Ein Gastbeitrag von Josef Kraus
Wie Pilze schießen gar Professuren für „Postkoloniale Forschung“ aus dem Boden. Ihren Ausgang hat all dieser pseudointellektuelle Luxus wie manch anderer Hype in US-„Elite“-Universitäten. Siehe die US-Wurzeln der 68er-Bewegung, die Denk- und Sprechverbote der „political correctness“, siehe „Black Life Matters (BLM)“, siehe „Cancel Culture“ usw. Wenn US-Universitäten denn besonders dick auftragen wollen, dann gründen sie Institute für „Critical Whiteness Studies“. Deutsche und britische Universitäten folgen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert denn auch „Forschung“ im Bereich rassistische und/oder sexuelle Diskriminierung und in „Intersektionalität“. Letzteres meint, dass Menschen oft zugleich in mehreren Sektoren diskriminiert würden. Zum Beispiel eine lesbische, schwarze, nicht-christliche Transfrau. In immer neuen Verrenkungen wird Sklaverei dann ausschließlich als transatlantische Sklaverei gesehen, aber bitte doch nicht als die real und massenmäßig viel größere Versklavung Richtung Osten, sprich Arabien. Und an allem Elend der Dritten Welt ist ohnehin der weiße Mann schuld. Bis heute und in alle Ewigkeit!
Die neuen Dogmen
Und damit das nachhaltig in die Köpfe der Menschen, gerade auch der jungen Menschen gelangt, wird Geschichte umgeschrieben und Sprache ge(maß)regelt. Entsprechende Gebote und Verbote schießen schier alltäglich aus dem Boden. Alles im Interesse der neuen „Religionen“, die da das Hohe Lied zelebrieren von: Globalität, Eine Welt, Inklusion, Multikulturalismus, Humanitarismus, Antirassismus, Antifaschismus, Toleranz, Akzeptanz, Diversität, Gender, Wokeness (Erweckt-/Erleuchtet-Sein), Authentizität, Cultural Appreciation (kulturelle, identitäre Wertschätzung) … Denn erst wenn all diese Gebote und Prinzipien umgesetzt, strafbewehrt verordnet, am besten von allen weißen Menschen verinnerlicht wurden, haben wir weltweit Wokeness total. Das ist das Ziel.
Du darfst zwar etwa als Mann – demnächst laut „Ampel“ gesetzlich garantiert und im jährlichen Wechsel – sagen: Ich bin jetzt eine Frau. Und dann wieder mit Rolle rückwärts zurückkehren in deine ursprüngliche Biologie. Aber du darfst dich oder deine Kinder nicht in Indianerkleider stecken, im Garten ein Indianerzelt oder einen Totempfahl aufstellen oder im Karneval gar halbnackt auftreten als „man eater“. Und dass sich von den drei Sternsingern Caspar, Melchior und Balthasar (repräsentativ für die damals bekannten Erdteile Europa, Asien und Afrika) einer davon schwarz anmalt … UNDENKBAR! „Black Facing“ – unerträglich, menschenverachtend …!
All das wäre unerlaubte und eigennützige Bereicherung, Wegnahme, Ermächtigung und Vorteilsnahme an den Errungenschaften, am geistigen Eigentum, am traditionellen Wissen und an kulturellen Artefakten anderer Kulturen. So oder so ähnlich lauten die verquasten Definitionen von „cultural appropriation“.
Kleines ABC von Tabu-Wörtern
Mit Sprechverboten und Sprechgeboten fängt es an. Das N-Wort ist ohnehin seit Jahrzehnten tabu. PoC heißt das jetzt korrekt: „people of colour“. Ansonsten kann bereits die Verwendung des Namens „Afrika“ verdächtig sein. Die Firma Bahlsen verbannte den Schoko-Keks „Afrika“ aus den Regalen. Nun heißt der Keks „Perpetum“. Jetzt ist auch das I-Wort igittigitt (I für Indianer). Winnetou lässt nicht mehr grüßen. Er wurde vom Verlag Ravensburger zum zweiten Mal in die Ewigen Jagdgründe befördert. Das Z-Wort (Zigeuner) sagt man nicht, auch wenn es nicht wenige Sinti und Roma gibt, die sich durchaus bewusst und stolz als Zigeuner definieren. Trotzdem verbannte die Firma Knorr 2020 die Zigeunersoße aus dem Sortiment. Das M-Wort (Mohr) ist nahezu schon restlos entsorgt. Es darf keine Mohrenstraße, kein Mohrenhotel, keinen Mohrenkopf, keine Mohrenapotheke mehr geben. Das E-Wort (Eskimo) starb ebenfalls einen ziemlich plötzlichen Tod; „Eskimo“ könnte ja Fleischfresser heißen, jetzt ist „Inuit“ angesagt. Das A-Wort (Ausländer) gibt es auch nicht mehr. Das sind jetzt „Zuwanderer“ und angeblich dringend benötigte „Fachkräfte“ in einem Deutschland, zu dem laut frisch gekürter UNICEF-Preisträgerin Merkel alle gehören, die hier – wie auch immer und mit welchem Status auch immer – leben. Selbstredend verschwindet damit auch das D-Wort (deutsch) und das V-Wort (Volk).
Hypermoralisch kritisch beäugt werden von den „woke communities“ mittlerweile auch Mokassins, Batik-Drucke, Kimonos, Kegelhüte, Turbane, sofern sie von Weißen verwendet werden. Und Dreadlocks gehen schon gleich gar nicht. Wenn ein weißer Sänger respektive eine weiße Musikerin mit solcher Haartracht auftritt, dann fühlen sich Konzertbesucher auf Twitter und Co. „unwohl“ und verlangen den Ausschluss dieser Person vom Konzert. Denn kulturelle Aneignung, – das geht einfach nicht. Nur mit der Kufiya, dem Palästinensertuch ist es etwas anderes. Dieses zu tragen heißt ein Zeichen zu setzen gegen die Unterdrückung des „palästinensischen Volkes“ durch Weiße und im Besonderen durch Israel.
Schluss mit Kolonialwaren und Fremdsprachen?
Aber dem nicht genug! Wetten dass!? Wir phantasieren einmal ein paar Wochen und Monate voraus. Eine „Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung“ namens Ataman profilierte sich vor ihrer Beförderung in dieses gigantische Staatsamt, indem sie meinte, Deutsche sollten sich gefälligst nicht beleidigt fühlen, wenn man sie als „Kartoffeln“ bezeichnet. Wahrscheinlich „weiß“ Frau Ataman, dass Kartoffeln – wie übrigens auch Tomaten – aus dem präkolumbianischen Mittel- und Südamerika stammen. Also ihre Nutzung in Europa und zumal in Deutschland per se rassistisch und kolonialistisch ist. Schluss damit, diese Schattengewächse (gemeint sind Kartoffeln und Tomaten) müssen aus den Regalen! Ebenso wie Südfrüchte, exotische Gewürze, Kaffee, Kakao, Tee usw. Das sind doch überseeische Kolonialwaren (!): Ja, wo kommen wir da denn hin! Achtung also, verehrte Handelskette EDEKA (EDEKA = Einkaufsgenossenschaft für Kolonialwaren!). Es könne bald vorbei sein mit eurer 1898 gegründeten Handelskette sowie euren 62 Milliarden Jahres-Umsätzen und mehr als 400.000 Beschäftigten, wenn sich irgendwelche woken Aktivisten an eure Ladentüren kleben!
Schluss sollte konsequenterweise auch sein mit Tätowierungen und mit Piercing. Erste Tätowierungen gab es vor rund 5.300 Jahren in Ägypten. Ein erstes Piercing bei Ureinwohnern Afrikas, Amerikas und Asiens. Also bitte doch, ihr Weißen, die ihr eure Haut kolonialistisch „bereichert“, geht in euch! Schluss sollte auch sein mit Kanu- und Kajak-Sport, sind diese Bootstypen doch Erfindungen von Eskimo (pardon: Inuit) bzw. kanadischen Ureinwohnern.
Kulturelle Aneignung darf es allenfalls geben, wenn es um die Religion des Friedens geht. Karl Mays Romane, die im Nahen Osten spielen, sind okay. Märchen aus 1001 Nacht auch. Naja, Kinderhochzeiten oder Genitalverstümmelungen sind zwar auch nicht so das Gelbe vom Ei, aber hier praktizieren wir in Deutschland längst hypertolerant „cultural appreciation“.
Doch halt! Die weitestreichende „kulturelle Aneignung“ findet statt, wenn Weiße Fremdsprachen lernen. Sie tauchen damit ein in die Kultur anderer Völker, und sie fühlen sich dadurch zu Recht intellektuell und kulturell bereichert. Aber es könnte ja zu ihrem monetären Vorteil sein. Denn wer etwa Chinesisch oder Arabisch gelernt hat, der kann diese Sprachkenntnisse auch ökonomisch auskosten. Also Schluss damit! Es wird höchste Zeit für eine neue Babylonische Sprachverwirrung. Und auch mit dem Englischen als Weltsprache muss Schluss ein. Das ist doch Kolonialismus pur! Ansonsten und umgekehrt ist kulturelle Aneignung seit Jahrhunderten gang und gäbe: Nicht-Weiße profitieren und profitierten ja zu Milliarden etwa von den technischen, wissenschaftlichen und medizinischen Errungenschaften des weißen Westens.
Nun aber Schluss mit den Beispielen, Vergleichen, Prognosen und Befürchtungen: Der deutsche Michel muss endlich durchschauen, was hier geschieht und wer dahintersteckt. Dahinter steckt nämlich eine im eigenen Saft schmorende Sehschlitz-Mini-Minderheit, die die Mehrheit hypermoralisch terrorisiert – medial und von der Mehrzahl der Parteien fleißig orchestriert. Medien, Firmen und Parteien, die den „woken“ Zirkus mitmachen, kann man freilich meiden. So funktioniert Markt.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Josef Kraus (*1949), Oberstudiendirektor a.D., Dipl.-Psychologe, 1987 bis 2017 ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, 1991 bis 2013 Mitglied im Beirat für Fragen der Inneren Führung beim Bundesminister der Verteidigung; Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande (2009), Träger des Deutschen Sprachpreises 2018; Buchautor, Publizist; Buchtitel u.a. „Helikoptereltern“ (2013, auf der Spiegel-Bestsellerliste), „Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt“ (2017), „Sternstunden deutscher Sprache“ (2018; herausgegeben zusammen mit Walter Krämer), „50 Jahre Umerziehung – Die 68 und ihre Hinterlassenschaften“ (2018), „Nicht einmal bedingt abwehrbereit – Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine“ (2019, zusammen mit Richard Drexl)
Bild: Screenshot Youtube Motorsport Magazin
Text: Gast