Von Kai Rebmann
Seit vergangenem Freitag schwingt Prinz Boris I. das Zepter bzw. die Pritsche über dem närrischen Volk in Köln. Keine Sorge, mit der Berichterstattung auf dieser Seite wird es in gewohnter Weise weitergehen, bei dem Regenten am Rhein handelt es sich um den bürgerlichen Boris Müller. Der Prinz bildet zusammen mit der Jungfrau und dem Bauer (seit 1872 dabei) das Kölner Dreigestirn. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen wurden die Protagonisten dabei stets von Männern verkörpert. Im besten Deutschland aller Zeiten ist jedoch keine Tradition mehr sicher vor dem woken Zeitgeist. Und so haben sich die Kulturrevolutionäre als nächstes Ziel den Kölner Karneval auserkoren. Gut möglich, dass die aktuelle Session zum 200. Geburtstag eine der letzten mit der traditionellen Besetzung des Dreigestirns ist.
Nach der Prinzenproklamation wurde das Fass um eine Diskussion über die Einbindung von Frauen in das närrische Trio erneut aufgemacht. Die Sängerin Nici Kempermann gab eine inoffizielle Bewerbung in Liedform ab: „Ich wünsch mer nur, eimol Prinz ze sin, und dat he in Kölle am Rhing, in nem Dreijesteen voller Östrogen, sach wie wie kriejen ich dat nur hin.“ Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ sagte die Künstlerin im Anschluss an ihren Auftritt: „Ich glaube, Tradition ist das Wichtigste, was wir in Köln haben, aber nach 200 Jahren würde eine charmante Veränderung guttun und der Prinz könnte einfach mal ein Mädchen sein.“ Die parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker nahm die Steilvorlage dankbar auf und sprach sich für „mindestens einen weiblichen Prinzen“ aus. „Aber noch besser fände ich ein weibliches Dreigestirn. Und ich hoffe, dass dies in den kommenden Jahren Realität wird“, so die offizielle Rathaus-Chefin.
Karnevalisten erteilen Frauen-Quote eine Absage
Ganz so einfach, wie Nici Kempermann und Henriette Reker sich das mit einer oder mehreren Frauen im Kölner Dreigestirn vorstellen, ist es dann aber doch nicht. Auch wenn es hierzulande fast schon normal geworden ist, dass Quote und Haltung vor persönliche und sachliche Kompetenz gehen, wollen die Karnevalisten in der Domstadt die fünfte Jahreszeit nicht der Beliebigkeit des Zeitgeistes anheimfallen lassen. Zumindest noch nicht und zumindest nicht vollständig. Und so hält Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitees Kölner Karneval (FK), zum Beispiel nichts von einer öffentlichen Ausschreibung oder der Besetzung des Dreigestirns mit Prominenten nur ihrer Prominenz wegen. „Sie würden sicher ganz viele Eigenschaften mitbringen, die man im Dreigestirn braucht – etwa Bühnenperformance, Gesangsfähigkeiten, Schlagfertigkeit“, sagt Kuckelkorn. Gleichzeitig verweist der oberste Jeck der Domstadt aber auch auf das traditionelle Auswahlverfahren über die angegliederten Karnevalsgesellschaften: „Denn abseits der öffentlichen Wirkung etwa durch TV-Auftritte ist es wichtig, dass das Dreigestirn durch jahrelange ehrenamtliche Arbeit in einer Karnevalsgesellschaft das Brauchtum von innen kennt. Die meisten der über 400 Termine in der Session finden ja bei unseren Mitgliedsgesellschaften oder bei karitativen Zwecken statt.“
Zur Frage über eine mögliche weibliche Beteiligung im Dreigestirn hat Kuckelkorn bereits vor zwei Jahren gesagt, dass er sich eine Frau als Prinzen zwar vorstellen kann, wenn eine geeignete Bewerberin von einer der Gesellschaften ins Rennen geschickt würde. An dieser Haltung des FK-Präsidenten hat sich seither nichts geändert, so dass er gegenüber dem Stadtanzeiger wiederholte: „Die Tür für ein weibliches Dreigestirn steht längst offen und wir sind sicher, dass in den nächsten Jahren auch eine Frau hindurchgehen wird.“ Kuckelkorns Ausführungen zufolge ist es also keineswegs so, dass Frauen ganz bewusst aus dem Dreigestirn ausgesperrt werden – es wurden von den Gesellschaften schlicht und einfach noch keine geeigneten Bewerberinnen vorgeschlagen. Und von willkürlichen Besetzungen nur einer wie auch immer gearteten Quote wegen halten die traditionsbewussten Karnevalisten am Rhein offenbar nichts.
Weibliche Jungfrau neben zwei Männern soll tabu bleiben
Für das Kölner Dreigestirn zeichnet Kuckelkorn daher folgende Stellenbeschreibung: „Wir suchen keine ausgebildeten Schauspieler oder Comedians, sondern Menschen, die tief im ehrenamtlich getragenen Karneval verwurzelt sind. Wenn ein Prominenter Mitglied einer Karnevalsgesellschaft würde, sich im Karneval jahrelang ehrenamtlich engagiert, sich über zwei Monate komplett freinimmt, um auf großen, aber auch auf Minibühnen aufzutreten, dann wäre er oder sie natürlich genauso willkommen im Dreigestirn wie jeder andere.“
Bemerkenswert ist dabei, dass sich der FK-Präsident laut eigener Aussage eine weibliche Besetzung zwar für die Rolle des Prinzen oder des Bauers vorstellen kann, ausdrücklich aber nicht für jene der Jungfrau. Noch bemerkenswerter ist die Begründung: Eine weibliche Jungfrau neben zwei Männern erinnere ihn zu sehr an die NS-Zeit, als ein Mann in Frauenkleidern als unmännlich gegolten habe. Und tatsächlich war es letztmals in den Jahren 1938 und 1939 der Fall, dass das Kölner Dreigestirn nicht ausschließlich aus Männern bestand. Auf Geheiß der Nationalsozialisten musste die Jungfrau von einer Frau gemimt werden.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog. Bild: ying tang/ShuttserstockMehr von Kai Rebmann auf reitschuster.de