Ein Gastbeitrag von Sönke Paulsen
Eines der bekanntesten Opfer der Corona-Pandemie ist Julian Assange. Man möchte nicht sagen, Opfer der Pandemie, sondern eher Opfer der, schon bestehenden, Isolationshaft, die mit dem Argument der Infektionsgefährdung in 2020 für den Wikileaks-Gründer, weit über die Grenzen des Erträglichen, verschärft wurde.
Selbst Telefonate wurden stark begrenzt und Assange konnte jeweils nur wenige Minuten mit seiner Partnerin telefonieren, die ihn seit März dieses Jahres überhaupt nicht mehr sehen konnte. Besuche waren unmöglich gemacht worden.
Auch die Anwälte von Assange konnten den Chef von Wikileaks nicht sehen, sind selbst während der Gerichtsverhandlung durch einen Glaskasten von ihm getrennt, was übrigens keine Maßnahme des Infektionsschutzes ist, sondern das übliche Procedere bei mutmaßlichen Schwerverbrechern und Terroristen.
Nicht umsonst sitzt Assange im Hochsicherheitsbereich des Londoner Belmarsh-Gefängnisses ein, das vor allem mit Schwerverbrechern und auch Terroristen belegt wird.
Dabei handelt es sich im Augenblick nur noch um eine Auslieferungshaft, da die Strafe wegen des Verstoßes gegen Kautionsauflagen bereits verbüßt ist. Ein denkwürdiger Umstand. Ein Journalist sitzt in England wie ein Terrorist in Isolationshaft, weil ein Auslieferungsantrag aus Washington anliegt.
Wir erinnern uns, nach einer beispiellosen Kampagne gegen Assange, der in unseren Medien als größenwahnsinniger, rechter Hacker und Putins Helfer dargestellt wurde, in diesem Jahr ein zaghaftes Umdenken begann. Man war insbesondere nach den Berichten des UN-Menschenrechtsbeauftragten Melzer, eher geneigt, die vielen Rechtsbeugungen und konstruierten Vorwürfe gegen Assange öffentlich zur Kenntnis zu nehmen und sah sich in dieser Sichtweise bestätigt, als die USA nach Verhaftung Assanges in der ecuadorianischen Botschaft umgehend ihren Auslieferungsantrag wegen Spionage an Großbritannien übermittelten. Dieser war längst vorbereitet, wurde aber geheim gehalten.
Aktuell titelt die DPA über Assange: „Märtyrer der Pressefreiheit oder skrupelloser Hacker?“
Der skrupellose Hacker wird ihm auch deshalb immer noch vorgeworfen, weil Wikileaks durch die Veröffentlichung der Clinton und DNC-Mails im Sommer 2016 die US-Wahl im Sinne Trumps beeinflusst haben soll. Damit hat Julian Assange die bürgerlichen Medien gegen sich aufgebracht und wurde zu einem unfreiwilligen Helden der neuen Rechten.
Passend zu seinem Credo der unbedingten Transparenz ist Assange damit zwischen allen Stühlen gelandet und findet kaum Anwälte in der Medienlandschaft, die sich konsequent für ihn einsetzen.
Es wird zwar anerkannt, dass er wie ein politischer Gefangener gehalten wird und eine Beugung des Rechtsstaates auch mit geheimdienstlichen Mitteln, schon während seines Aufenthaltes in der Botschaft von Ecuador exzessiv stattfand, dass selbst Ecuador massiv politisch unter Druck gesetzt wurde, Assange den britischen Behörden zu übergeben.
Es gibt aber keine entschiedene Gegenwehr in den Mainstream-Medien. Zulange hat man sich an der öffentlichen Demontage der Person beteiligt.
Jetzt wird ein Anschlag auf die Pressefreiheit durch die Anklage nach dem „Espionage-Act“ in den USA thematisiert. Man müsse die Pressefreiheit verteidigen, auch wenn einem Assange zuwider sei. Viele Artikel kamen in dem ablaufenden Jahr über diese Schiene zum Thema Assange.
Die 'Unperson' Julian Assange aber, wird nicht gewürdigt und nicht verteidigt
Stattdessen gibt es „vergiftete“ Plädoyers für eine Begnadigung (die bezeichnenderweise vor dem Prozess und vor dem Urteil) gefordert wird, um den politischen Gefangenen loszuwerden. Angereichert werden die Plädoyers, wie in einem aktuellen DPA-Artikel, mit Fürsprachen der ideologischen Gegenseite. Sarah Palin, die erzkonservative Republikanerin, die auch schon Gegenstand von Wikileaks-Veröffentlichungen war, bekennt: „ Assange hat der Welt einen Gefallen getan und verdient eine Begnadigung.“
Wie das bei unserem Politestablishment ankommt, ist klar. Der ideologische Gegner reklamiert die Person Assange für sich.
Niemand, der noch eine Karriere hat, wird sich in der westlichen Welt für Assange einsetzen. Stattdessen macht sich ein anderer politisch Verfolgter, der chinesische Künstler Ai Wei Wie, der diese Methoden der politischen Verfolgung aus seinem Heimatland kennt, für ihn stark. Dort wurde gerade eine Bürgerjournalistin zu vier Jahren Haft verurteilt, weil sie mit ihrer Berichterstattung über angebundene Menschen und vergitterte Wohnungen in Wuhan „Unruhe gestiftet“ habe. Manche Prominente folgen diesem Beispiel. Aber viele sind es nicht.
Was steht eigentlich auf dem Spiel?
Nach diesem Corona-Jahr, könnte man meinen, dass nichts mehr auf dem Spiel stünde, weil das Spiel schon verloren ist. Die westlichen Demokratien sind so beispiellos und flächendeckend mit Freiheitsentzug überzogen worden, wie nie zuvor in der Geschichte. Grundrechte wurden massenhaft außer Kraft gesetzt und die Gegenwehr der Gerichte ist erlahmt.
Wir leben in einem diktatorischen Ausnahmezustand!
Da passt ein politischer Gefangener, wie Julian Assange, ins Bild, wenn Moderatoren, wie Markus Lanz, in ihren Talkshows das Chinesische Modell der Pandemiebekämpfung loben und rationale Argumente gegen Zwangsmaßnahmen wegwischen dürfen, ohne Kritik in den Medien zu bekommen.
Es wird einfach übersehen.
Assange aber ist trotz oder gerade wegen seiner Isolationshaft nicht zu übersehen. Am 4.1.2021 wird ein Londoner Gericht über seine Auslieferung in die USA entscheiden. Die Chancen für ihn stehen schlecht. Melzer schrieb, dass er systematisch an der Wahrnehmung seiner Rechte im Prozess gehindert wurde. Ein Skandal, der durch den anderen flächendeckenden Skandal einer diktatorischen Pandemiebekämpfung, fast schon gleichgültig geworden ist.
Wie heißt es so schön?
Ist der Ruf erst ruiniert, regiert es sich recht ungeniert.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“
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