverständnis, indem er kein Problem darin sieht, solange abstimmen zu lassen, bis das „richtige“ Ergebnis dabei herauskommt. Aber als Grüner kennt er sich damit aus, beim Tempolimit auf deutschen Autobahnen ging und geht Luchas Partei ähnlich vor. Und zweitens scheint es Lucha inzwischen auch egal zu sein, für wen es eine Impfpflicht geben soll. Fest steht für ihn nur, dass es irgendeine bundesweite und möglichst allgemeine Impfpflicht geben muss. Eines muss man dem Grünen-Minister dann aber doch lassen, er hat zumindest in diesem Fall sein Wort gehalten. Wie jetzt bekannt wurde, hat Lucha mit seinem hessischen Amts- und Parteikollegen Kai Klose zu Beginn dieser Woche einen überarbeiteten Antrag für eine Impfpflicht ab 60 eingereicht, über den im Herbst abgestimmt werden könnte. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) wollte sich da nicht zweimal bitten lassen und schloss sich dem Antrag kurzerhand an.

Gesundheitsminister der Länder positionieren sich gegen Bundeskanzler Scholz

Nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach der Abstimmungsniederlage im Bundestag Anfang April noch erklärt hatte, dass er keine Basis mehr für einen erneuten Anlauf zur Einführung einer Impfpflicht sehe, proben die Gesundheitsminister der Länder nun offenbar den Aufstand. Geht es nach dem Trio Infernale aus Baden-Württemberg, Hessen und Bayern, dann soll die Impfpflicht ab 60 bei der nächsten Konferenz der Gesundheitsminister am 23. und 24. Juni 2022 das zentrale Thema werden. Lucha hat „noch Hoffnung, dass zumindest bei der Impfpflicht ab 60 das letzte Wort noch nicht gesprochen ist“ und will bis dahin bei seinen Amtskollegen um Unterstützung für den Antrag der drei Südländer werben. Klose betonte, dass das Impfen „ein wichtiger Bestandteil präventiver Gesundheitspolitik“ sei und tut dabei so, als würde die Impfung vor Infektion und Weitergabe des Virus schützen.

Zumindest die Landtagsfraktion der SPD Baden-Württemberg hat bereits Unterstützung signalisiert. Florian Wahl erklärte stellvertretend für seine Fraktion: „Nur das Impfen verhindert im kommenden Winter neue Lockdowns, Homeschooling, viele Tote in Pflegeheimen, eine Überlastung des Gesundheitssystems oder ein Kontrollsystem für 3G-Regelungen.“ Wahl ignoriert dabei offenbar ganz bewusst, dass das Impfen auch in der Vergangenheit Lockdowns und Schulschließungen nicht verhindert hat, dass es nie eine Überlastung des Gesundheitssystems gegeben hat und weder 3G- noch 2G-Regelungen das Virus an der Verbreitung gehindert haben. Aber da es sich bewährt zu haben scheint, möglichst große Schreckensszenarien zu verbreiten, ist sich Wahl nicht zu schade, auch diesmal wieder zu diesem Mittel zu greifen. Was Politikern wie Lucha, Klose, Holetschek oder Wahl gar nicht mehr aufzufallen scheint, ist, dass die Argumente pro Impfpflicht erstens immer dieselben sind, und diese zweitens allesamt längst widerlegt sind.

Kritik an dem neuen Vorstoß aus dem Süden kommt von Jochen Haußmann, dem gesundheitspolitischen Sprecher der FDP-Fraktion in Baden-Württemberg. Er habe kein Verständnis für diesen Antrag und sehe nicht, warum die Abstimmung über eine Impfpflicht ab 60 im Mai anders ausgehen sollte als es im April der Fall war. „Oder will er (Lucha) alle über 60-jährigen, die sich nicht impfen lassen wollen, in Verwahrung nehmen“, fragt Haußmann mit Blick auf die aus seiner Sicht nicht gegebene Umsetzbarkeit.

Lauterbach kündigt neue Hamsterkäufe an

Nur einen Tag nach dem Vorstoß der Südländer trat am Mittwoch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor die Presse, um anlässlich des Treffens der G7-Gesundheitsminister die künftige Impfstrategie des Bundeskabinetts vorzustellen. Schon die ersten Sätze wären ein rechtfertigender Grund gewesen, sich mit Grausen abzuwenden, aber zum Berufsrisiko eines Journalisten gehört es eben, auch so etwas über sich ergehen lassen zu müssen. „Trotz des aktuellen Impfstoffüberschusses wird Deutschland weiteren Impfstoff bestellen“, begann Lauterbach seine Ausführungen. Man müsse auf ein „breites Portfolio“ setzen, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Sofort ließ der Minister den nächsten Widerspruch folgen: „Wir werden diese Impfstoffe benötigen, wir wissen aber nicht welche Varianten uns im Herbst konfrontieren werden.“

Da plötzlich selbst Lauterbach nicht mehr wissen will (das war auch schon anders), welche Varianten im Herbst kommen werden, hat der Bundesgesundheitsminister seiner blinden Kaufwut einmal mehr freien Lauf gelassen. Von den Impfstoffen gegen die „Wuhan-Variante“, wozu zum Beispiel Delta gehört, sei noch ausreichend Impfstoff da, sagte Lauterbach, zusätzlich habe er einen an die Omikron-Variante angepassten Impfstoff von Biontech sowie einen sogenannten bivalenten Impfstoff von Moderna bestellt, der sowohl gegen die Wuhan- als auch die Omikron-Variante schützen soll. Auf Nachfrage eines Kollegen erklärte Lauterbach, dass von allen drei Präparaten so viel vorhanden sei, dass „jeder, der es wünscht“ sich damit impfen lassen könne. Wie abgehoben Lauterbach inzwischen ist, beweist der Umstand, dass er plötzlich in der Ich-Form erklärt: „Ich muss so viel Impfstoff haben, dass ich im Notfall so viel Impfstoff habe, dass ich alle impfen lassen kann.“ Ich, ich, ich!

Für seinen neuerlichen Kaufrausch wurden Lauterbach nach eigenen Angaben rund 830 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt. Auf den „aktuellen Impfstoffüberschuss“ angesprochen, musste Lauterbach einräumen: „Es ist richtig, dass auch Impfstoff verfällt. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass der Impfstoff, der verfällt, ausschließlich Impfstoff ist, den wir nicht beschafft haben in dieser Legislaturperiode, sondern der aus Verträgen stammt, die vorher geschlossen waren.“ Doch diese Verträge seien richtig gewesen, betonte Lauterbach ausdrücklich, damit nicht der Eindruck entstehe, man würde jetzt eine neue Strategie verfolgen. Darüber hinaus will die Bundesregierung den Betrieb in den Impfzentren sicherstellen und dafür einen Betrag in Höhe von bis zu 100 Millionen Euro pro Monat bereitstellen.

Kritik aus der Opposition und den eigenen Reihen

Tino Sorge, der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, beklagte, dass Lauterbach massive Überschüsse in Kauf nehme und er klarstellen müsse, wie viele der überschüssigen Dosen vernichtet werden müssen. Reitschuster.de hatte bereits darüber berichtet, dass bis Ende September im schlechtesten Fall Impfstoff im Wert eines bis zu dreistelligen Millionenbetrags vernichtet werden muss. FDP-Fraktionssprecher Christian Dürr kritisierte den Gesundheitsminister der Bundesregierung, der er selbst angehört, ebenfalls. Den Zeitungen der Funke-Mediengruppe versprach Dürr, dass es Freiheitseinschränkungen auf Vorrat mit der FDP nicht geben werde. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass sich Versprechen der FDP gerade im Zusammenhang mit der Corona-Impfung als völlig wertlos herausstellen würden. Man müsse sich zwar auf den Herbst vorbereiten, wobei Dürr allerdings warnte: „Aber dafür müssen wir nicht die Maßnahmen aus dem Infektionsschutzgesetz reaktivieren, die die letzte Welle schon nicht eindämmen konnten.“

Setzt man pro Dose Impfstoff einen Einkaufspreis in Höhe von rund 21,50 Euro voraus, so hat Lauterbach insgesamt 40 Millionen Dosen bestellt. Nach aktuellem Stand und offiziellen Angaben sind in Deutschland rund 54,2 Millionen Menschen mindestens dreimal geimpft. Da es auch international kaum noch Abnehmer für überschüssigen Impfstoff gibt, bleibt die Frage, in welche Oberarme die jetzt verbindlich bestellten Impfstoffe gespritzt werden sollen. Selbst wenn sich alle bisher nur „vollständig Geimpfte“ (zweifach) den dritten Pieks abholen würden, säße Lauterbach immer noch auf rund 30 Millionen Dosen.

Was liegt da also näher, als einerseits die Stiko zu einer Empfehlung für die vierte Impfung zu drängen und andererseits einen neuen Anlauf für eine allgemeine Impfpflicht ab 60 zu unternehmen. Kann es wirklich Zufall sein, dass zwischen der Wiederbelebung der Debatte über die Impfpflicht ab 60 und Lauterbachs Bestellung von zig Millionen Dosen Impfstoff, der seine Unwirksamkeit nachdrücklich unter Beweis gestellt hat, nur wenige Stunden lagen?

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Ralf Liebhold / Shutterstock
Text: kr

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