Jetzt also doch! „Der Präsident des Robert Koch-Instituts Prof. Lothar H. Wieler wird auf eigenen Wunsch zum 1. April sein Amt niederlegen, um sich neuen Aufgaben in Forschung und Lehre zu widmen“, schreibt das RKI auf seiner Webseite. Und weiter: „Der Schritt erfolgt im Einvernehmen mit Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach.“ Seit langem gab es Berichte, denen zufolge das Verhältnis zwischen Lauterbach und Wieler zerrüttet sei. Beiden dementierten das aber pflichtschuldig.
Bemerkenswert ist das „Framing“ in den großen Medien: Das Wort „Rücktritt“ meiden die meisten Kollegen wie der Teufel das Weihwasser. Schauen wir aber in den Duden, liegt diese Formulierung durchaus nahe. Ein „Rücktritt“ wird dort definiert als „das Zurücktreten, Niederlegen eines Amtes“. Dies beziehe sich zwar „besonders“ auf Mitglieder einer Regierung, so der Duden. Aber eben nicht nur. Und als Leiter einer obersten Bundesbehörde war Wieler ja quasi ein Teil der Regierung. Dass jemand mit 61 Jahren einen solchen Spitzenposten einfach so aufgibt, wäre eine große Seltenheit. Zumindest, wenn kein besserer Job sicher ist. Die Rücktritts-Formulierung legt nahe, dass Wieler keinen solchen Aufstieg vor sich hat. Ebenso die Schnelligkeit des Rücktritts: Es steht kein Nachfolger bereit, sein Vize wird vorübergehend das Amt übernehmen.
Die Abschiedsworte des Ministers kann man deshalb durchaus auch als Hohn bzw. blanken Zynismus auffassen: „Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm habe ich über all die Jahre sehr geschätzt. Umso mehr bedauere ich, dass er das RKI verlassen wird, um sich jetzt wieder verstärkt Forschung und Lehre widmen zu können. Ohne Prof. Wieler wäre Deutschland deutlich schlechter durch diese Pandemie gekommen. Dafür möchte ich mich auch im Namen der gesamten Bundesregierung ganz herzlich bedanken. Der Schritt erfolgt im Einvernehmen.“
Ich habe Wieler in der Corona-Zeit persönlich kennengelernt. Zwei Begegnungen blieben – neben seinen wiederholten Antwort-Verweigerungen (siehe mein Beitrag: Schweigespirale bei PCR-Tests – Regierung verweigert zum 7. Mal Antwort) bei mir besonders hängen. Einmal, als ich noch recht frisch in der Bundespressekonferenz war, kam er nach deren Ende, als wir ziemlich aneinander rauschten, auf mich zu, und wollte mir seine Sicht der Dinge erklären. Es klang für mich so, als wollte er sich rechtfertigen. Sich etwas von der Seele reden. Und mir beweisen, dass er nichts Böses im Schilde führt. Wir liefen gemeinsam bis zu seinem Auto.
Ein zweiter Schlüsselmoment ist in dem Bundespressekonferenz-Video von Oval-Media zu sehen. Er bringt das ganze Dilemma der Corona-Zeit auf den Punkt. Nach der Pressekonferenz, hinter den Kulissen, schimpft Wieler da empört, nervös über kritische Fragen: „Warum führen Sie immer Debatten, die die Menschen verwirren? Wir wollen doch Leben retten. Warum kommt immer wieder…“ (weiter sind seine Worte nicht verständlich, doch gemeint ist wohl Kritik).
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Ich habe Wieler darauf – da er zu einem direkten Dialog nicht mehr bereit war (die Einladung dazu steht weiter), hier auf meiner Seite geantwortet: „Wir führen Debatten, weil wir immer noch in einer Demokratie leben. Zumindest erhebt die Regierung diesen Anspruch, und dann muss sie sich daran messen lassen. Und auch ein Leiter einer obersten Bundesbehörde.
Was Sie da sagen, Herr Wieler, ist ein Totschlag-Argument, das jede Diskussion, jeden freiheitlichen Pluralismus erstickt.
Ich gehe noch einen Schritt weiter: Ihre Argumentation ist schlicht totalitär.
Sie unterstellen mit Ihrer Aussage, dass andere keine Leben retten wollen.
Sie erheben sich zum obersten Richter, der weiß, was die Wahrheit ist und WIE man Leben retten kann.
Sie delegitimieren damit das, was der Sauerstoff einer freien Gesellschaft ist: Widerspruch, Diskussion.
Sie haben ja schon früher gesagt, die Corona-Maßnahmen dürften nicht hinterfragt werden.
Sie offenbaren damit eine zutiefst undemokratische Gesinnung. Ich würde sogar sagen: Eine totalitäre.
In einer Demokratie muss alles hinterfragt werden. Das ist die größte Errungenschaft der Aufklärung. Sie fordern, hinter diese zurückzufallen.
Mir macht diese Szene große Angst. Mir macht Ihre Einstellung große Angst.
Viel mehr Angst als das Corona-Virus.
Besonders dramatisch finde ich, dass sie ausgerechnet beim Chef des Robert Koch-Instituts zum Vorschein kommt – einer Institution mit einer sehr, sehr finsteren Geschichte.
Sehen Sie sich die Szene hier selbst an.
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