Von Ekaterina Quehl.
Wladimir Pastuchow ist Politologe und Jurist und Senior Fellow des University College of London. Er war in einer beratenden Funktion für das Verfassungsgericht Russlands tätig. Er schrieb regelmäßig für die Nowaja Gaseta – eine der letzten kritischen Zeitungen in Russland, die massiv unter Beschuss stand, kurz nach Kriegsbeginn schließen musste und für die auch Boris Reitschuster tätig ist. Pastuchow war regelmäßig Gast beim regierungskritischen Sender Echo Moskau und gibt immer noch regelmäßig Interviews, unter anderem zum Krieg in der Ukraine, auf Ersatzkanälen des Senders nach seiner Schließung im März 2022. Pastuchow schrieb mehrere Bücher und verfasste mehrere wissenschaftliche Artikel zu verfassungsrechtlichen und politikwissenschaftlichen Fragen. Für mich ist er einer der klügsten Köpfe in Sachen Russland, seine Einschätzungen halte ich für überaus interessant. Ich habe für Sie seine Kurz-Analyse über den Auftritt Putins auf dem 25. Wirtschaftsforum in St. Petersburg übersetzt.
Auf dem internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg wirkte Putin so, als ob er in seine psychologische Komfortzone zurückgekehrt ist, aus der er zuvor für drei Monate herausgeflogen ist. Er wirkte sehr erleichtert. Auch fing er an, das Publikum wieder zu „digitalisieren“ – dies ist seine persönliche Methode, das Problem wegzuplaudern, indem er die Zuhörer in einem Ozean schlecht verifizierter Zahlen und Fakten ertrinken lässt und dabei seine „Hyperkompetenz“ demonstriert („Kompetenzen“ ist übrigens eines der Lieblingswörter des Präsidenten). Er klang wieder laut und übermütig, wie in den Vorjahren. Ich sehe mehrere Gründe für Putins Renaissance:
Zuerst wurde es ihm erklärt und er scheint es zu glauben, dass „Plan B“ (langer und anstrengender Krieg) sogar besser ist als „Plan A“ (Blitzkrieg mit Regierungswechsel in Kiew). Jetzt wird er darauf warten, dass nicht die Ukraine, sondern der gesamte kollektive Westen, geführt von den USA, unter dem Gewicht der Sanktionen gegen Russland erschöpft zusammenbricht und Russland auf den Knien um Gnade anbetteln wird. Dies ist keine unmittelbare Angelegenheit, daher kann man sich vorerst entspannen.
Zweitens, es wurde ihm klar – und das ist wirklich wahr –, dass die erste Dreimonatsfrist, in der die Sanktionen zumindest irgendwie hätten wirken sollen, verstrichen ist. Dabei ist keine Katastrophe eingetreten. Seine Regierung hielt die Wirtschaft über Wasser. Der Westen hielt sich zurück, für beide Seiten entscheidende Maßnahmen zu ergreifen, die zu schnellen Folgen führen würden. Alles wird zu einem Verschlechterungswettbewerb, und in diesem Sport hat Russland einige Fähigkeiten. Die nächste Krise ist Ende des Jahres zu erwarten, wenn die Probleme kritischer Infrastrukturen eskalieren werden sowie in ca. drei Jahren, wenn Europa Russland in seinem eigenen Tempo aus seinen Energiemärkten verdrängen wird. Aber das alles passiert nicht morgen, also kann man jetzt doch etwas mit den Zahlen spielen.
Drittens, es wurde klar, dass Russland sich noch einen langwierigen Krieg wie in Afghanistan oder in Tschetschenien leisten kann. Das entscheidende dabei ist, dass dieser Krieg nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die wichtigste ideologische Botschaft von Putins Rede ist daher, den Krieg in ein „sekundäres Ereignis“ zu verwandeln, ihn zu einem hintergründigen Geschehen zu machen – wie eine leise Melodie in einem Auto-Radio. Nach dem Motto: Wir gehen hier unseren großen Modernisierungsweg und irgendwo werden parallel Kriegslieder gesungen.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Text: eq/Gast
Übersetzung: Ekaterina Quehl
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