Schocktherapie – Meine Rückkehr nach Berlin Gelandet im Chaos

Von Ekaterina Quehl

„Der Flughafen Berlin Brandenburg bietet nicht nur direkte Verbindungen nach Deutschland, Europa und in die Welt, sondern ebenso eine Bühne für große und kleine Geschichten rund um die Historie und Architektur des neuen Hauptstadtflughafens“, begrüßt mich die Rubrik „Überblick“ der BER-Webseite.

Die Geschichte, die ich am BER-Flughafen erlebt habe, ist zwar von heute, könnte aber wegen ihrer Kuriosität eher zum historischen Überbleibsel zählen. Aus den Zeiten, in denen die Geschwindigkeit des Lebens noch analog und Warteschlangen ein planbarer Bestandteil des Terminkalenders waren. Oder mehr noch: Sie erinnerte mich an meine Reisen in Russland in den 90ern, bei denen die Abläufe noch sowjetisch waren, aber die Erwartungshaltung der Reisenden schon fast europäisch.

Nach der Landung aus einem nicht europäischen Land muss man in der Regel zu einer Passkontrolle. Doch als wir uns in die Warteschlange nach dem Flug aus St. Petersburg stellen wollten, waren die Schalter gefühlt erst am Horizont zu sehen. Hunderte von Menschen, offensichtlich auch aus mehreren Fliegern, mussten an den Grenz-Polizisten vorbei. „Nicht schlimm“, dachte ich. Bei der Menge der Schalter werden bestimmt alle in wenigen Minuten abgefertigt. Zumindest ging es heute so in Pulkovo, dem St. Petersburger Flughafen: In 15 Minuten hatten wir sämtliche Kontrollen hinter uns.

Nicht berücksichtigt hatte ich dabei aber eine Kleinigkeit: Das Mittagessen eines Beamten ist heilig und darf nicht verpasst werden. Auch dann nicht, wenn Hunderte während (zumindest den Nachrichten der größten Medien zufolge) der vierten Corona-Welle darauf warten, den Beamten ihre Einreiseanmeldung und den negativen PCR-Test zu zeigen. Um sich danach schnellstmöglich in eine 10-tägige Quarantäne zu begeben. Denn ohne diese können die Passagiere zwar zwei Stunden lang im Gedränge in einem geschlossenen Raum auf eine Passkontrolle warten, dürfen aber den deutschen Boden danach nicht betreten.

Als sich herausstellte, dass von den vielen Schaltern nur drei arbeiteten, wandte sich ein junger Mann neben mir in der Schlange an einen der vielen herumlaufenden Flughafen-Mitarbeiter, deren Aufgabe uns ein Rätsel war. Er bat ihn, irgendwas gegen das Gedränge zu unternehmen.

„Ich kann Ihnen nicht helfen“, sagte der Flughafen-Mitarbeiter. „Es sind eben nur wenige Beamte da. Wir haben zu wenig Personal.“

„Das ist doch unmöglich! Können Sie etwas organisieren, damit wir hier nicht stundenlang warten müssen?“, fragte der junge Mann.

„Ich kann nichts machen, es ist auch nicht meine Aufgabe! Wenn es Ihnen nicht gefällt, dann fliegen Sie eben nicht.“

Wir wandten uns an eine andere herumlaufende Mitarbeiterin, deren Aufgabe uns ebenfalls nicht klar war. „Sie sehen doch, sie machen ihre Arbeit am Schalter. Es geht eben so schnell, wie es geht. Ich kann Ihnen nicht helfen, ich habe doch nur meinen Befehl auszuführen und Sie werden mir bitte nicht erklären, wie ich das zu tun habe“, erwiderte sie und versuchte, die Warteschlange etwas zu verteilen.

Der junge Mann rief dann direkt beim Flughafen an. „Welche Warteschlange – wie meinen Sie das? Sie behaupten, Sie sitzen vor den Kameras und sehen den leeren Saal? Habe ich am falschen Flughafen angerufen?“ Ich sah, wie sich die Farbe in seinem Gesicht – zumindest die von dessen sichtbaren Teilen – ins Dunkelrote verfärbte.

„Bitten Sie ihn doch, uns die Stelle zu zeigen, wo es gerade leer ist, damit wir entspannt dahin gehen können“, sagte ich dem jungen Mann. Ich hörte genervtes Gelächter in der Schlange. Einige Wartende schienen ihre Geduld zu verlieren. Viele beschwerten sich laut. Es ist uns aber beiden aufgefallen, dass es nur Ausländer waren. Ich erinnerte mich an die riesige Warteschlange am Flughafen Pulkovo bei meiner letzten Reise. Hunderte Wartende, zwei geöffnete Schalter. Reisende haben sich gleich massiv beschwert und das Problem war in wenigen Minuten mit drei zusätzlichen geöffneten Schaltern gelöst.

Während der junge Mann noch sein Telefon in der Hand hielt, stand ein Grenz-Polizist an der Pass-Kontrolle auf und schloss den Schalter – direkt vor den Nasen der Wartenden. In einer Sekunde war der junge Mann vor dem Schalter und klopfte an das Fenster: „Ich telefoniere gerade mit dem Flughafen. Die behaupten, es gibt hier keine Warteschlange. Machen Sie bitte so, dass es wahr wird!“ „Ich habe jetzt eine Pause, tut mir leid!“ „Dann sagen Sie es dem, mit dem ich gerade spreche!“, gab der junge Mann nicht auf.

Als Menschen merkten, dass der Schalter scheinbar doch nicht geschlossen wird, bildeten sie in wenigen Sekunden wieder eine Warteschlange vor ihm. Der Beamte gab dann endlich nach.

Nach anderthalb Stunden des Wartens haben wir endlich die Pass-Kontrolle erreicht: „Ihre Einreiseanmeldung und Ihren Impfnachweis oder Ihren negativen Test bitte!“ Die Aufforderung klang für mich fast sarkastisch.

Willkommen im „besten Deutschland aller Zeiten“, dachte ich. Wenn es in seinem Hauptstadt-Flughafen eine zivilisierte Ankunft nicht auf die Reihe bekommen kann, wie will es denn die Welt vor Pandemien, Klimawandel oder wenigstens vor den Dealern im Görlitzer Park retten?

Früher, in den 90ern, als ich von St. Petersburg nach Berlin flog, hatte ich immer das Gefühl einer Zeitreise: Die moderne Zukunft begrüßte mich mit kurzen Wegen, freundlichem, hilfsbereiten Personal und schnellen Abläufen. Heute begrüßte mich die Vergangenheit. Oder ist es unsere neue Zukunft? 

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge von anderen Autoren geben immer deren Meinung wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin, und lebt seit über 16 Jahren in Berlin. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Mit 27 kam sie nach einem abgeschlossenen Informatik-Studium aus privaten Gründen nach Berlin und arbeitete nach ihrem zweiten Studienabschluss viele Jahre als Übersetzerin, aber auch als Grafik-Designerin. Mittlerweile arbeitet sie für reitschuster.de und studiert nebenberuflich Design und Journalismus.

Bild: Shutterstock
Text: eq

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