Corona macht krank, Corona kann töten.
Corona ist schlimm, verändert die Gesellschaft und das Leben. Darüber berichten wir. Geschichten, die es nicht in die Medien schaffen.
Wir geben Zahlen einen Namen und eine Seele. Die Serie „Kollateralschaden“ basiert auf Berichten Betroffener der Coronapolitik. Damit keiner sagen kann: „Das haben wir nicht gewusst!“
Kulturtod ohne Trauernde
Von Johanna und Frank Wahlig
Die Beerdigung findet digital statt. Diese Oper ist ein Hit und Hits gehören auf die große Bühne. Mozarts Le Nozze di Figaro an der Berliner Staatsoper gibt es im Coronajahr nur für die Fernsehkameras, für die Beleuchter vielleicht auch noch. Publikum gibt es keines. Hochkultur vor leeren Reihen. Figaro im Internet. Ein Singstück unter vielen. Das ist Marionettentheater – allenfalls. Eine Farce, ganz sicher.
Hochkultur der Corona-Gegenwart. Ist das noch Kunst oder schlicht Feigheit oder kann das weg? Es kann weg. Diese Aufführung ist Beschäftigungstherapie für Sänger und Musiker – damit es scheint, als hätten sie zu tun. Einzig die Kulturpolitiker applaudieren – virtuell. „Seht her, hört zu: Wir sind für die Kultur!“
Der Finanzminister wirft mit Konfettigeld
Der Finanzminister verspricht Milliarden für eine Kultur, die es nicht mehr gibt. Bevor die sensiblen Künstler dem Murren verfallen, werden sie mit Konfettigeld beworfen. „Wir wollen kleinere Kulturveranstaltungen finanziell fördern, die aufgrund der Hygienevorgaben mit deutlich weniger Publikum stattfinden müssen“, so Finanzminister Olaf Scholz. Es finden überhaupt keine Kulturveranstaltungen statt, Herr Minister. Die Symphonie der Großstadt besteht aus Vogelgezwitscher und dem Heulen der Sirenen und den atonal quietschenden Straßenbahnen.
Die Künstler halten weitgehend still und hoffen auf Staatsknete.
Lebenslange Ausbildung und arbeitslos
Marta Murvai ist eine international bekannte Geigerin. Eine Ausnahmekünstlerin. Sie lebt in Berlin, hat nichts zu tun und übt, damit sie so brillant bleibt, wie sie es vor Corona einmal war. Seit November keine Auftritte, auch keine Aussicht auf Konzerte in der Zukunft. „Meine Ausbildung dauerte 15 Jahre – und ich darf nicht arbeiten. Ich habe seit meinem sechsten Lebensjahr täglich mehrere Stunden geübt… und mein Beruf wird als nicht notwendige Tätigkeit eingestuft“, sagt Marta. Für Marta Murvai ist Kunst, Leben und Spielen eins. Musik ist Berufung und Lebenshaltung.
„Ein Künstler, der nur vor dem Spiegel spielt, wird schlecht. Wir brauchen Publikum“, sagt Marta Murvai.
Im Lockdown hat Marta Stücke eingeübt, Konzerte erarbeitet in der Hoffnung, dass die Zeiten sich ändern. Vergeblich. „Die Kulturpolitiker halten uns wie der Katze ein Spielzeug vor die Nase und es wird immer wieder weggezogen.“
Die Politik spielt Friseure und Künstler gegeneinander aus. Die einen dürfen aufmachen, die anderen bleiben arbeitslos. Im Februar ist Marta Murvai nach Bukarest geflogen und hat ein Konzert gegeben. Vor Publikum. Applaus. Die Menschen waren dankbar, ein Konzert miteinander erleben zu können. In Bukarest, nicht in Deutschland, dem Land mit dem meisten Opern- und Konzerthäusern weltweit. Musik ist hörbare Bildung, Kultur der Jahrhunderte.
Künstler verklagen die Regierung
„Aufstehen für die Kunst“ heißt die Initiative prominenter Musiker im Rechtsstreit mit der bayerischen Regierung. „Wir wurden unserer Berufe beraubt“, so die Begründung von Stargeigerin Anne-Sophie Mutter. Die Musikerin ist Mitinitiatorin der Klage beim bayerischen Verfassungsgerichtshof. Eine Popularklage für die Kunstfreiheit. Grundlage sei Artikel 5 des Grundgesetzes für die Kunstfreiheit. Anne-Sophie Mutter und 23 weitere prominente Künstler klagen auf Öffnung der Konzerthäuser.
Freie Musiker sitzen an der Supermarktkasse, weiß Marta Murvai: “Psychisch sind viele Kollegen am Ende.“ Wer dann kritisiert, wird diffamiert. Der bekannte Pianist und Wagner-Erklärer Stefan Mickisch starb im Februar 2021 aus ungeklärter Ursache. Mit den Nerven am Ende. Er hatte die Regierungspolitik als „Coronafaschismus“ bezeichnet. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bezeichnete den 58-Jährigen daraufhin als „Verschwörungstheoretiker“. Der Chef der „Villa Wahnfried“ in Bayreuth erteilt ihm Hausverbot, kündigt die Freundschaft öffentlich auf Facebook und legt in der Lokalpresse nach.
Beerdigung der Hochkultur
Eine breite „Wir-machen-auf-Bewegung“ gibt es nicht. Die Kulturpolitik vergisst die Kultur. „Mund-Nasenschutz und eine Belüftungsanlage und schon ist eine Infektion so gut wie ausgeschlossen.“ So eine Untersuchung des Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt. Ziel der Studie war, wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlagen zu schaffen, denn die benötigt die Politik dringend, um über Maßnahmen beim Infektionsschutz in Kulturstätten zu entscheiden, kommentiert der Intendant des Konzerthauses in Dortmund, Raphael von Hoensbroech, die Studie. Eine ähnliche Untersuchung haben die Bamberger Symphoniker durchgeführt. Doch die Bühnen bleiben so leer wie die Orchestergräben, wie die Ränge.
Eine Kultur stirbt, wenn sie nicht mehr gespielt und nicht mehr gekannt wird. Die Politik steuert das Geld für die Beerdigung bei.
Einen Auftritt allerdings hatte Marta in Berlin. Sie spielte in der Kita ihrer Tochter – coronasicher versteht sich. Auf höchstem Niveau.
Wer aus seinem beruflichen oder privaten Leben einen „Kollateralschaden“ melden möchte: Vertraulich und persönlich, per E-Mail an [email protected]
Text: Johanna und Frank Wahlig
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