Seibert zur RT-Sperre: „Ich verstehe Ihre Frage nicht“ Verbreitet die Bundesregierung "Verschwörungstheorien"?

„Für die Bundesregierung ist die Pressefreiheit ein hohes Gut, und wir verteidigen sie im In- wie im Ausland“ – mit diesen Worten beantwortete Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert gestern auf der Bundespressekonferenz die Frage nach der Löschung von zwei Kanälen des russischen Staatssenders RT mit mehreren Hunderttausend Abonnenten auf Youtube. 

Selten wurde Doppelmoral so deutlich. Seit Monaten spreche ich Seibert immer wieder auf illegale und willkürliche Zensur in den sozialen Netzwerken an – der auch ich regelmäßig unterzogen werde. Immer gibt sich Seibert als Unbeteiligter und liefert die gleichen Phrasen, die für mich als Betroffenen schlicht zynisch klingen.

Wer die Pressefreiheit verteidigt, der muss die Stimme erheben, wenn sie eingeschränkt wird.

Punkt.

Wer dazu schweigt, macht sich mit den Zensoren gemein.

Die Sache gründet aber noch viel tiefer: Faktisch hat die Bundesregierung unter Angela Merkel Zensur „outgesourct“. Also an Konzerne delegiert. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist einer der Höhepunkte dieser Entwicklung. Wer sich ansieht, was zensiert wird und was nicht, der kann nicht übersehen: Konzerne und Regierung sind hier völlig auf einer Wellenlänge.

Steffen Seibert hat sich gestern auf der Bundespressekonferenz bei dem Thema Zensur in meinen Augen mehrfach selbst verraten.

Ich habe deshalb die zwölf Minuten noch einmal extra analysiert in einem eigenen Video. Sehen Sie es sich hier an. Unten füge ich noch das Wortprotokoll der entsprechenden Passage bei.

YouTube player
Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

JOLKVER (Deutsche Welle): Herr Seibert, Sie sagen immer, für die Bundesregierung sei die Pressefreiheit ein hohes Gut. Wie bewerten Sie die Sperrung von zwei RT-Kanälen in Deutsch durch Youtube?

SEIBERT: Erstens. Es ist so: Für die Bundesregierung ist die Pressefreiheit ein hohes Gut, und wir verteidigen sie im In- wie im Ausland.

Zweitens. Wir haben die Entscheidung von Youtube zur Kenntnis genommen. Weil es anderslautende Erzählungen gerade auf russischen Kanälen gibt, will ich ganz glasklar sagen: Das ist eine Entscheidung von Youtube. Die Bundesregierung oder Vertreter der Bundesregierung haben mit dieser Entscheidung nichts zu tun. Wer das behauptet, der bastelt sich eine Verschwörungstheorie zurecht. Es ist eine Entscheidung von Youtube. Youtube hat sie begründet. Wir nehmen das zur Kenntnis.

JOLKVER: Steht die Bundesregierung in Kontakt mit russischen Stellen, die jetzt damit drohen, sozusagen als Gegenschlag deutsche Sender, unter anderem die Deutsche Welle, ARD und ZDF, zu blockieren, sodass sie in Russland nicht mehr im Netz zu sehen sind?

SEIBERT: Aus unserer Sicht gibt es überhaupt keinen Anlass für solche, wie Sie es nennen, Gegenschläge gegen deutsche Medien, die in Russland arbeiten. Wer solche Gegenschläge fordert oder davon spricht, der zeigt aus unserer Sicht kein gutes Verhältnis zur Pressefreiheit.

REITSCHUSTER: Herr Seibert, ich bin jetzt etwas verwirrt. Ich war 16 Jahre Moskau-Korrespondent und habe das alles sehr gut verfolgt. Wenn in Russland etwas gegen deutsche Sender getan wurde, auch in letzter Zeit, dann hieß es immer, das seien private Firmen, das sei die private Wirtschaft, und die Bundesregierung hat das dann immer verurteilt. Nach Ihrer jetzigen Aussage wäre das eine Verschwörungstheorie.

Wo ist der Unterschied? Warum sind es in Russland nicht die private Firma oder die privaten Netzwerkbetreiber, während sie es umgekehrt hier sind?

SEIBERT: Herr Reitschuster, ich muss jetzt ehrlich sagen: Ich verstehe Ihre Frage nicht.

REITSCHUSTER: Dann erkläre ich es gern noch einmal.

Wenn in Russland gegen deutsche Sender vorgegangen wird, dann sagt man: Das ist nicht die Regierung; das ist der private Netzwerkbetreiber. Die Bundesregierung sagt trotzdem: Das ist politischer Druck.

Jetzt haben wir hier die gleiche Situation. Sie sagen: privater Netzwerkbetreiber.

Wo ist der Unterschied?

SEIBERT: Hier handelt es sich um eine Entscheidung von Youtube, die Youtube mit den Regeln begründet, die es sich als Plattform selbst gegeben hat.

In Russland hat es Maßnahmen gegen ausländische Medien oder auch ausländische NGOs gegeben, die wir kritisiert haben, weil es staatliche Maßnahmen waren.

REITSCHUSTER: Nein, in vielen Fällen waren es auch private Maßnahmen. Ich gehe mit Ihnen konform in der Ansicht, dass der Staat dahinterstand. Aber formell waren es oft auch private Maßnahmen, zum Beispiel von Netzwerkbetreibern.

SEIBERT: Wir müssen das im Einzelfall diskutieren. Hier geht es jetzt um Maßnahmen, die Youtube gegen Russia Today und, so meine ich, einen Zweitkanal aufgrund der sich von Youtube selbst gegebenen Regeln ergriffen hat. Das nehmen wir zur Kenntnis. Für die betroffenen Sender gibt es sicherlich Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Aber wir nehmen es zur Kenntnis. Es ist keine staatlich ergriffene Maßnahme durch die Bundesregierung. Da dies aber behauptet wird, ist es mir ein Anliegen, dies hier klar zurückzuweisen.

ROSE: Steht die Lizenz für RT Deutsch in Deutschland im Zusammenhang mit Youtube, wie die Chefin von Russia Today behauptet?

SEIBERT: Zu der Maßnahme, die Youtube ergriffen hat, habe ich mich geäußert. Die Frage einer Lizenz, die in Deutschland gar nicht beantragt worden ist und im Übrigen auch nicht bei der Bundesregierung, sondern bei der zuständigen Medienanstalt zu beantragen wäre, ist eine völlig andere.

JUNG: Hier geht es ja darum, dass ein suspendierter Youtube-Kanal trotz Suspendierung auf einem anderen Kanal Videos hochgeladen hat, was dem Kanal verboten war. Dementsprechend ist jetzt die Sperrung bzw. die Löschung erfolgt. Das heißt, die haben einfach gegen die Regeln verstoßen, die Youtube auferlegt hat.

Sind Sie der Meinung, dass die russische Seite das einfach nicht verstehen will, daraus einen staatlichen Akt konstruiert und unter anderem von einem beispiellosen Akt der Medienaggression spricht, oder muss die deutsche Seite, vielleicht das Außenministerium, den Russen das einfach nur erklären?

SEIBERT: Ich möchte das jetzt hier nicht weiter kommentieren. Mir ist es wichtig, klarzumachen, worum es sich hierbei handelt und worum es sich nicht handelt. Es handelt sich um eine Maßnahme, eine Entscheidung, die Youtube getroffen hat. Gründe dafür haben Sie genannt. Es ist die Durchsetzung der eigenen Regeln durch Youtube. Solche Regeln müssen natürlich transparent sein und gleichmäßig auf alle Personen oder Organisationen angewendet werden. Es handelt sich nicht um eine Maßnahme der Bundesregierung oder staatlicher Stellen. Es ist mir wichtig, das klarzumachen.

Nach meiner Überzeugung gibt es auch überhaupt keine Berechtigung für das, was heute in Moskau zum Teil in den Raum gestellt wurde, nämlich in Anführungszeichen „Vergeltungsmaßnahmen“ gegen deutsche Medien in Russland.

Das ist mir wichtig. Weiter will ich das hier nicht bewerten.

JUNG: Frau Adebahr, wird das Außenministerium vielleicht ein bisschen tätig und sagt den Russen, wie die Lage ist?

ADEBAHR: Unsere Gesprächskanäle auch mit der russischen Botschaft sind sehr eng. So ist zum Beispiel auch der Staatssekretär in einem kontinuierlichen Austausch. Wenn es dazu etwas gibt und wir es mit der russischen Seite besprochen haben, dann teile ich das hinterher gern mit.

JOLKVER: Herr Seibert, wann haben Sie von der Sperre erfahren, erst aus den Medien oder etwas früher?

Sie sagten eben, man solle alle gleichbehandeln. Im Netz kursieren sehr, sehr viele Verschwörungstheorien in Bezug auf Corona usw. Aber tut es Ihnen angesichts der Pressefreiheit, die Sie verteidigen, denn nicht leid, dass gerade RT gesperrt wurde und nicht irgendwelche anderen Verbreiter von Fake News?

SEIBERT: Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich persönlich von den Maßnahmen, die Youtube ergriffen hat, aus den Medien erfahren habe.

Weitere Gefühle, die ich dazu habe oder nicht habe, spielen keine Rolle. Wir haben diese Entscheidung zur Kenntnis genommen. Youtube hat sie begründet. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Es ist keine Entscheidung der Bundesregierung.

 
Bild: Boris Reitschuster/RTL/Ekaterina Quehl
Text: br

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