Ein Gastbeitrag von Dr. Manfred Schwarz
Immer wieder macht in Zeiten von Corona die Nationale Akademie der Wissenschaften „Leopoldina“ (Halle an der Saale) Schlagzeilen. Deren Präsident Gerald H. Haug hat kürzlich seine Akademie ohne jeden Selbstzweifel in der „Zeit“ als die „unabhängigste und klügste Stimme“ weit und breit bezeichnet. Da sollte man also einiges erwarten dürfen.
Etliche der Leopoldina-Mitglieder gehören in der Corona-Politik zu den ständigen Beratern von Angela Merkel und Jens Spahn. Die zumeist auffällig kurz gehaltenen Corona-„Gutachten“ nennen die Ratgeber „wissenschaftlich“. Besonderes Aufsehen hat zum Beispiel die „Ad-hoc-Stellungnahme“ der Akademie zum Lockdown vom 8. Dezember erregt.
Wie steht es um die fachlichen Kompetenzen der Berater? Beruhen die Expertisen wirklich auf wissenschaftlichen Analysen – oder handelt es sich vielmehr um bestellte Agitation und Propaganda?
‘„Expertin“ ist glühende Bewunderin von Angela Merkel‘
Ein Mitglied der 34-köpfigen quotierten Corona-Beratergruppe aus dem Hause Leopoldina – 50 Prozent davon sind Frauen – ist die Berliner Historikerin Ute Frevert. Ihr berufliches Spezialgebiet ist die „Geschichte der Gefühle“.
Der „Welt“ sagte die Professorin vor Kurzem in einem Interview: „Angela Merkel ist die vielleicht coolste Führungspersönlichkeit, die die Bundesrepublik je hatte – selbstbeherrscht, uneitel, nüchtern, fast grenzenlos belastbar (…) Allerdings hat sie auch Herz und Empathie.“
Ein anderer angeblicher Corona-Experte ist Professor Reinhard Merkel (Hamburg). Vor einigen Jahren veröffentlichte der Rechtsphilosoph im „Spiegel“ einen Verriss von Peter Sloterdijks Bestseller „Kritik der zynischen Vernunft“. Mit unvergleichlicher wissenschaftlicher Noblesse schrieb Merkel: Sloterdijk blase „Wind in die ohnehin prallen Segel eines landläufigen Idiotismus, der schon immer mehr Scheiße als Argumente produziert“ habe. Wenig später konterte Sloterdijk – und bezeichnete Merkel öffentlich als „einen gekauften Schmierenschreiber“.
Charité und RKI: Experten begutachten ihre eigenen Expertisen
Solider daher kommt der Corona-Gutachter Professor Christoph Markschies (Berlin), er arbeitet hauptberuflich als Spezialist für antikes Christentum. 2010 wurde er Vorsitzender der „Kammer für Theologie“ bei der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD). Seit Januar 2012 wirkt er als Kolumnist des kirchlichen Monatsmagazins „Chrismon plus“, verantwortlich für die Auslegung ausgewählter Bibelstellen.
Hoch einflussreich im Berater-Gremium ist Gerald H. Haug, passenderweise auch der Präsident der Leopoldina. Er ist Paläoklimatologe und hat schon mehrfach maßgeblich an der Erstellung von zeitgeistigen Gutachten zum Klimawandel mitgearbeitet.
Den eigentlichen Kern der übrigen honorigen Experten in der Gutachter-Gruppe bilden aber Christian Drosten (Chef der Virologie der Charité) und Lothar H. Wieler (Präsident des Robert-Koch-Institutes). Mit anderen Worten: Drosten und Wieler – ohnehin Corona-Sprachrohre der Regierung Merkel – haben nur mal kurz ihren Hut gewechselt. Sie begutachten zumindest indirekt die Gutachten der Charité und des RKI – also die Expertisen, die sie selbst mit ihren Stäben geschrieben haben.
Das Gegenteil von Wissenschaft: Die Leopoldina vernebelt Stand der Debatte
Ein bekanntes Leopoldina-Mitglied erhebt jetzt erneut schwere Vorwürfe – gegen die Bundesregierung und die Akademie selbst. Der renommierte Kritiker heißt Michael Esfeld, Professor für Wirtschaftsphilosophie an der Universität Lausanne.
Anstatt eine politische Marschrichtung vorzugeben, hätten die „Leopoldina“-Experten „den Stand der Debatte abbilden müssen“, erklärte Esfeld. Es wäre notwendig gewesen, nicht nur die Forderung der Regierungs-Epidemiologen zu skizzieren, die „einen harten, allgemeinen Lockdown“ forderten.
Vielmehr hätten dazu
- auch zu erwartende „gesundheitliche und wirtschaftliche Schäden“ analysiert werden müssen, die mit einem Lockdown zwangsläufig einhergehen;
- „unbedingt“ auch die Position anderer Epidemiologen wiedergegeben oder zumindest erwähnt werden müssen, die zum Beispiel alternativ ganz andere Forderungen erhoben und beispielsweise empfohlen haben, sich frühzeitig auf den Schutz von Risikogruppen „zu fokussieren“;
- Belege (Fußnoten, Literaturverzeichnis zu einer wissenschaftlichen Diskussion) erarbeitet werden müssen;
- Korrekturmeldungen erfolgen müssen, als sich die Leopoldina-Gutachter etwa bei Prognosen zu den Ergebnissen der Coronapolitik in Irland offensichtlich grundsätzlich geirrt haben.
Anschließend, so Esfeld gegenüber der „Bild-Zeitung“, wäre es die Aufgabe der Experten etwa im Gesundheitsministerium gewesen, sich eine eigene (dritte) Meinung zu erarbeiten, um dann einen einigermaßen wissenschaftlich basierten politischen Kurs zu bestimmen.
Stattdessen habe die Bundesregierung völlig kritiklos die Positionierungen und Prognosen der Leopoldina-Gruppe im Kern vollständig übernommen, die von den Regierungsstellen vorher mehr oder weniger offen „bestellt“ worden seien.
Insbesondere die „Stellungnahme der Leopoldina vom 8. Dezember war ein ganz eindeutiges Beispiel von politischem Missbrauch von Wissenschaft“ (Michael Esfeld). Hier hätten sich „Wissenschaftler von der Macht verführen lassen und alle wissenschaftlichen Standards und jegliche Verantwortung über Bord“ geworfen, sagt Esfeld. Und anschließend verkaufe die Bundesregierung die unwissenschaftlichen Texte wider besseres Wissen als „wissenschaftliche“ Aussagen.
‘Expertise‘: Ein Sammelsurium subjektiver Thesen – ohne jede wissenschaftliche Basis
Noch schärfer kritisiert die Zeitung „Die Welt“: „Für keine der geforderten Maßnahmen nennt die Stellungnahme eine belastbare wissenschaftliche Quelle, nennt sie wissenschaftlich gesicherte kausale Zusammenhänge.“
Die Tageszeitung schreibt weiter: „Die sogenannte Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina ist aber alles andere als ein wissenschaftliches Dokument,“ sie sei vielmehr „ein Sammelsurium von sorgenvollen Aussagen über die aktuelle Situation, kombiniert mit einigen drastischen Vorschlägen, die ihre Autorität daraus ziehen sollen, dass die Autoren nun einmal in leitenden Funktionen im Forschungsbetrieb tätig sind“.
Der wissenschaftliche Gehalt der Leopoldina-Expertise sei „so gering, dass wohl jede aufmerksame Zeitungsleserin, jeder ‚Tagesschau‘-Zuschauer und jede internetaffine Gymnasiallehrerin den Text hätte verfassen können, einschließlich der Diagramme, die den Infektionsverlauf in Irland und in Deutschland miteinander vergleichen – eine Grafik, die der Autor dieser Zeilen innerhalb von weniger als einer Minute auf einer bekannten Datenplattform zusammenklicken könnte“.
Vernichtender hätte die Kritik an „Wissenschaftlern“, die der Bundesregierung stets zu Diensten sind, kaum ausfallen können.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
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Dr. Manfred Schwarz (Politologe): Zivillehrer an der Hamburger Landespolizeischule, dann etliche Jahre Berufsschullehrer und Dozent in der staatlichen Lehrerfortbildung (Bereich: Politik); jeweils acht Jahre Medienreferent in der Hamburger Senatsverwaltung und (nebenamtlich) Vizepräsident des nationalen Radsportverbandes BDR (verantwortlich für die bundesweite Medienarbeit / Herausgeber einer Internet-Radsportzeitung). CDU-Mitglied, sechs Jahre Mitglied des Hamburger CDU-Landesvorstands. Heute Autor für verschiedene Internetportale mit den Schwerpunkt-Themen Politik und Medien.
Bild: Lightspring/ShutterstockText: Gast
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