Ein Gastbeitrag von Alexander Wallasch
2019 gab es bei Frank-Walter Steinmeier zum 70. Geburtstag des Deutschen Grundgesetzes eine „Geburtstagskaffeetafel“. Zum Zweiundsiebzigsten des nunmehr vom verschärften Infektionsschutzgesetz gewürgten Grundgesetzes verzichtet der Bundespräsident auf die schwiemelig gemütliche Kaffeetafel. Er hält es für die bessere Idee, am kommenden Freitag zum Geburtstag alternativ sechs Ausländer zur Einbürgerung einzuladen. Geht es ihm um Vielfalt versus eines unter dem verschärften Infektionsschutzgesetz nach Luft ringenden Grundgesetzes? Übrigens: Auch die Hymne muss nicht gesungen werden: zu gefährlich wegen Ansteckungsgefahr!
Am Sonntag feiert das Grundgesetz seinen 72. Geburtstag. Eines kann man jetzt schon sagen: Selten noch fühlte sich ein Rentner an seinem Ehrentag so kränklich. Die große Feier fällt Corona-bedingt aus, der Patient liegt geknebelt am Boden, schon zweimal in der laufenden Legislatur verschärfte die Bundesregierung das Impfschutzgesetz und brachte diese Verschärfungen trotz der damit einhergehenden Einschränkungen der Grundrechte durch das Parlament.
Bürger, die gegen diese Einschränkungen mit dem weißen Büchlein (schwarzer Adler und schwarz-rot-goldenes Band auf dem Deckel) in der Hand auf die Straße gehen, wurden von Politik und Medien längst erfolgreich zu Covidioten abgestempelt, Rechtsexperten, die diesen zu Idioten Abgestempelten Recht gaben, sollten sich am liebsten gleich hinten einreihen. Die Neue Zürcher Zeitung zitierte Anwalt und Honorarprofessor Niko Härting mit den Worten: „Aus vielen, vielen Gründen halte ich den Entwurf zum neuen Infektionsschutzgesetz für verfassungswidrig.“ Härting kritisierte beispielweise die Ausgangssperren als mit dem Grundgesetz unvereinbar.
Ein Dr. med. Bernhard Staudt aus Neuötting kommentiert ebenfalls dazu im Ärzteblatt: „Mit Sorge aber muss jeden Arzt und jeden Bürger dieses Landes erfüllen, dass die Grundrechte des Grundgesetzes in mehreren Punkten eingeschränkt werden, ohne dass eine richterliche Kontrolle darüber erfolgt. Es kann doch nicht sein, dass ein Gesundheitsamt ohne entsprechende unabhängige Kontrolle hier das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland außer Kraft setzen kann. Vor vielen Jahren ist man für die Erhaltung der Grundrechte (Notstandsgesetzgebung) auf die Straße gegangen, um derartige unkontrollierte Eingriffe zu verhindern.“
Was hat man sich zu diesem schwierigen Datum ausgedacht?
Die Pressestelle des Bundespräsidenten meldete jetzt per Newsletter eine Veranstaltung, wie es da heißt, „vor dem 72. Jahrestag des Grundgesetzes“. Aber was hat man sich zu diesem schwierigen Datum ausgedacht, was wäre vorstellbar? Vorstellbar ist leider vieles unter Frank Walter Steinmeier (SPD). So ermöglichte es der Bundespräsident der Bertelsmann Stiftung, im Schloss regelmäßig ein „Forum Bellevue“ zu veranstalten, als handle es sich hier um einen x-beliebigen Ort, den man an jede politische Kaffeefahrt der Republik untervermieten könne. Nein, Frank-Walter Steinmeier könnte von Bertelsmann – so muss man es wohl ausdrücken – gleich dazugebucht werden, zur „Zukunft der Demokratie“ zu sprechen. Eine Stiftung hat es geschafft, das höchste Amt der Bundesrepublik zu labeln. Wann ist McDonalds dran?
Jetzt also der nahende Jahrestag des Grundgesetzes. Und die Idee des Sozialdemokraten im Amt, diesen Tag mit der Einladung zu einer Einbürgerungsfeier zu verbinden. In der Pressemitteilung heißt es: „Der Bundespräsident wird die Veranstaltung mit einer Rede über Zuwanderung, gesellschaftliche Vielfalt und Zusammenhalt eröffnen.“
Eingeladen hat Frank-Walter Steinmeier dazu sechs Einzubürgernde aus Ägypten, Großbritannien, Iran, Israel, Polen und der Türkei. Sechs Migranten, die von Frank-Walter Steinmeier höchstpersönlich eingedeutscht werden. Der Bundespräsident soll ihnen im Rahmen der Zeremonie die Einbürgerungsurkunde überreichen, „sowie eine Ausgabe des Grundgesetzes.“
2019 war das noch weniger verfänglich und weniger aufgeladen, da hieß es auf der Internet-Seite des Bundespräsidenten lapidar: „Geburtstagskaffeetafel zu 70 Jahren Grundgesetz.“ So selbstverständlich war dieser Termin damals noch, so fest im Fundament verankert die „Unveräußerlichkeit“ der grundlegenden Freiheits- und Gleichheitsrechte, die den Deutschen gegenüber dem Staat zugestanden werden. Einzig der Staat ist hier ganz selbstverständlich in die Pflicht genommen, und bei Steinmeier im Schloss gab es früher Erdbeerkuchen und die gute Krönung oder was immer serviert wurde bei dieser gemütlichen Kaffeerunde mit Grundgesetz.
Ausgehebelte Grundrechte
Aber wie eingeschränkt ist das Grundgesetz tatsächlich heute? Abseits der konkreten juristischen Auslegung erschließt sich das jedem, der einmal hineinblättert, oder wer das Büchlein vom Steinmeier persönlich erhält, wie unsere sechs Neubürger am kommenden Freitag.
Übrigens: Dass bei dieser besonderen Verleihung neben der Hymne – wird das Lied der Deutschen gespielt oder gar gemeinsam mit dem Bundespräsidenten abgesungen? – als zweiter Song auch etwas von Steinmeiers Punkfavoriten Feine Sahne Fischfilet gespielt wird, darf getrost ins Reich der Fantasie verschoben werden.
Trotzdem kurz bei der Pressestelle nachgefragt. „Ja“, sagt ein Sprecher, „die Hymne wird zu hören sein.“ Aber unter den Corona-Einschränkungen sei das nicht zum Mitsingen angedacht, eine oder ein paar Musiker würden die Hymne instrumental vortragen. Der Bundespräsident kann also in dem Zusammenhang nicht die Textsicherheit seiner sechs Kandidaten überprüfen.
Es wird demnach auch hier eine Art Not-Einbürgerung und das auch noch ohne präsidiale Kaffeetafel oder sonstige Snacks. Auch das fiele ins Wasser wegen der Corona-Einschränkungen, bestätigt der Pressesprecher mit Bedauern. Was die Hymne angeht, werden also die Neudeutschen vom Bundespräsidenten am Vorabend des 72. Geburtstages des Deutschen Grundgesetzes kurzerhand zu Mesut-Özil-Statisten gemacht.
Stellvertretend für weitere eingeschränkte Grundrechte – da mag jeder selbst nachlesen – soll hier Artikel 2 genannt werden:
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Aufmerksamkeit auf Vielfalt
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält es also für eine gute Idee, zum Geburtstag des Grundgesetzes einen bunten Strauß an Nationalitäten einzubürgern. Ein Sprecher meint, damit wolle der Bundespräsident die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt in der Gesellschaft lenken. Schon sein Vorgänger Joachim Gauck hätte es so gehalten, für Steinmeier sei es die erste Einbürgerung.
Aber was passiert hier eigentlich? Soll die Aufmerksamkeit abgelenkt werden von der Tatsache, dass Steinmeier die beiden Verschärfungen des Infektionsschutzgesetzes samt empfindlicher Einschränkungen der Grundrechte bedenkenfrei und quasi in Rekordzeit unterschrieben hatte?
Aber bevor noch Erdbeerkuchen zur Beschwichtigung angeboten wird, hier noch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juni 2014 (2 BvE 2/09):
Der Bundespräsident „verkörpert die Einheit des Staates. Autorität und Würde seines Amtes kommen gerade auch darin zum Ausdruck, dass es auf vor allem geistig-moralische Wirkung angelegt ist.“
Oder zeitgemäßer mit einer Liedzeile von Feine Sahne Fischfilet, der Lieblingspunkkapelle des Bundespräsidenten, aus dem Song „Ab ins Schlaraffenland“:
„Oh oh, oh, oh oh oh
Oh oh, oh, oh oh
Oh oh, oh, oh oh oh
Oh oh, oh, oh oh“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Dieser Beitrag ist zuerst auf dem Blog von Alexander Wallasch erschienen.[themoneytizer id=“57085-3″]
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig für Szene-Magazine Kolumnen. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Volkswagen tätig – zuletzt u.a. als Cheftexter für ein Volkswagen Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild: Bjoern Deutschmann/ShutterstockText: Gast