Mobilitätswende mit Hindernissen: So werden E-Scooter zum Risiko Verbände gehen auf die Barrikaden

Von Kai Rebmann

Die Bequemlichkeit des Einen ist die Stolperfalle des Anderen. Mit diesen einfachen Worten lassen sich die Probleme zusammenfassen, die E-Scooter und -Roller als Teil der vor allem von den Grünen beschworenen Mobilitätswende mit sich bringen können. Zumindest dann, wenn diese Gefährte im wahrsten Sinne des Wortes an jedem x-beliebigen Punkt abgestellt bzw. -gelegt werden können. Für blinde oder sehbehinderte Mitbürger wird die selbstbestimmte Mobilität in deutschen Innenstädten dann schnell zum alltäglichen Spießrutenlauf und Sicherheitsrisiko.

Das Statistische Bundesamt geht von etwas mehr als 550.000 blinden oder (hochgradig) sehbehinderten Menschen in Deutschland aus. Stefan Unterstraßer ist einer von ihnen. Im September 2021 stürzte der Münchner in seiner Heimatstadt die Treppe zu einer U-Bahnstation hinunter, weil jemand einen E-Scooter direkt auf den Stufen „geparkt“ hatte.

Die Folge: Unterstraßer war zwei Monate arbeitsunfähig und wartet bis heute auf eine angemessene Entschädigung oder darauf, dass sich Behörden und Anbieter für dieses Thema sensibilisieren ließen: „Die gesundheitlichen Probleme werden mich mein Leben lang begleiten – ebenso die Tatsache, dass es niemanden interessiert.“

Dabei handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall. Die Blindenverbände berichten bundesweit über Dutzende ähnlich gelagerter Fälle, von München über Berlin und Hannover bis nach Bremen.

‚Anbieter und Mobilitätsreferat mauern mit aller Kraft‘

In der Theorie mag das sogenannte „Free-Floating-Modell“, das sich in zahlreichen deutschen Städten im Zusammenhang mit dem Verleih von E-Scootern etabliert hat, eine feine Sache sein: Der Nutzer schnappt sich einen an der Straßenecke stehenden Roller, fährt damit von A nach B und stellt ihn dort dann wieder auf dem Gehweg ab. Die dafür fällige Gebühr wird sekunden- bzw. metergenau berechnet und mittels Handy-Scan und/oder GPS-Tracking ermittelt.

Problem: So reibungslos scheint dieses Modell in der Praxis nicht zu funktionieren. Tatsächlich werden die E-Scooter an den abenteuerlichsten Plätzen achtlos abgestellt, wie zum Beispiel mitten auf einer Treppe. Von Menschen wie Stefan Unterstraßer können diese Hindernisse durch Ertasten kaum – oder wenn, dann häufig erst, wenn es zu spät ist – wahrgenommen werden.

Bei den zuständigen Behörden, in diesem Fall dem Mobilitätsreferat der Stadt München, sei das Problem grundsätzlich zwar bekannt, wie uns das „E-Scooter-Opfer“ auf Nachfrage mitteilt, eine Verantwortung will man aber nicht erkennen. Stattdessen würde dort, wie auch bei den Anbietern selbst, „mit aller Kraft“ gemauert und der Schwarze Peter von der einen zur anderen Stelle weitergereicht.

Unterstraßer beschreibt das so: „Alle Opfer haben eines gemeinsam: Sie bekommen keinerlei Entschädigung oder Schmerzensgeld, da man die Verursacher angeblich nicht ausfindig machen kann und die Anbieter bzw. Kommunen jede Schuld von sich weisen.“ Für Menschen wie Stefan Unterstraßer ist es auch nicht ohne weiteres möglich, die Kennzeichen zu notieren oder zu fotografieren – da sie diese ja nicht sehen können. Und so flüchten sich die Behörden in Durchhalteparolen, wie etwa Münchens Mobilitätsreferent Georg Dunkel, der gegenüber der AZ im Zusammenhang mit der damaligen Berichterstattung beteuerte: „Der Unfall von Herrn Unterstraßer war der Anlass dafür, dass wir intensiver mit den Anbietern in Kontakt getreten sind.“

Getan hat sich seither – nichts. So jedenfalls erleben es die Opfer. Unterstraßer sagt deshalb stellvertretend: „Die Kommunen und Anbieter arbeiten angeblich eng und vertrauensvoll zusammen, um die Probleme zu lösen, was ich persönlich nicht glauben kann, da wir es immer wieder anders erleben.“

E-Scooter-Zeitenwende in Münster und Paris?

Mobilitätswende um jeden Preis also? Diese Frage stellen nicht nur die Opfer immer öfter. Dabei gäbe es eine ganze Reihe praktikabler und schnell umsetzbarer Lösungen für dieses Problem. Am einfachsten wäre es wohl, gesondert ausgewiesene Parkflächen einzurichten, auf denen – und nur dort – die E-Scooter abgestellt werden können. Der Appell an die Vernunft der Nutzer läuft in den meisten Fällen offenbar ins Leere.

Die Stadt München hat eigenen Angaben zufolge bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen. In der Altstadt seien inzwischen solche Parkflächen geschaffen worden. Wer seinen Roller trotzdem wild abstellt, kann die Fahrt nicht beenden und zahlt weiter. Die Erfahrungen damit seien gut, so der Referatsleiter gegenüber der AZ.

Massive Probleme mit E-Scootern gab es in der Vergangenheit auch in Münster. Der Blinden- und Sehbehindertenverband Westfalen (BSVW) sah sich deshalb sogar zu einer Klage gegen das stationslose Vermieten dieser Roller genötigt – und bekam vor dem Verwaltungsgericht Münster Recht. BSVW-Chefin Swetlana Böhm äußerte sich zufrieden: „Bisher wurden wir mit dem Verweis auf freiwillige Selbstverpflichtungserklärungen der Betreiber abgespeist. Nun muss die Stadt nachlegen, und zwar zügig!“

In dem Beschluss wurde zudem klargestellt, dass pauschale „Free-Floating-Modelle“ nicht zulässig seien, sofern keine Erlaubnis für die Sondernutzung des Straßenraums vorliegt. Man erwarte nun, dass dieses Signal auch in anderen Kommunen und beim Deutschen Städtetag ankomme, wie Andreas Bethke vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband ergänzte.

Klagen auf Schmerzensgeld oder Schadenersatz zu Lasten der Kommunen oder Betreiber scheitern aber weiterhin regelmäßig, so wie zuletzt etwa in Bremen. Offensichtlich möchte auch hier kein Richter der erste sein, der aus der bisher gefahrenen Linie ausschert. Denn eines scheint auch klar – werden E-Scooter und Co von der deutschen Justiz erstmal als tatsächliches Sicherheitsrisiko wahrgenommen, stießen die kommunalen Konzepte zur Mobilitätswende vielerorts an ihre Grenzen oder müssten zumindest grundlegend umgeschrieben werden.

Studie sieht Tendenz zu rücksichtslosem Verhalten

Und selbst ein vollständiges Verbot von E-Scootern in Innenstädten scheint nicht mehr ausgeschlossen. Ein solches will Stefan Unterstraßer zwar nicht direkt fordern, stellt aber auch klar, dass dies wohl die letzte Konsequenz sein müsste, wenn es keine vernünftige Lösung für die geschilderten Probleme gäbe. In Paris haben sich im Rahmen einer Bürgerbefragung bereits 89 Prozent der Bevölkerung für die Abschaffung der Roller-Mietmodelle ausgesprochen. Ob die Ende August auslaufenden Verträge mit den aktuellen Betreibern verlängert werden, steht in den Sternen.

Die Kritik von Blindenverbänden und ihren Mitgliedern wird auch durch eine vom „Fachverband Fußverkehr Deutschland“ (FUSS e.V.) und dem Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin publizierte Studie untermauert. Demnach hat FUSS e.V. Ende Oktober 2022 eine Woche lang „systematisch untersucht, wie viele Störungen, Gefährdungen, Rechts- und Regelbrüche durch E-Scooter, Fahrräder und E-Mopeds von Sharing-Anbietern in Berlin verursacht wurden.“ In drei repräsentativ ausgewählten Stadtgebieten seien zu diesem Zweck „alle sichtbaren Sharing-Zweiräder“ erfasst worden.

Ergebnis: 67,5 Prozent der Fahrzeuge standen oder lagen „behindernd, gefährdend, rechts- oder regelwidrig“ auf den Straßen und/oder Gehwegen herum. Im Schnitt stießen Fußgänger alle 77 Meter auf ein solches Hindernis. Auf das gesamte Stadtgebiet hochgerechnet ergaben sich hieraus mehr als 20.000 Störungen täglich. Das Fazit der Autoren: Die seit dem 1. September 2022 geltenden Sondernutzungsbestimmungen seien in Berlin schon zwei Monate später bereits „millionenfach gebrochen“ worden.

Zur Wahrheit gehört sicherlich auch, dass die vorliegende Studie von Verbänden bzw. Vereinen durchgeführt wurde, die die berechtigten Interessen von Blinden und Sehbehinderten vertreten. Fälle wie jener von Stefan Unterstraßer und tausender anderer durch achtlos herumliegende E-Scooter gefährdeter oder sogar geschädigter Menschen zeigen aber überdeutlich: Mit dem Wildwuchs, wie er bisher in deutschen Innenstädten zu beobachten ist, kann es in dieser Form nicht mehr weitergehen.

Und dann wäre da ja auch noch die Frage nach der Umweltbilanz, einem der wohl wichtigsten Argumente für diese Sharing-Modelle. Diese fällt keineswegs so positiv aus, wie es auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Zumindest dann nicht mehr, wenn man berücksichtigt, dass diese Roller nachts von Autos – nicht selten von Verbrennern – eingesammelt, an zentraler Stelle aufgeladen und anschließend wieder an die Stationen ausgebracht werden.

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Werner Spremberg/Shutterstock

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