Von Ekaterina Quehl
Im November letzten Jahres hat die Regierung Russlands über die Einführung von QR-Codes für viele Bereiche des öffentlichen Lebens sowie für den Verkehr diskutiert. Am 21. Januar wurden die beiden Gesetzentwürfe bei der ersten Anhörung in Duma einstimmig gekippt.
Bereits Ende des vergangenen Jahres wurde in vielen Regionen Russlands eine QR-Code-Regelung eingeführt. Viele öffentliche Bereiche waren von nun an nur noch für Geimpfte und Genesene zugänglich. Die Kontrolle soll über das Auslesen des QR-Codes erfolgen, den man bei vorliegender Voraussetzung über das Portal Gosuslugi (eine russische Online-Version für Bürger- und Sozialämter) erhält. Auch entsprechende Hinweise hängen an den Eingangstüren dieser Einrichtungen. Zusammen mit denen über weitere Einschränkungen wie etwa Maskenpflicht oder Abstandsregelungen.
Auch in St. Petersburg wurde die neue Regel ab dem 2. Januar eingeführt. Einkaufszentren, Gastronomie, Fitnesszentren und viele andere Bereiche sind offiziell nur noch für „2G-Menschen“ zugänglich.
So die offizielle Situation.
Als die QR-Regel in Russland eingeführt wurde, war ich nicht nur entsetzt, sondern auch sehr gespannt, wie Russen damit umgehen würden. Denn bis jetzt haben wir für viel Absurdes und Unlogisches im Recht und Gesetz eine Art „russische Lösung“ gefunden. Also einen Weg, wie man die unsinnigen Regeln umgeht.
Die QR-Regel stellt viele Firmen und Privatpersonen unter einen enormen wirtschaftlichen und sozialen Druck. Im Laufe der letzten zwei Jahre haben viele Unternehmen insbesondere im Bereich Tourismus, Service und Gastronomie einen großen wirtschaftlichen Schaden bekommen. Eine derartige Einschränkung greift nicht nur in die Grundrechte der Bürger ein. Sie bedeutet für viele schlicht Insolvenz. Deshalb war ich mir sehr sicher, dass Russen auch für die QR-Code-Regelung eine Lösung finden würden.
Proteste, ziviler Ungehorsam und schlichte Inakzeptanz
Auf die Entscheidung in der Moskauer Duma hin haben viele Regionen sofort reagiert und in vielen Bereichen öffentlichen Lebens die QR-Codes abgeschafft.
In einigen Regionen, in den die QR-Regelung noch gilt, formieren sich öffentliche Proteste: in Form von Petitionen, Strafanzeigen, Straßenprotesten aber auch zivilem Ungehorsam. Selbst kommunale Behörden rufen Bürger auf, gegen diese Einschränkungs-Maßnahme vorzugehen. In Deutschland unvorstellbar.
Insbesondere in St. Petersburg, wo die QR-Code-Regelung offiziell bis Ende März dauern soll, protestieren immer mehr Betroffene. So ignorieren viele Gastronomie-Unternehmen ganz offen die QR-Code-Regel und machen ihren Protest aktiv über soziale Netzwerke publik. Sie schreiben, dass sie in dieser Art der Einschränkung eine große Gefahr für Bürgerrechte sehen und dass außerdem keinen Anlass sowie keine Rechtsgrundlage dafür bestünde. Sie würden ihre Gäste somit ohne jegliche QR-Code-Kontrolle reinlassen, was sie dann auch tatsächlich tun.
Diese Art des zivilen Ungehorsams nahm eine rapide Entwicklung an und es bildete sich unmittelbar nach der Einführung der Regel eine Protestbewegung namens „QR-Widerstand“, der sich bereits Anfang Januar 69 Cafes, Bars, Kaffeeshops, Restaurants und anderen Unternehmen anschlossen. Mittlerweile nehmen am „QR-Widerstand“ 176 Unternehmen teil. Auf der Seite www.qr-code.net (ein Wortspiel: „Nein“ heißt auf Russisch „Net“) kann man nicht nur die Liste mit den „QR-freien Unternehmen“ finden, sondern bei Wunsch auch sein eigenes als solches eintragen.
Am vergangenen Wochenende machte die Polizei viele Razzien und daraufhin wurden 20 Cafés und Restaurants geschlossen. Doch weder schüchterte diese Aktion die Unternehmer ein, noch änderte sie etwas an ihrem Vorhaben. Die Motivation, das Geschäft und die Kunden zu behalten und die Angst um die eigene Existenz sind viel größer als die Angst vor einer Corona-Infektion und den Behörden.
Die St. Petersburger Regierung scheint von der Protestbewegung beunruhigt zu sein. Der Termin, an dem die mögliche Verlängerung der QR-Code-Maßnahme besprochen werden muss, wurde schon zwei Mal verschoben und soll laut aktuellen Meldungen am 28. Januar stattfinden.
Neben dem öffentlichen Widerstand scheint auch der allgemeine Umgang mit der QR-Code-Regelung alles andere zu sein, als es die offiziellen Vorgaben vorschreiben. Bei meiner aktuellen Reise nach Russland habe ich mich nach „russischen Lösungen“ umfangreich erkundigt und diese auch selbst erlebt.
Noch während die Einführung der QR-Codes in Planung war, wurden auf dem Schwarzmarkt schon QR-Codes frei zum Verkauf angeboten, so dass sich viele umsichtige Russen bereits im Herbst des vergangenen Jahres einen QR-Code „besorgt“ haben. Auch heute kann sich ein Petersburger schon ab 12.000 Rubel (ca. 140 Euro) einen ganz offiziellen QR-Code erwerben, inklusive den Eintrag bei der Meldestelle des Bürger-Portals Gosuslugi.
Aber diese „Vorsorgemaßnahme“ scheint überwiegend nur zur Absicherung getroffen worden zu sein, denn kontrolliert wird es entweder nur mit einem Auge oder gar nicht. Eine Gastronomie-Angestellte aus St. Petersburg erzählte, dass sie bei der überwiegenden Zahl der Gäste nur so tut, als ob sie den QR-Code abliest und die Gäste nur so tun, als ob sie es gezeigt haben. Ihr Chef sagte ihr, dass es gut wäre, wenn im Laufe des Tages für das Geschäft 30-40 richtig abgelesene QR-Codes zusammenkommen würden, damit es bei einer möglichen Kontrolle plausibel aussehen würde. Eine Angestellte im öffentlichen Dienst berichtete, dass trotz der Vorschriften ihr QR-Code kein einziges Mal kontrolliert wurde.
Auch in Sotschi gehen Menschen damit sehr gelassen um. Mein QR-Code von der Einreiseanmeldung wurde nur ein einziges Mal abgelesen, obwohl ich durch mehrere Kontrollstellen an Einkaufszentren vorbeimusste. Aber selbst bei diesem einzigen Mal, als ich dem Kontrolleur angedeutet habe, mein QR-Code wäre höchstwahrscheinlich mit seinem Gerät nicht lesbar, zeigte er mir nach dem Ablesen einen unverständlichen Zahlen- und Buchstaben-Salat auf dem Bildschirm seines Geräts, lächelte mich dabei an und sagte: „Doch doch, mit meinem Gerät kann ich alles ablesen, gehen Sie durch!“
In kleinen Geschäften, Cafés und Restaurants fragt man höchstens, ob der Gast einen QR-Code hat. Aber auch das nur sehr selten. Menschen kommen einfach rein, vorbei an den Hinweisschildern über die QR-Code-Regelung und Maskenpflicht.
Selbst bei einem Zahnarzt, den ich besuchen musste, wurde ich weder aufgefordert, einen QR-Code zu zeigen noch eine Maske zu tragen. Trotz der schriftlichen Aufforderung am Eingang.
Insgesamt scheint die Akzeptanz der QR-Regel sehr niedrig in Russland zu sein. Menschen wollen so gut wie es geht ihr Leben, ihr Geschäft und ihren Alltag behalten. Und obwohl es viele Erkrankte und noch viele offizielle Einschränkungs-Maßnahmen gibt, steht das Thema Corona schon längst nicht mehr im Vordergrund des gesellschaftlichen Lebens.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge von anderen Autoren geben immer deren Meinung wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin, und lebt seit über 16 Jahren in Berlin. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Mit 27 kam sie nach einem abgeschlossenen Informatik-Studium aus privaten Gründen nach Berlin und arbeitete nach ihrem zweiten Studienabschluss viele Jahre als Übersetzerin, aber auch als Grafik-Designerin. Mittlerweile arbeitet sie für reitschuster.de.
Bild: qr-code.net, Instagram Alexander Konovalov, Gründer der Protest-Bewegung „QR-Widerstand“, privatText: eq