Triell bei RTL: Scholz, Baerbock und Laschet treffen aufeinander Elefanten ohne Biss: Kanzlerkandidaten ohne Vernichtungswillen

Von Alexander Wallasch

Kanzlerkandidatenrunde zur Primetime bei RTL. Drei Kandidaten sollen sich vorstellen. Solche übrigens, die vom Wahlvolk gar nicht direkt gewählt werden können. Denn der Kanzler wird in Deutschland auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag gewählt.

Irritierend auch hier, was Annalena Baerbock überhaupt in so einer Elefantenrunde zu suchen hat. Sie bleibt doch weiter nur Vertreterin der kleinsten Fraktion – die Grünen sind mit gerade einmal 8,9 Prozentpunkten in den Bundestag eingezogen. Das Privatfernsehen passt sich hier der öffentlich-rechtlichen Inszenierung an.

Das ZDF fragte Ende März diesen Jahres: „Die K-Frage ist geklärt: Drei Kandidaten bewerben sich um das Kanzleramt. Aber was ist mit FDP, Linken und der AfD?“

Ja, was ist mit denen? Ist das von AfD, Linken und FDP eigentlich wahltaktisch klug gewesen, auf Millionen Zuschauer bei solchen Auftritten ganz zu verzichten? Guido Westerwelle trat mal als FDP-Kanzlerkandidat an und kam später nur auf 7,4 Prozent – ein Trauma für alle anderen?

Baerbocks Partei wurde schon vor Monaten unter massivem Medienengagement in den Bereich der Zwanzig-Prozentmarke gepusht. Ginge es hier weniger parteiisch zu, Baerbock hätte in solchen Runden nichts verloren.

Was da passiert, nennt RTL ein »TV-Triell«. Und als wäre es ein böser Fluch, wird man bei RTL auch gleich noch von einer Protagonistin verfolgt, die zuvor den besagten Rummel um die Grünen mit angefeuert hat: Pinar Atalay von den öffentlich-rechtlichen Tagesthemen ist jetzt bei RTL – was bringt sie mit? Peter Kloeppel ist das RTL-Urgestein. Lässt er sich von der Neuen die Butter von Brot nehmen?

Die Sendung soll dem zuschauenden Wähler klarer machen – so die Anmoderation – wo man bei der Wahl sein Kreuz macht. Wird anschließend manch einer besser wissen, wo er es nicht macht? Ob solche Sendungen eigentlich auch Nichtwähler produzieren?

„Neustart für Deutschland“ ist der belustigende Untertitel der Sendung. Denn was bittteschön soll bei Merkel-Laschet und Rauten-Scholz auf einen Neustart hinweisen? Allenfalls der grüne Liebling der Medien, gesponsort auch noch via Zwangsgebührenfernsehen, ist noch unbefleckt, zumindest was eine Regierungsverantwortung angeht. Viele sahen das bisher als Nachteil, aber möglicherweise kann Baerbock genau das für sich nutzen – bisher gelang ihr das nicht.

Baerbock darf starten. Jeder soll zunächst sagen, warum es der andere nicht kann, Scholz und Baerbock trauen sich nicht recht, Laschet will die Frage dann auch nicht beantworten. Das fängt ja gut an für RTL, Beißhemmung! Aber wo jeder mit jedem kann, fällt es naturgemäß schwer, Unterschiede herauszuarbeiten.

Afghanistan: Pinar Atalay spricht von ausgeflogenen Ortskräften, weiß also noch nicht, dass leider nur ganz wenige Ortskräfte in den Flugzeugen saßen. Schlecht vorbereitet.

Laschet haut gleich mal auf den Tisch, es wäre ein Versagen des Westens aber auch eines der Bundesregierung. Und die Bundeswehr soll gestärkt werden, „so dass man auch mal einen Flughafen wie Kabul verteidigen kann.“ Laschet will Drohnen, mit denen man auch mal einen Attentäter erledigen kann.

Das ist mal ein populistischer Einstieg. Und mutig, denn solche Rache-Tötungen dürften mindestens umstritten sein, selbst dann noch, wenn Obama so etwas mal gemacht hat mit Osama, und Biden jetzt wieder mit irgendwelchen Al-Quaida-Köpfen. Diese Form internationaler Schnelljustiz war in Deutschland nämlich bisher tabu.

Ist Laschet möglicherweise viel zu forsch? Aber sein Stern ist im Sinkflug, er muss vier Wochen vor der Wahl All-in gehen. Olaf Scholz soll doch die Zuschauer nicht belügen, wegen der Drohne, die zwar bestellt sei, aber unbewaffnet. Annalena Baerbock in der Mitte sieht für den Anfang ganz froh aus, dass sie ihr vermutetes Unwissen dazu nicht auch noch in die Runde werfen muss.

Baerbock hat zweifellos trainiert. Und sie verweist Richtung Laschet auf dessen „Bundeskanzlerin Angela Merkel“. Bisher hätte man zwar den Eindruck bekommen können, es sei Baerbocks Bundeskanzlerin, aber die distanziert sich jetzt – klug ist das auf jeden Fall, aber die Sendung dauert ja noch an.

Annalena will impfen, impfen, impfen. Impfteams, mobile Impfteams. Und sie will alles für die Schulen tun. Die Luftfilter für die Schulen seien viel zu spät bestellt worden. Auch Scholz setzt auf impfen, aber es soll keinen Lockdown mehr geben. Erschöpft sieht er aus. Man würde in Zukunft erleben, dass viele Ungeimpfte sich infizieren und manche auch sterben, einen Lockdown für Ungeimpfte fände er nicht richtig, aber … hmm.

Baerbock schließt einen Lockdown nicht ganz aus, sie findet auch, dass Ungeimpfte nicht die gleichen Rechte haben dürften wie Geimpfte.

Laschet spielt Opposition. Fast vergisst man, dass er CDU-Ministerpräsident ist und auch einer, der sich in der Ministerpräsidentenrunde gegenüber der Kanzlerin brav gezeigt hat, 2G schließt er aus.

Ach so, Baerbock möchte nochmal impfen, impfen, impfen. Auch die Kinder? Baerbock beschwert sich, dass alle immer nur reden würden in der Politik, deshalb seien die Schulen bald eineinhalb Jahre geschlossen gewesen. Laschet erinnert sie daran, dass die Grünen in elf Bundesländern mitregieren, und auch diese Länder seien betroffen gewesen.

Baerbock ist nach kurzer Aufwärmphase so angriffslustig wie Laschet. Zwei Vorteile aber auf ihrer Seite: Sie ist kein Krawattenmann, steht nicht für diese miefige Bonner-Republik-Aura und sie muss keine gestaltende Politik rechtfertigen, weil sie schlicht noch keine Verantwortung in ihrer Karriere übernommen hatte. Das gerät ihr hier zum Vorteil – allerdings nur so lange, wie Laschet oder Scholz darauf nicht explizit negativ hinweisen. Kommt vielleicht noch …

In der Schnellfragerunde will sich Baerbock für die Zukunft nicht festlegen auf ein „Nein“ für verpflichtende Impfungen bestimmter Berufsgruppen, Laschet und Scholz sagen nein, alle drei setzen weiter auf Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln. Zu 3G im Fernverkehr sagen alle „Ja“, Laschet will aber erst Prüfungen abwarten.

Kloeppel meint, die Menschen würden sich mehr Sorgen machen über den Klimawandel als über Afghanistan (also Zuwanderung) und Corona. Aber woher hat der RTL-Moderator diese Informationen? Welche Umfrage will er da genau gelesen haben?
Da blüht Baerbock auf, das ist ihr Thema, das rattert sie runter wie ein Maschinengewehr – und sie macht das vergleichsweise ganz gut, da gab es schon verpatztere Auftritte.

Laschet hält dagegen, er will echten Strukturwandel und keine Sprüche. Scholz mischt sich nicht weiter ein, überlässt die Streitereien den Mitbewerbern.

Baerbock verweist auf Kinder in der Kita, die heulen würden, wenn es draußen regnet, das sei die Klimakrise.

Regnen ist Teil der Klimakrise? Keiner in der Runde, der die Grüne dafür mal auf den Topf setzt. Keiner sagt ihr, dass diese Kinder vor allem wohl deshalb heulen, weil sie vollkommen verrückt gemacht wurden von den Corona-Maßnahmen und obendrauf von einer grünen Klima-Apokalypse.

Baerbock ist energisch, Laschet kann es aber auch, Scholz muss sich zwingen. Die Moderation frisst sich ein bisschen fest an Laschet, der dazu aber auch einlädt mit seiner auf unbestimmte Weise verdruckst wirkenden Verkaufstaktik – irgendwas quietscht da beim Losfahren, aber noch bleibt es unbestimmt.

Man muss es nochmal sagen, Baerbock darf man ja doof und unsympathisch finden, aber neben den alten Herrn wirkt sie wie hochgedopt – insbesondere der kraftlose Scholz lässt Baerbock glänzen, ohne dass sie extra etwas dafür tun müsste.

Und Laschet greift zwar an, kann aber den entscheidenden Stich nicht setzen, also verpufft es und wirkt komisch. Die Herren selbst beißen sich nicht, unausgesprochen scheint der Feind in der Newcomerin ausgemacht, aber die steht noch gut da. Ihre Plagiatsaffäre ist in diesem Moment schon überwunden.

Weil aber die Partei von Armin Laschet die Hauptverantwortung trägt, das Land so abgrundtief gespalten und so weit an den Abgrund geschoben zu haben, kann Laschet hier auch kein rechte Aufbruchstimmung aufkommen lassen, so sehr er sich auch bemüht.

Baerbock will eine Kindergrundsicherung, sie will, dass jedes Kind mit einem neuen Schulranzen eingeschult wird. Laschet erwidert, dass man den Eltern doch aus dem Hartz4 helfen muss, anstand hier nur auf Subventionen zu setzen.

Natürlich geht es hier auch um die große Zahl an in Hartz4 so tief verankerten Migrantenfamilien. Aber da traut sich keiner der drei heran. Die gesamte Zuwanderungsdebatte wird hier konsequent ausgeklammert. Die Gefahr eines neuen 2015 wird ignoriert, findet nicht statt.

Nein, es gelingt den Herren nicht, Annalena Baerbock in diesen verdammt leeren hellen Raum zu treiben, in den sie sich so oft schon verlaufen hat. Aber was für ein Versagen muss das von Scholz und Laschet sein? Dadurch wirken beide schwach und wie hypnotisiert vor der Schlange.

Thema Sicherheit, Gräben in der Gesellschaft und Querdenker. Kloeppel will wissen, was die Kandidaten tun wollen, um die Unsicherheit von Frauen an bestimmten öffentlichen Plätzen zu bekämpfen. Laschet will mehr Videoüberwachung und eine bessere Ausstattung der Polizei. Der Ministerpräsident von NRW fordert einen starken Staat gegen Querdenker, „die zunehmend aggressiv werden“. Auch Scholz hat „gar keine Vorbehalte“ gegen Videoüberwachung. Und Baerbock erinnert daran, dass doch die Grünen die Antworten hätten, aber die Union doch nun sechzehn Jahre durchregiert hätte.

Ach ja, Baerbock will die Täter von Übergriffen besser analysiert wissen. Das ist deshalb interessant, weil es immer die Grünen sind, die sich so vehement Augen und Ohren zuhalten, wenn es darum geht, die Kriminalitätsstatistiken mal selber zu lesen, denn die kommen schon bereinigt aus dem Bundesministerium von Horst Seehofer.

Scholz will kein Zwangsgendern. Baerbock sagt, jeder kann im Land sprechen wie er möchte. Da widerspricht die Moderatorin das erste Mal ganz zaghaft. Die Grünen wären doch anders. Bestimmend, vorschreibend. Die Baerbock-Antwort ist wieder nur ein weiterer Redeschwall. Was Robert Habeck wohl gerade zu Hause vor dem Fernseher denkt?

Ja, das ist genau diese Art Frau, wegen der so viele Männer vor dem Fernseher sitzen und gar nichts mehr sagen. Einfache brave Handwerker, Feuerwehrmänner, Soldaten – eben Familienväter, die irgendwann verstummt sind.

„Ich sag auch Winnetou“, betont Baerbock. Zu wem, will man gar nicht wissen und schon vergisst man – zumal nach fast zwei Stunden Sendung – in welchem Zusammenhang sie diesen Satz überhaupt sagen durfte.

Diese Sendung bringt vor allem eine Erkenntnis: Annalena Baerbock ist hier mit einem großen Vorsprung ins Rennen gestartet, weil sie die Einzige in der Runde ist, die bisher nicht mitregiert in einer Bundes- oder Landesregierung. Sie steht damit theoretisch tatsächlich für Neuanfang. Also hätten Laschet und Scholz sie nur mit Kompetenz erschlagen müssen, mit der Sichtbarmachung von Unkenntnis. Das ist beiden nicht gelungen. Ja, Laschet hat es versucht, wirkte dabei aber altbacken, nicht trotz, sondern hier sogar wegen des vermeintlichen Ministerbonus. Und wer schießt, muss irgendwann auch mal echte Munition laden und nicht nur Platzpatronen.

Bei den „möglichen Koalitionen“ ist die AfD – unabhängig von allen Koalitionsabsagen – auch bei RTL nicht dargestellter Bestandteil der Möglichkeiten. Ansonsten kann hier jeder mit jedem, also geht auch keiner so weit, das Schwert ganz aus der Scheide zu ziehen, denn dann müsste man in ein Duell um alles oder nichts.

Laschet möchte wissen, ob Scholz mit den Linken regieren will. Aber der weicht aus. Fast sieht es so aus, als peile Laschet hier wieder die nächste große Koalition an. Laschet möchte die Linke isoliert wissen und die AfD soll aus dem Parlament verschwinden.
„Wir haben mit der Union koaliert, als alle anderen weggelaufen sind“, erinnert ihn Olaf Scholz. Festzuhalten bleibt, dass sich Scholz und Baerbock nicht von der Linken distanzieren.

Zum Schluss hat jeder einer Minute. Baerbock will Kanzlerin, bei Scholz denkt man, der hat direkt Angst davor, sieht es als Bürde, er will Deutschland „dienen“. Und Laschet setzt auf Stabilität und Standhaftigkeit. Ja, an der Stelle ist er zumindest vom Vortrag her am stabilsten, da ist er der Landesvater, den man nicht unterbricht.

Aber möglicherweise macht er genau in dieser Komfortzone seinen Kardinalfehler, als er im Überschwang noch Konrad Adenauer und Helmut Kohl zum Teil seiner DNA macht. Denn selbst diejenigen Wähler, die mit diesen Namen noch etwas anfangen könnten, tragen schon die Gewissheit in sich – oder sie wurde ihnen in der Schule und vom ÖR-Rundfunk eingetrichtert – dass die Welt ohne radikales Umdenken untergehen wird. Diese Radikalität fehlt sowohl Laschet wie auch Scholz. Und es ist ihnen nicht gelungen, so zu tun als ob.

Baerbock mag viel an Kompetenz fehlen, Baerbock ist Kandidatin einer Ideologie, aber sie hat es bei RTL geschickt verteidigt, an die Spitze einer wie auch immer gearteten grünen Erneuerung zu stehen. Ja, das könnte, das wird sogar furchtbar werden, aber weder Laschet noch Scholz haben dieses Schreckgespenst realistisch genug an die Wand gemalt. Warum? Weil sie taktieren und beide für sich mit den Grünen in der kommenden Regierung rechnen.

Ein Duell war das also von der ersten bis zur letzten Minute nicht, ein Triell schon gar nicht.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!
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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: Screenshot ZDF berichtet über RTL-Triell 28.08.2021
Text: wal
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