Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Ulrich Kutschera
Am 3. September 2021 hat ein prominenter deutscher SPD-Politiker in einem Interview die folgende Wahrheit ausgesprochen: „50 Millionen sind jetzt zweimal geimpft. Wir waren ja alle die Versuchskaninchen für diejenigen, die bisher abgewartet haben. Deshalb sage ich als einer dieser 50 Millionen: es ist gut gegangen! Bitte macht mit!“
Dieser kluge Mann, inzwischen zum Bundeskanzler aufgestiegen, wusste vermutlich nicht, dass seit März 2020 ein anderer „Nager“, der Syrische Goldhamster (Artname: Mesocricetus auratus) als das Modellsystem in der biomedizinischen Corona-Forschung gilt. Goldhamster sind echte Nagetiere (Rodentia), während die „Versuchskaninchen“ des zitierten SPD-Politikers (Artname: Oryctolagus cuniculus) zur Ordnung der Hasenartigen (Lagomorpha) zählen. Da beide Säugetierarten aber eine „nagende Ernährungsweise“ ausgebildet haben, können wir Syrische Goldhamster durchaus als die „Versuchskaninchen“ der Corona-Forschung bezeichnen.
Ganz im Sinne des ersten Teils dieses originellen Politiker-Zitats werden seit Frühjahr 2020 die bereits genannten syrischen Nagetiere weltweit als Modellorganismen eingesetzt, um die Infektion, d.h., Ansteckung mit Viren, den Transport im Körper und die krankmachenden Wirkungen dieser ursprünglich aus Wuhan/China stammenden Viruspartikel zu untersuchen. Genau wie beim Menschen sind auch alternde Syrische Goldhamster nach gezielter Infektion mit Coronaviren über die Nasenöffnung krankheitsempfindlicher als jüngere Artgenossen. Weibliche Goldhamster reagieren, wie Menschen-Frauen, in Folge eines effizienteren Immunsystems weniger intensiv auf virale Infektionen, oder kurz gesagt, sie leiden weniger und erholen sich rascher als männliche Artgenossen (siehe den Fachartikel von A. M. Braxton et al.: Hamsters as a model of Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus-2. Comp. Med. 71, 398-410, 2021).
Harvard-Biologen haben in Kooperation mit Kollegen anderer US-Forschungseinrichtungen untersucht, ob die im November 2021 entdeckte „Omikron“-Variante von SARS-CoV-2 bei Syrischen Hamstern dieselben Krankheitssymptome auslösen wie ihre evolutionären Vorgängerformen. Zur Klärung dieser Frage wurden acht Wochen alte, weibliche und männliche Syrische Goldhamster, die sich im Käfig (wie Menschen) über Tröpfchen-Infektion gegenseitig anstecken, ausgewählt. Die Forscher haben fünf verschiedene Coronaviren-Stämme in ihre Analyse einbezogen: Den Wildtyp-Stamm 2020, die Alpha-, Beta-, und Delta- Varianten von SARS CoV-2, sowie Omikron-Laborstämme.
Die „Versuchskaninchen“ (d. h. Syrische Goldhamster) wurden über ihre Nasenöffnungen in verschiedenen Versuchsdurchgängen mit jeweils einem dieser 5 Coronaviren-Varianten infiziert. Diese Ansteckungen mit den viralen Krankheitserregern wurden daraufhin mikroskopisch überprüft und bestätigt. Die Ergebnisse dieser Forschungen führten zu einer grundlegenden Entdeckung: Während die vier zuerst genannten Coronaviren-Varianten (Wild-Stamm 2020, die Alpha-, Beta-, und Delta- Typ) in allen Versuchsreihen zu klaren, objektiv nachweisbaren Krankheitssymptomen führten, war die Omikron-Variante, auch bei hundertfach höherer Konzentration, diesbezüglich wirkungslos.
Wie können Biologen bei Syrischen Goldhamstern COVID19-Krankheitssymptome erfassen und messen? Bei Infektionen mit den vier oben genannten SARS-CoV-2-Varianten nehmen die „Versuchskarnickel“ im Rundum-versorgten-Laborumfeld innerhalb von sechs Tagen um bis zu 17 % ab. Das heißt, die infiziert-erkrankten Hamster verlieren deutlich-messbar und in allen Versuchsreihen reproduzierbar in etwa dieselbe Körpermasse. In den meisten Fällen entwickeln die infizierten Hamster rasch eine natürliche Immunität, um dann innerhalb einiger Tage wieder ihre ursprüngliche Körperfülle zu erreichen. Vereinfacht gesagt: Die an COVID-19 erkrankten Kleinsäuger hören auf zu fressen und nehmen erst wieder Nahrung auf, sobald sie immunologisch auf dem Weg zur Besserung sind.
Mikroskopische Untersuchungen haben gezeigt, dass auch die mit Omikron-Coronaviren infizierten Hamster im Nasen- und Rachenbereich Viruspartikel im Körper trugen, die sich dort vermehrten: sie hatten dabei aber keinerlei Gewichtsverlust zu erleiden! Die Ansteckung mit den Omikron-Viren hat ebenso gut funktioniert wie im Fall der vier krankmachenden Virus-Varianten (Originalpublikation, siehe: McMahan, K.: Reduced pathogenicity of the SARS-CoV-2 Omicron variant in hamsters. bioRxiv-Preprint, Jan 3., 2022).
Als Fazit dieser Goldhamster-Forschungen zogen die Autoren weitreichende Schlussfolgerungen. Ebenso wie beim Menschen vermehren sich Omikron-Coronaviren bevorzugt in den oberen Atemwegen (Mund, Nase, Rachen, Kehlkopf) und werden daher leicht über Aerosole usw. an Artgenossen übertragen. Die unteren Atemwege, vor allem die beiden Lungenflügel, werden jedoch von diesen neuartigen Corona-Varianten kaum infiziert. Da aber eine virale Lungen-Infektion zu Entzündungsreaktionen führen kann, die sich dann im Körper ausbreiten und diesen schädigen können, sind die älteren Corona-Varianten wesentlich gefährlicher und aggressiver als die im November 2021 in Afrika entdeckten „Omikrons“. Diese vervielfältigen sich im oberen Atemwegsbereich, werden somit leicht ausgebreitet, und sind somit „sehr ansteckend“. Sie dringen aber nicht, wie ihre Vorläuferformen, tief in die Lunge ein und sind damit – für Mensch und Tier– weniger gefährlich.
Damit soll keineswegs gesagt werden, dass die Omikron-Variante ein „komplett zahnloser Corona-Tiger“ ist. Auch leichte grippale Infekte können bei Menschen zu massiven Gesundheitsproblemen führen. Dennoch bleibt die klare Erkenntnis, dass mit der Evolution des SARS-CoV-2-2020-Wildtyps über Alpha, Beta und Delta zu Omikron die Corona-Problematik möglicherweise bald beendet sein wird: Ausbreitung eines relativ harmlosen Erregers in der Population, mit nachfolgend herbeigeführter Herdenimmunität.
Zurück zum eingangs zitierten SPD-Politiker im Kanzleramt. Es ist erfreulich, dass bei diesem werten Herrn bis heute das „Versuchskaninchen-Menschenexperiment“, d.h. mehrfache Corona-Impfungen, ohne negative gesundheitliche Folgen geblieben ist. Auf Grundlage dieses glücklichen Einzelfalls dann aber Millionen Personen, die ihr Grundrecht auf körperliche Selbstbestimmung wahrnehmen, zum „Versuchskarnickel-Spielen“ zu nötigen, halte ich für unakzeptabel und menschenunwürdig.
Prof. Dr. Ulrich Kutschera ist ein in Deutschland und den USA tätiger Evolutionsbiologe und Physiologe. Als Autor von über 300 wissenschaftlichen Publikationen und 14 Fachbüchern verfügt er über ein breites Spektrum experimenteller Erfahrungen, auch zum Thema „Sexual- und Humanbiologie“, siehe www.evolutionsbiologen.de.
Bild: Igor Kovalchuk/ShutterstockText: Gast