Von Kai Rebmann
Impfskeptiker und Maßnahmenkritiker leben in Deutschland gefährlich. Dies scheint vor allem für die Bundeshauptstadt Berlin zu gelten. Erst vor wenigen Tagen musste reitschuster.de über die Wohnungsdurchsuchung bei und vorübergehende Festnahme von Paul Brandenburg berichten. Der Arzt gehört zu den prominentesten und bei Politikern wohl auch am meisten gefürchteten Kritikern der Corona-Maßnahmen. Auf anwaltlichen Rat wollte sich Brandenburg (noch) nicht zu den Details des Einsatzes des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Berliner Polizei äußern, sondern beschränkte sich bei seiner öffentlichen Aussage, dass unter anderem seine Telefone beschlagnahmt worden seien. Tatsache ist außerdem, dass die Aktion zumindest in zeitlicher Nähe zur Veröffentlichung eines Interviews am 8. Mai 2022 stattfand, das Boris Reitschuster mit Paul Brandenburg geführt hat.
Wer nun gedacht hat, es habe sich dabei um einen Einzelfall gehandelt und die Berliner Polizei habe die hohe Bekanntheit von Paul Brandenburg einfach nur benutzt, um ein Exempel zu statuieren, der sieht sich leider getäuscht. Uns erreichte die Zuschrift eines unbescholtenen Bürgers aus der Mitte der Gesellschaft, dem Anfang März ein ganz ähnliches Schicksal widerfahren war. Reitschuster.de liegen sowohl ein Gedächtnisprotokoll des Geschädigten, das offizielle Protokoll der Durchsuchung und ein ausführlicher Schriftverkehr des Geschädigten mit Vertretern der Berliner Polizei bzw. des Landeskriminalamts (LKA) als auch ein ärztliches Attest vor. Die Unterlagen dokumentieren einen völlig unverhältnismäßigen SEK-Einsatz, der offensichtlich auf Grundlage einer äußerst dünnen Faktenlage angeordnet wurde und für den Geschädigten massive Folgen haben sollte, unter denen er noch heute leidet. Die Namen des Geschädigten sowie aller weiteren Beteiligten sind der Redaktion bekannt, werden aus datenschutzrechtlichen Gründen jedoch in anonymisierter Form dargestellt.
Durch laute Schlaggeräusche an der Wohnungstür aus dem Schlaf gerissen
Herr S. lebt in Berlin und zählt im weiteren Sinne zu den Angestellten im Gesundheitssektor. Laut seinem einen Tag nach dem SEK-Einsatz angefertigten Gedächtnisprotokoll ist Herr S. am 2. März 2022 gegen 5:30 Uhr „durch mehrere (2-3) laute Schlaggeräusche an meiner Wohnungstür aus dem Schlaf gerissen“ worden. Schon im nächsten Moment seien mehrere SEK-Beamte in seine Wohnung eingedrungen, hätten ihn mit „sanfter Gewalt“ auf den Boden gedrückt und ihm Handschellen angelegt. Herr S. habe eine Erklärung verlangt, woraufhin man ihm lediglich sagte, dass das LKA „in Kürze“ eintreffen werde und er dann eine Erklärung bekomme.
Nach ihrem Eintreffen teilte die Einsatzleiterin (KOK M.) dem Festgenommenen mit, dass ein „Informant“ angegeben habe, er (Herr S.) habe geäußert, dass er sich im Falle der Einführung der Impfpflicht bewaffnen werde. Daher diene dieser Einsatz der Gefahrenabwehr und man werde jetzt seine Wohnung durchsuchen. Herr S. hielt in seinem Gedächtnisprotokoll fest, dass der Einsatz „technisch korrekt“ abgelaufen sei, er ihn aber dennoch für völlig unverhältnismäßig halte, da er allein aufgrund einer „Äußerung“ erfolgt sei, in der ihm der Besitz von Waffen unterstellt wurde. Es bestehe aus seiner Sicht dringender Klärungsbedarf, weshalb er in den nächsten Tagen Kontakt zum LKA aufnehmen werde.
Aus dem amtlichen Durchsuchungsprotokoll geht hervor, dass es sich um eine Durchsuchung zur „Gefahrenabwehr“ gehandelt hat, die am 1. März 2022 um 11:01 Uhr durch den an einem Berliner Amtsgericht tätigen Richter H. angeordnet worden ist. Der Einsatz hat demnach am 2. März 2022 um 6 Uhr begonnen und wurde um 6:50 Uhr beendet.
Der größte Schuft im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant
Am 4. März 2022 wandte sich Herr S. per E-Mail mit einigen Fragen an die Internetwache der Berliner Polizei. Er wollte unter anderem wissen, um wen es sich bei dem „Informanten“ handelt, wann die Ermittlungen gegen ihn aufgenommen worden sind, welche weiteren Hinweise neben seiner angeblichen Äußerung zur Impfpflicht dem Richter vorgelegen haben, warum nicht zunächst eine Ermittlungsdurchsuchung erwogen worden ist und wie die „Angemessenheit“ dieses Einsatzes im Nachhinein bewertet wird. Er habe diesen SEK-Einsatz „als bisher schlimmste Situation“ in seinem Leben empfunden und hoffe, dass er keine Spuren hinterlassen werde. Schließlich wollte Herr S. noch wissen, wer für den entstandenen Sachschaden in seiner Wohnung aufkommt.
Obwohl KOK M. nur wenige Stunden später in einer internen E-Mail auf das Schreiben von Herrn S. eingegangen war, wurde diese dem Geschädigten erst am 7. März 2022, also drei Tage später, durch KHK H. zugestellt. In diesem Schreiben wird Herr S. mitgeteilt, dass der Name des Informanten „selbst innerhalb der Polizei Berlin nicht bekannt“ sei. Zudem habe der Polizeiliche Staatsschutz am 23. Februar 2022 Kenntnis von dem mitgeteilten Hinweis erhalten. KOK M. warb um Verständnis für den SEK-Einsatz, da es „insbesondere im Zusammenhang mit den Pandemie-Maßnahmen vermehrt zu Angriffen auf Politiker und Personen des öffentlichen Lebens“ komme. Daher würden „Hinweise auf angedrohte Straftaten und illegalen Waffenbesitz stets sehr ernst genommen“, weshalb Richter H. die Anordnung der Durchsuchung entschieden habe. Dass man im Zweifel aber offenbar erstmal mit Kanonen auf Spatzen schießt, um danach wieder zurückzurudern, machte KOK M. ebenfalls klar: „Im Nachhinein stellen sich natürlich die Dinge oft anders dar, als man sie im Vorhinein einschätzen kann.“ Herr S. habe sich „durchweg kooperativ“ gezeigt und es hätten sich „keinerlei Hinweise auf eine tatsächliche Gefährdungslage“ ergeben, wie KOK M. betonte.
Aus der Antwort von KOK M. ergibt sich, dass der SEK-Einsatz wohl ausschließlich auf Grundlage der Behauptungen eines einzelnen „Informanten“ erfolgte. Eine für Herr S. ganz wesentliche Frage blieb jedoch unbeantwortet, weshalb sich der Geschädigte am 8. März 2022 erneut per E-Mail an KOK M. und KHK H. wandte. Er teilte der Polizei mit, dass er den Verdacht habe, dass es sich bei dem „Informanten“ um einen ehemaligen Mieter handeln könnte, der „just am 22.02.2022 ausgezogen ist und die Stadt verlassen hat“, also einen Tag vor Aufnahme der Ermittlungen gegen ihn. Es könne durchaus sein, dass er gegenüber diesem ehemaligen Mieter in der jüngeren Vergangenheit „impfkritische Töne angeschlagen“ hat, räumte Herr S. ein. Weiter wollte er wissen, warum man zwischen dem 23. Februar und der Stürmung seiner Wohnung nicht in anderer Weise mit ihm in Kontakt getreten sei, um den Sachverhalt aufzuklären. Schließlich ging es Herr S. noch um den Grund für die Anordnung. Auf seine Frage, warum es nicht zunächst eine Ermittlungsdurchsuchung gegeben habe, sei in der Antwort nicht eingegangen worden.
Noch am selben Tag bekam Herr S. von KHK H. eine kurze Rückmeldung, in der dieser aber keine weiteren Informationen preisgeben wollte. Zudem behauptete der KHK den Begriff der „Ermittlungsdurchsuchung“ nicht zu kennen. Dies erscheint insofern wenig glaubhaft, als dass dieser Begriff auf dem Vordruck für das amtliche Durchsuchungsprotokoll explizit erwähnt wird. Im Abschnitt „Grund der Durchsuchung“ wurde im Fall von Herrn S. dieses Feld (Ermittlungsdurchsuchung) freigelassen, stattdessen wurde das Kreuz bei „Gefahrenabwehr“ gesetzt.
Wird Justizwillkür gegenüber Impfskeptikern zum neuen Normalzustand?
Den bisher letzten Kontakt zwischen Herrn S. und dem LKA gab es am 21. April 2022. Herr S. teilt der Beschwerdestelle dabei mit, dass er sich seit dem 21. März 2022 erneut in psychiatrischer Behandlung befinde. Seine Ärztin habe ihm geraten, mindestens drei Monate vergehen zu lassen, um „einen soliden Abstand von dem Geschehen zu bekommen“ und die Geräusche und Bilder, die der SEK-Einsatz in ihm ausgelöst hat, aus dem Kopf zu bekommen. Herr S. bat daher darum, sich erst wieder gegen Mitte Juni miteinander in Verbindung zu setzen. Sein vorrangiges Interesse gelte aber nach wie vor der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes sowie den Ermittlungen im Vorfeld, da ihm hierfür „nachvollziehbare Erklärungen“ fehlten.
In dem Arztbrief, den Herr S. am 21. März 2022 von seiner behandelnden Ärztin ausgestellt bekam und der reitschuster.de vorliegt, heißt es: „Herr S. stellte sich heute am 21.3.22 nach vierjähriger Pause notfallmäßig in meiner Sprechstunde vor. Nach einem SEK-Einsatz am 2.3.22 war es zu einem Wiederauftreten einer ausgeprägten Angst- bis Paniksymptomatik im Sinne einer Anpassungsstörung (F43.2G) gekommen.“
Dieser Fall zeigt überdeutlich, wie leicht in Deutschland ein unbescholtener Bürger zum Opfer von Denunziantentum und Justiz werden kann. Offenbar reicht eine wild aufgestellte Behauptung aus, um etwa einem missliebig gewordenen Nachbarn das SEK auf den Hals zu hetzen. Gerichte und Polizei scheinen davon auszugehen, dass es sich bei Impfskeptikern zwangsläufig um bis unter die Zähne bewaffnete Gefährder handeln muss. Nur so lässt sich dieser SEK-Einsatz gegen einen zudem nicht mehr ganz jungen Bürger erklären. Zu anderen Zeiten hätte ein solcher Fehlschlag wohl zu unmittelbaren Konsequenzen gegen die hierfür Verantwortlichen und/oder Ermittlungen gegen den sogenannten „Informanten“ aufgrund des Verdachts der falschen Anschuldigung geführt. Entgegen dem Gebot der Wahl des möglichst milden Mittels wurde hier sofort das schärfste aller zur Verfügung stehenden Schwerter aus dem Schrank geholt. Solange es gegen die „Richtigen“ geht, scheint es inzwischen keine Tabus mehr zu geben. Aber wen soll das noch überraschen, wenn selbst ein Bundeskanzler ganz offen dazu stehen kann, dass er „bei Corona keine roten Linien“ mehr kennt?
Weitere SEK-Einsätze gegen Bürger aus der Mitte der Gesellschaft
Noch während diese Zeilen entstanden sind, erreichten unsere Redaktion zwei weitere Leserbriefe, in denen Betroffene von ähnlichen Erfahrungen berichteten. Leserin J. schrieb von einem „Besuch“ der Polizei. Um 6 Uhr morgens wurde J. aus dem Schlaf geklingelt. Als sie die Tür öffnete, stand sie sechs uniformierten Beamten gegenüber, die nach ihrem 23-jährigen Sohn fragten und ihr einen Durchsuchungsbeschluss unter die Nase hielten. Die Polizisten durchsuchten also die Wohnung, beschlagnahmten sämtliche digitalen Endgeräte und Medien und wollten den Sohnemann zur zwangsweisen Blutentnahme mitnehmen. Glück im Unglück: Der Sohn hatte an diesem Tag bei seiner Freundin übernachtet. Sein Verbrechen: Er hatte den falschen Hausarzt. Der Arzt stand im Verdacht, gefälschte Impfpässe ausgestellt zu haben, weshalb an jenem Morgen in einer bundesweit abgestimmten Aktion rund 90 Wohnungen durchsucht und deren Bewohner zur Blutentnahme gezwungen wurden. In diesem Fall lagen gegen den Sohn der Leserin J. eigenen Angaben zufolge keinerlei Verdachtsmomente einer von ihm selbst begangenen Straftat vor, sondern lediglich gegen dessen Arzt. Dies genügte aber offensichtlich, um einen tiefgreifenden Eingriff in dessen Privatsphäre und Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit zu rechtfertigen.
Im zweiten Fall geht es um Leser K., der zusammen mit einem Kollegen einen Telegram-Kanal betreibt, in dem es thematisch um die Wahrung der Grundrechte und Kritik an den Corona-Maßnahmen geht. Am gestrigen Mittwoch seien zeitgleich um 6 Uhr morgens die Wohnungen des Lesers K. und dessen Kollegen von einem mobilen Einsatzkommando (MEK) gestürmt worden, wobei mehrere Scheiben zu Bruch gegangen seien. Die Aktion ähnele in verblüffender Weise den Berichten über die Durchsuchung bei Paul Brandenburg, wie K. schreibt. Auch hier seien sämtliche elektronischen Geräte beschlagnahmt worden. Die Beamten hätten sämtliche Schubladen ausgeleert und ein Chaos hinterlassen. K. werde die Veröffentlichung eines prügelnden Polizisten vorgeworfen, seinem Kollegen der Aufruf zu verbotenen Versammlungen.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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