Verwüstung in Deutschlands Städten: Neues Phänomen der „Kultur-Aneignung“? Ein Erklärungsversuch von Thilo Schneider

Ein Gastbeitrag von Thilo Schneider

Es ist nur so eine kleine Meldung, die zwischendurch auf der Startseite von MSN aufploppt: „Jugendliche verwüsten Fußgängerzone in Trier“. Die dpa meldet, dass laut Polizei in Trier eine nicht näher definierte „Jugendgruppe“ in der Trierer Fußgängerzone öffentliche und private Blumenkübel und Mülltonnen umgestoßen oder beschädigt haben, in einem Fall wurde ein voller Blumenkübel auf ein Auto geworfen. Und ich frage mich: Warum?

Man muss sich das einmal vorstellen: Da wohnen in der Trierer Innenstadt Geschäftsleute, die einfach vor ihrem Laden ein bisschen schön dekorieren wollen, die Stadt tut aus öffentlichen Geldern ebenfalls ihren Teil dazu, einfach, damit der öffentliche Raum schön und einladend ist und sich Menschen dort wohl fühlen. Da fahren Leute in den Gartenmarkt, holen dort Erde und suchen Pflanzen und Pflanzgefäße auf eigene Rechnung aus, machen sich Mühe, damit alle es schön haben und wenden Zeit und Geld auf – und dann latschen irgendwelche Vollkoffer aus fernen Ländern da durch und schlagen eine Schneise der Verwüstung. Warum?

Waren die besoffen? Übermütig? „Psychisch krank“? Nicht Herr oder Frau oder Diverses ihrer Sinne? Wie kommt man auf die Idee, einfach fremdes Eigentum und Gemeinbesitz zu zerstören? Auch zu meiner Jugendzeit gab es immer mal einen Vollidioten, der zeigen wollte, wie er mit einem Roundkick einen Mülleimer von der Straßenlaterne tritt oder der in eine Telefonzelle gepisst hat. Das war gleich zwei Mal lustig: Nämlich das erste und auch gleich das letzte Mal. Denn nicht nur ich habe zugesehen, derartige Arschlöcher zu meiden. Das hatte weniger mit Angst, als vielmehr mit Respekt zu tun. Denn irgendjemand muss den Scheiß ja wieder aufräumen und das wird er sicher nicht mit Begeisterung tun. Und wer diesen Respekt vermissen lässt, der hat in Deinem Freundeskreis auch vor Dir keinen Respekt. Solche Menschen meidet man. Wenn man eine Erziehung und ein bürgerliches Mindset hat und kein Vollpfosten ist. Das hier in Trier hat aber eine andere Qualität. Da ist ja gleich eine ganze Jugendgruppe auf dem Feldzug gewesen. Warum?

Täter-Opfer-Umkehr

Sicher lassen sich hier, ganz pädagogisch, ganz komplexe, feinsinnige Ursachen finden, die zeigen, dass die Täter eigentlich Opfer sind. Wie wäre es hiermit? „Diese Jugendlichen fühlen sich abgehängt, ausgegrenzt und perspektivlos. Ihre Ohnmacht und Ratlosigkeit gegenüber einer ablehnenden Gesellschaft mündet zuerst in Frustration, die dann zur Wut wird und letztlich in Gewalt umschlägt.“ Wie gefällt Ihnen das? Klingt das gut? Ist damit Arschlochverhalten feinfühlig genug erklärt? Ich will ja nicht sagen, „des hätts früher net gemm“, hat es gelegentlich auch, keine Frage, wenn der Alkoholpegel nur hoch genug war, aber da ist doch zwischendrin etwas gekippt? Warum?

Vielleicht liegt es daran, dass heute jeder wortwörtlich dahergelaufene Asoziale nicht sanktioniert, sondern im Gegenteil, gepampert und getröstet wird, weil er so arg von der Gesellschaft zur Asozialität gezwungen wird. Eine Erziehung durch Schule, Eltern oder Gesellschaft findet hier überhaupt nicht mehr statt. Die Trierer „Jugendlichen“ dürften trotzdem heute noch eine Minderheit sein. Die allermeisten Jugendlichen machen Schulabschlüsse und studieren dann oder nehmen eine Lehre auf. Ganz bieder. Sie kleben sich nicht auf Straßen, kiffen sich nicht das Hirn weg oder versuchen, „Influenzer“ zu werden. Die meisten Jugendlichen haben bereits eine relativ klare Vorstellung, wie ihr Leben verlaufen soll. Eine Ausbildung, eine Arbeit, eine Familiengründung irgendwann und mit etwas Glück, „Geduld und Spucke“ ein Einfamilienhäuschen und, wenn es ganz gut läuft, irgendwo noch eine Ferienwohnung. Die haben für den ganzen Mist drumherum, wie „Klimakatastrophe“ oder „Hitler2.0 steht vor der Tür“ weder Zeit noch Interesse. Die sind auf ganz andere Dinge fokussiert. Zuerst einmal darauf, in Schule und Schulbus nicht selbst zur Zeitungsmeldung zu werden. Also wieder die Frage: Warum?

Ich kann sie nicht beantworten. Am ehesten taugt wohl noch die „Broken Windows“ – Theorie von Wilson und Kelling. Wenn Verwahrlosung im öffentlichen Raum nicht schnell und effizient beseitigt wird, nimmt diese in rasendem Tempo zu. Wir alle kennen dieses Phänomen aus der eigenen Anschauung: Steht irgendwo Sperrmüll auf der Straße, dann bekommt dieser innerhalb von ein paar Tagen Gesellschaft und der eine Müllsack im Wald bekommt über Nacht „Junge“. Das liegt an mangelndem Respekt, an fehlendem Verantwortungsbewusstsein, aber auch schlicht an Faulheit und Pragmatismus. Wird schon irgendjemand irgendwann wegräumen. Und die Ratten werden sich auch wieder verziehen, sobald der Dreck weg ist. Und das dürfen Sie nun sogar zwei Mal wortwörtlich nehmen.

Einzelfall-Phänomen: Messerattacke

Ebenfalls MSN titelt: „„Messerattacke in Frankfurt schockiert: Was war das Motiv? – Poseck: „Einzelfall““. Ohne auf den mittlerweile täglich vorkommenden „Einzelfall“ mit „einem Mann“ näher einzugehen, ist der Artikel mit einem Bild des Tatorts unterlegt. Eine wahrhaftig hässliche Betonmauer, verschmiert mit Graffiti, Tags und Dreck. Wirklich ekelhaft und siffig. Natürlich treiben sich in dreckigen Gegenden dreckige Menschen herum. Und jeder, der einigermaßen bei Verstand ist, meidet dreckige Gegenden, weil er um das Gelichter weiß, das dort vor sich hin flackert. Im vorliegenden Fall reden wir aber über die Trierer Fußgängerzone, die, als ich in den 80ern dort war, eine gepflegte und angenehme Gegend mit hübschen Straßencafés war. Ist das noch so? Oder stemmen sich Stadt und Anwohner gegen eine Kreuzbergisierung ihrer „Hood“, wie es so schön neuenglisch heißt?

Ich war vor zwei Jahren in dem von dem furchtbar schrecklichen und fast schon oder ganz schon „rechtsextremen“ Orban regierten Budapest. Einer Stadt mit 1,6 Millionen Einwohnern, also mehr als doppelt so vielen wie Frankfurt am Main und 16 Mal so vielen wie Hanau. Während Budapest pieksauber, schön, gepflegt und weitgehend Graffiti- und müllfrei ist, sind Frankfurt und Hanau echte Drecklöcher und peinlich für jeden Besucher. Und peinlich für Deutschland. Ich weiß nicht, woran es liegt und ich will auch keine Vermutungen anstellen – aber Budapest ist alles andere als „bunt“ und „vielfältig“. So viel kann ich sagen. Also: Warum?

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Thilo Schneider, Jahrgang 1966, freier Autor und Kabarettist im Nebenberuf, LKR-Mitglied seit 2021, FDP-Flüchtling und Gewinner diverser Poetry-Slams, lebt, liebt und leidet in der Nähe von Aschaffenburg. Weitere Artikel von Thilo Schneider finden Sie hier unter www.politticker.de. In der Achgut-Edition ist folgendes Buch erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

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