Von Kai Rebmann
Karl Lauterbach (SPD) hat sich einmal mehr verpokert. Wie schon bei den Corona-Impfstoffen verfiel der Bundesgesundheitsminister auch bei der Beschaffung von Paxlovid in einen regelrechten Kaufrausch. Der Bund hat noch rund 430.000 Packungen des Präparats aus dem Hause Pfizer eingelagert, deren Wert bei 280 Millionen Euro liegt.
Problem: Die Haltbarkeit der Medikamente, die anfangs zur Behandlung von Corona-Patienten eingesetzt wurden, ist eigentlich längst abgelaufen, jedenfalls wenn man die ursprünglichen Angaben des Herstellers als Maßstab nimmt. Erstmals im September 2022 und danach noch einmal im Februar 2023 wurde das reguläre Verfallsdatum (12 Monate) für die Paxlovid-Packungen auf letztlich 24 Monate verlängert. Mit einem eben solchen Federstrich will das Gesundheitsministerium die Haltbarkeit jetzt ein drittes Mal verlängern.
Im Winter 2021/22 hatte Paxlovid die Marktzulassung erhalten und wurde nicht zuletzt von Karl Lauterbach selbst immer wieder als Wundermittel gegen Corona angepriesen. Es war einmal mehr ein Versprechen, das nicht gehalten werden und das Medikament nie in diesem Umfang erfüllen konnte. Da hatte der Minister aber längst schon eine Million Einheiten des Medikaments bestellt – von denen bis zum Frühjahr 2024 aber lediglich etwas mehr als die Hälfte abgerufen wurde.
Pfizer legt Veto gegen Verlängerung ein
Um die liegengebliebenen Tabletten nicht auf dem Sondermüll entsorgen zu müssen, was mit weiteren ganz erheblichen Kosten verbunden wäre, soll die Haltbarkeit ein weiteres Mal verlängert werden. Davor warnt jetzt aber Pfizer in einem Brief. Das Schreiben ging jedoch nicht an das Bundesgesundheitsministerium, sondern direkt an Markus Beier, den Vorsitzenden des Hausärzteverbands.
Der „Welt“ liegt der Brief eigenen Angaben zufolge vor, in dem Sabine Gilliam, Deutschland-Chefin des Pharmakonzerns, ihre „Besorgnis über das Vorgehen des Ministeriums“ zum Ausdruck bringt: „Nach einer umfangreichen Bewertung zu einer möglichen erneuten Verlängerung der Haltbarkeitsdauer ist Pfizer zu dem Schluss gekommen, dass es weder in Deutschland noch in einem anderen Land wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die eine Verlängerung der Haltbarkeitsdauer von Paxlovid über 24 Monate hinaus unterstützen.“
Außerdem befürchtet der Hersteller, dass die Verwendung abgelaufener Chargen das Vertrauen der Patienten selbst sowie die „etablierten Zulassungsverfahren nachhaltig untergraben“ könne. Über Zulassungsverfahren für Produkte aus dem Hause Pfizer könnte man nun einiges schreiben – aber lassen wir das an dieser Stelle lieber! Stattdessen ergänzt eine Sprecherin in politisch völlig korrektem Stil: „Damit Patient:innen sich auf die Sicherheit, Wirksamkeit und hohe Qualität ihrer Medikamente verlassen können, haben diese ein von den Zulassungsbehörden genehmigtes Verfallsdatum.“
Beide Seiten mit 'guten' Argumenten
Und genau an diesem Punkt scheiden sich zwischen Pfizer und dem Gesundheitsministerium die Geister. Die Behörden genehmigen ein Verfallsdatum, legen dieses aber nicht selbst fest, so jedenfalls die Sichtweise bei Pfizer. Einig scheint man sich noch darin zu sein, dass sich beide Seiten noch im Austausch befänden. Während der Hersteller aber geltend macht, dass es „gemäß der regulatorischen Praxis“ alleine ihm obliege, über die Haltbarkeit seiner Produkte zu entscheiden, in diesem Fall Paxlovid, gibt es dazu auch andere Meinungen. Bernd Mühlbauer, Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie in Bremen, sieht die Zuständigkeit der Verlängerung der Haltbarkeit von Medikamenten bei den „Aufsichtsbehörden allein“, sprich dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Dort wollte man sich auf entsprechende Frage zum konkreten Fall jedoch nicht äußern. Die von Pfizer erhobenen Stabilitätsdaten würden beim BfArM derzeit noch geprüft, wie Jörg Breitkreutz vom Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Uni Düsseldorf erläutert. Aber auch dieser Experte hält grundsätzlich das Bundesinstitut für zuständig, welches – man ahnt es – dem Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums zugeordnet ist.
Klar ist damit nur, dass nichts klar ist. Aus Sicht des Herstellers erscheint es natürlich nur allzu verständlich, dass man sich mit dem Schreiben an die Ärzteschaft vor möglichen Haftungsfragen abzusichern gedenkt. Und auch für Patienten dürfte es kaum eine verlockende Aussicht darstellen, sich mit einem ohnehin nicht unumstrittenen Medikament behandeln zu lassen, an dessen weiterer Haltbarkeit selbst der Hersteller massive Zweifel äußert.
Andererseits handelt es sich bei Pharmakonzernen ganz generell nicht um Wohlfahrtsorganisationen. Und auch Pfizer bildet da natürlich keine Ausnahme. Wenn eine knappe halbe Million Paxlovid-Dosen aufgrund abgelaufener Haltbarkeit entsorgt werden müssten, hätte dies per sofort – sofern wieder oder noch Bedarf besteht – unmittelbare Neu-Bestellungen zur Folge.
Dass dabei nicht ganz unerhebliche finanzielle Interessen im Spiel sein dürften, unterstreicht die Aussage von Thomas Preis. Der Chef des Apothekerverbands Nordrhein geht, sollte es nicht zu einer erneuten Verlängerung der Haltbarkeit von Paxlovid kommen, am ehesten von folgendem Szenario aus: „Die Apotheken erwarten, dass der Bund die Packungen zurückkauft.“ Bundesweit gehe es dabei um „Tausende Packungen“, die bereits an die Apotheken ausgeliefert worden sind. Und weiter: „Schließlich konnte das Mittel noch im Februar für 59,90 Euro abgegeben werden. Die neuen Packungen kosten jetzt 1.149,19 Euro.“
Es steht bei dieser Ausgangslage also zu befürchten, dass es niemandem, weder dem Gesundheitsministerium noch Pfizer, in erster Linie um die fachliche Dimension bei der möglichen erneuten Verlängerung von Paxlovid geht, sondern ganz andere Interessen im Vordergrund stehen – Gesichtswahrung auf der einen, oder der große Reibach auf der anderen Seite!
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