Merkel – die beste Kanzlerin, die die politische Linke je hatte Kritik in Zahlen: Merkel und die CDU

Ein Gastbeitrag von Alexander Fritsch

„Noch immer unterliegt die Angela-Merkel-Betrachtung einer gewissen Verklärung.“

(Markus Feldenkirchen – am 05. Februar 2021)

Alle elf Minuten verliebt sich ein Journalist in die Kanzlerin.

Das gilt für den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aber es gilt auch für den übergroßen Teil der anderen Leitmedien in Deutschland (mit löblicher Ausnahme der „Welt“, die zumindest einen ernsthaften Binnenpluralismus versucht).

Es gilt ausdrücklich auch für den „Spiegel“. Wie kaum ein zweites Medium haben die Hamburger eine zutiefst unprofessionelle Merkel-Verklärung betrieben. Jüngste Vorstöße der Relotius-Fälscherwerkstatt, ebendiese Verklärung zart zu kritisieren, wirken da wie eine unfreiwillig komische Simulation von Journalismus.

„Journalistik-Studium in einem Tweet: Was Merkel sagt, ist wahr und gut, kritische Fragen sind rechte Hetze. Wenn Merkel ihre Meinung um 180 Grad dreht, dann ist eben das, was sie gestern sagte, rechte Hetze. Beherzigt das, und ihr braucht bald eine Vitrine für eure Journalistenpreise.“

(Dushan Wegner – Tweet vom 21. Dezember 2020)

Was die Medien können, können wir schon lange, scheinen sich die politischen Konkurrenten zu denken. „Merkel bleibt SPD-Chefin“, titelt die „taz“– halb satirisch, halb resigniert. Die Grünen, ätzt die „Welt“, würden der Kanzlerin mittlerweile wie der Queen huldigen und sich selbst verzwergen: zu „Her Majesty’s Most Loyal Opposition“.

MERKEL

 

Am anderen Ende des Regenbogens überlegen sich die Merkel-Feinde teilweise recht plastisch, wie sie die Kanzlerin loswerden könnten. Das „Hau ab“, das ihr erkennbar wütende Demonstranten 2017 im Wahlkampf in Sachsen entgegen schleuderten, gehört da noch zu den harmlosen Attacken. Vor allem im Netz, in den Asozialen Medien, wabern auch veritable Gewaltfantasien.

Offenbar kann kaum jemand der Versuchung widerstehen, die Kanzlerin entweder anzubeten oder zu verteufeln. Zahlen können da helfen. Versuchen wir also eine datenbasierte Bilanz – und beginnen im ersten Teil heute mit: der Partei.

„Mit der CDU will ich nichts zu tun haben.“

(Angela Merkel, 1990)

Eigentlich wollte Angela Merkel zur SPD. Das hat sie auch nie bestritten. Eine Anekdote dazu hält sich in Berlin hartnäckig seit 30 Jahren: Ende 1989 soll Merkel mit dem später als Stasi-Spitzel enttarnten Gründungsgeschäftsführer der Ost-Sozialdemokraten, Ibrahim Böhme, wegen eines Parteieintritts richtiggehend verhandelt haben.

Offenbar gab es dabei keine Karrierezusage, die für die nach einer politischen Heimat suchende Physikerin akzeptabel gewesen wäre. Jedenfalls schloss sich Merkel zum Jahreswechsel 1989/90 dem „Demokratischen Aufbruch“ (DA) an. Das lohnte sich: Im direkten persönlichen Umfeld des DA-Vorsitzenden Wolfgang Schnur (auch er ein Stasi-Spitzel) stieg sie schnell auf. Der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière (ein weiterer Stasi-Spitzel), machte sie im April 1990 zu seiner stellvertretenden Regierungssprecherin.

Von da führte ihr Weg in nahezu gerader Linie ins Kanzleramt.

Was gerne vergessen wird: Zu der Zeit, als Merkel dort eintrat, war der DA prinzipiell linksorientiert – genau wie eigentlich alle Gruppen der damaligen Bürgerbewegung (Neues Forum, Demokratie Jetzt). Und Merkels ursprüngliches Ziel, die Ost-SPD, war das erst recht: Deren Spitzenmann Markus Meckel kämpfte bis zuletzt an vorderster Front gegen die Wiedervereinigung und für den Erhalt der DDR. Er nannte das „den dritten Weg“ – und meinte damit einen Sozialismus, den der Westen bezahlt.

Erst später festigte sich im DA eine Haltung, die den Sozialismus grundsätzlich ablehnte. Da war Merkel aber schon bis in den Vorstand aufgestiegen, und attraktive Perspektiven lagen vor ihr. Man täte der Kanzlerin sicher Unrecht, wenn man sie als konservative Überzeugungstäterin bezeichnete.

„Der größte Trugschluss in Deutschland im Jahre 2020 ist, zu glauben, dass wir von einer konservativen Partei regiert werden.“

(Annabel Schunke – Tweet vom 24. November 2020)

Merkel hat die CDU gänzlich unsentimental politisch entkernt. Wenn man sich auf diese Sichtweise einlässt, erklären sich viele Dinge einfacher – vor allem das erkennbar bedenkenlose Verscherbeln des konservativen Tafelsilbers in ihrer Amtszeit: Abschaffung der Wehrpflicht, Ausstieg aus der Kernenergie, Ehe für alle, Frauenquote in Großunternehmen. Zuletzt ließ sie ihren Kanzleramtschef Helge Braun auch noch ein Ende der Schuldenbremse ins Gespräch bringen.

Doch nichts hat die CDU so sehr in eine Identitätskrise gestürzt wie der große Flüchtlingsstrom 2015 – und die Flüchtlingspolitik seitdem. Der großartige Sönke Paulsen hat das so beschrieben:

 

„Merkel hat damals die Seiten gewechselt und verließ die Union faktisch zu Gunsten eines linken gesellschaftlichen Bündnisses, das nun den Umbau des Landes zu einer Einwanderungsgesellschaft ganz offen betrieb und alle Widerstände als Nationalismus, Rassismus und irgendwie faschistisch brandmarkte. (…) Merkel hat sich ihre Machtbasis fortan im linken Lager gesucht und damit (…) die eigene Partei gespalten.“

Man ist versucht, ein Bibel-Zitat abzuwandeln: Und die Dunkelheit erfasst das Licht, und das Licht hat’s nicht begriffen. Die CDU, so scheint es, weiß tatsächlich nicht, wie ihr geschieht. Dabei lässt ein Blick auf die nackten Zahlen eigentlich nichts an Klarheit zu wünschen übrig.

Die Mitglieder

Angela Merkel war vom 10. April 2000 bis zum 07. Dezember 2018 Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDU). In dieser Zeit sank die Mitgliederzahl der Partei von 616.722 auf 414.905. Das ist ein Minus von 32%.

Auch Merkels Vorgänger hatten teilweise schon mit Mitgliederschwund zu kämpfen, nur war der nicht annähernd so umfangreich wie bei ihr: Helmut Kohl verlor zwischen der Wiedervereinigung und seinem Ausscheiden als Parteichef (am 07. November 1998) auch, aber nur 20%. Und in der kurzen Regentschaft des CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble (07. November 1998 bis 16. Februar 2000) gab es sogar ein leichtes Plus von 1,8%.

Die Parteivorsitzende Angela Merkel hat in ihrer Amtszeit ein Drittel der CDU-Mitglieder vertrieben.

Die Spenden

1999 wurden der CDU von natürlichen und juristischen Personen insgesamt umgerechnet 33.368.479 € gespendet. In Merkels letztem Jahr als Parteivorsitzende waren es noch 17.083.414 €. Das sind etwa 48% weniger. Keiner ihrer Vorgänger hatte auch nur annähernd einen solchen Rückgang zu verantworten.

Unter der Parteivorsitzenden Angela Merkel hat sich das Spendenaufkommen der CDU beinahe halbiert.

Die Wähler

Letztlich leben politische Parteien weder von ihren Mitgliedern noch von den Spenden. Am Ende zählen die Wahlergebnisse. In ihrer Wirkung beschönigt die Zählgemeinschaft von CDU und CSU hier den wahren Zustand der CDU. Interessant ist auch, nicht auf die Prozentzahlen zu schauen – sondern darauf, wie viele Menschen absolut bei der CDU ihr Kreuz machen.

Seit Angela Merkel Vorsitzende ist, hat die Partei nicht nur relativ verloren: Vor allem ist die absolute Zahl der für die CDU abgegebenen Stimmen auf ein historisches Tief gefallen. Hatte die CDU bei der Bundestagswahl 2002 (der ersten unter der Vorsitzenden Merkel) noch 14.167.561 Wähler, waren es 2017 nur 12.447.656 Wähler. Das ist ein Minus von 12,1%.

Oder anders: Die Parteivorsitzende Angela Merkel hat in ihrer Amtszeit jeden achten CDU-Wähler vertrieben.

Merkels Macht

Von Anfang an hat die Kanzlerin in ihrem direkten Einflussbereich ausschließlich Vertraute bzw. Abhängige zugelassen. Dabei werden objektiv schwache Verbündete bevorzugt: Von denen geht keine Gefahr für die Chefin aus, und sie sind maximal fügsam – denn ihre politische (und nicht selten auch wirtschaftliche) Existenz hängt unmittelbar von Merkels Wohlwollen ab.

 

So kommt es, dass Figuren wie Ruprecht Polenz, Volker Kauder, Ronald Pofalla, Hermann Gröhe oder Peter Tauber allen Ernstes Generalsekretäre der größten Regierungspartei im viertgrößten Industriestaat der Welt sein durften – Menschen, die zu Zeiten von Helmut Kohl maximal ordentliche Landräte hätten werden können. Auch Peter Altmaier und natürlich Ursula von der Leyen gehören in diese Kategorie.

Merkel weitet ihre Taktik sogar auf Politiker anderer Parteien aus: SPD-Familienministerin Franziska Giffey hat bei ihrer Doktorarbeit betrogen. Das macht sie zu einem Kabinettsmitglied ganz nach Merkels Geschmack: öffentlich enorm angeschlagen, politisch verwundbar. Ein richtiges Wort der Kanzlerin zur richtigen Zeit, und Giffey wäre für die SPD – allen blumigen Solidaritätsbekundungen zum Trotz – nicht mehr haltbar.

Aber warum sollte Merkel jemanden absägen, der sein Ministeramt ganz allein nur noch Merkel zu verdanken hat?

Real existierende parteiinterne Kritiker isoliert sie mithilfe ihrer Vertrauten.

Und zwar bis in die entlegenste Provinz. Der Magdeburger Vorsitzende der CDU-Stadtratsfraktion – also nicht unbedingt der bedeutendste Lokalpolitiker des Landes – wagte es jüngst, die Kanzlerin zu kritisieren: „Zentralkomitee Merkel“. Der Mann musste sofort zurücktreten.

Und das nicht etwa nur, weil die üblichen Verdächtigen und Merkel-Jünger (Deutschlandfunk, CDU-Getreue) das gefordert hätten. Nein, auch SPD, Grüne und SED/PDS/Linke (!) verteidigten Deutschlands Regierungschefin heldenhaft.

Verkehrte Welt? Nicht unbedingt. Auch die vermeintlichen politischen Gegner außerhalb der CDU gehen ihr beim Entsorgen innerparteilicher Gegner schon einmal etwas zur Hand, denn:

Angela Merkel ist die beste Kanzlerin, die die politische Linke in Deutschland je hatte.

Am nächsten Samstag der zweite Teil: Merkel und Deutschland.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

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Alexander Fritsch, Jahrgang 1966, studierte Volkswirtschaft und Philosophie in Frankreich und Deutschland und arbeitet seit 25 Jahren als Journalist. Außerdem berät er als Business Coach Unternehmen und Verbände, vorrangig bei den Themen Kommunikation und Strategie.

 


Bild: john smith williams/Shutterstock
Text: Gast

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