Geimpfte müssen sich ganz offensichtlich auf regelmäßige Wiederholungsimpfungen einstellen. Das geht aus einer Antwort von RKI-Chef Lothar Wieler auf der heutigen Bundespressekonferenz auf die Frage hervor, wie er zu der Kritik stehe, wegen der „Booster“-Impfungen handele es sich um ein „Abo“. Er sagte: „Es ist ein gutes Abo, denn es ist kostenlos!“ Dass der Steuerzahler oder die Versicherten-Gemeinschaft dafür aufkommen muss, sagte Wieler nicht.
Interessant ist, dass große Medien diese provokative Aussage in ihren Live-Tickern nicht wiedergeben. T-Online etwa beschreibt die Passage so: „Alle sechs Monate Booster? Wie lange hält Schutz? Wieler: ‚Das wissen wir jetzt: Der Immunschutz hält für etwa sechs Monate, das ist ein guter Parameter bei Krankheit und Tod.‘ Die dritte Impfung erhöhe den Immunschutz deutlich. Man gehe davon aus, dass man sich auch weiter boostern werden wird. Ganz genau könne man das aber noch nicht sagen.“ Im Live-Ticker von Focus Online fehlt die Passage ganz. Spannend, ob und wie sie andere Medien aufgreifen.
Ohne es explizit auszusprechen, machte Gesundheitsminister Spahn zwischen den Zeilen deutlich, dass die Impf-Strategie der Bundesregierung gescheitert ist und die Wirkstoffe die hohen Erwartungen nicht erfüllen. So sagte der Minister: „Wir alle hatten gehofft, durch die Impfung, auf einen besseren Winter. Durch Delta-Variante und geringe Zahl der Impfungen sind wir in einer anderen Lage. Das tut weh.“ Später fügte er hinzu: „Eines ist klar: Das Sich-Konzentrieren auf das Impfen reicht nicht aus. Es ist nicht das, was die Dynamik bricht. Das ist das Reduzieren von Kontakten im Privaten und staatliche Maßnahmen. Ob 2G reicht, werden wir sehen“ Sowie: „Allein mit Impfen und Boostern werden wir das Brechen der Welle nicht mehr erreichen. Es braucht Maßnahmen der Kontaktbeschränkung. Erster Schritt: Lockdown für Ungeimpfte.“ Vor Treffen mit Risikogruppen sei ein Selbsttest zu empfehlen, „auch wenn sie geimpft oder genesen sind.“ Wieler sagte: „Die Impfungen wirken sehr, sehr gut. Auch 2G ist wichtig, aber es reicht leider nicht. Wir brauchen Kontraktreduzierung.“ Private Kontakte seien so weit wie möglich zurückzufahren. Aber auch staatliche Maßnahmen seien wichtig.
Zwischen den Zeilen gestand die Regierung erneut ein, dass die Umsetzung der aktuellen Regeln nicht funktioniert. „Wenn eine 2G-Regel nicht konsequent umgesetzt wird, kann sie nicht wirken, das ist doch klar. Also ich kann nur, wir sind uns sicher, dass, wenn 2G gemacht wird, und nicht konsequent umgesetzt wird, nicht die Wirkung hat, die es hätte, wenn es umgesetzt wird. Wenn man etwas nicht umsetzt, dann wirkt es nicht“, sagte Wieler und forderte zu härteren Kontrollen auf. „Eine Regel, die nicht eingehalten wird, macht keinen Sinn. Und vor allen Dingen, es kommt ja dazu noch ein echtes Problem: Es wird ja dann teilweise suggeriert, dass die Maßnahme nicht wirkt. Aber wenn sie gar nicht implementiert wird, dann kann sich auch nicht wirken.“
Spahn regte im Anschluss daran an, im Zweifel auch beim Freundschaftsbesuch mit Kontroll-App die Echtheit von Impfzertifkaten zu prüfen. Dazu gehöre auch das Vorzeigen des Personalausweises. Vergangene Woche regte Spahn an gleicher Stelle das Gleiche für Verwandte in der Familie an.
Mehrfach verwies Wieler bei seinen Alarmmeldungen auch auf Kinder und eine Gefährdung für diese. So sagte er etwa, inzwischen seien auch Kinder auf den Intensivstationen. Auch da seien nicht mehr alle Betten verfügbar. Über die dramatische Situation bis hin zu Triage in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Experten auch auf die Belastungen durch die Corona-Politik zurückführen, hatte Wieler m. E. noch nie geklagt. Dabei sind Kinder nur in ausgesprochen seltenen Fällen von schweren Corona-Verläufen betroffen. Kritiker werfen Wieler deshalb vor, mit dem Verweis auf Kinder die Menschen in die Irre zu führen und Angst zu schüren. Erst gegen Ende der Bundespressekonferenz sagte Wieler: „Auch wenn bislang sehr wenig Kinder erkranken, ich möchte nicht, dass auch nur ein einziges Kind verstirbt an einer Infektion, die wir hätten verhindern können.“ In diesem Zusammenhang hätte der RKI-Chef dann aber auch darauf hinweisen müssen, dass es Berichte über schwere Nebenwirkungen und auch Todesfälle kurz nach der Impfung bei Kindern gibt.
In den oben zitierten Live-Tickern wird dieser Hinweis, dass Kinder wenig erkranken, nicht wiedergegeben. Bei T-Online etwa heißt es nur: „Er wolle nicht, dass auch nur ein einziges Kind versterbe. Wenn man dagegen präventiv vorgehen könne, dann müsse man das auch tun. „Ich will nicht, dass auch nur ein einziges Kind stirbt.“ Der Leser wird dadurch massiv in die Irre geführt.
Beim Hinweis auf die Wirkung der Impfung zeigte Wieler zum Beweis derselben eine Grafik, die allerdings nur Zahlen für die Altersgruppe von 18 bis 59 ausführt. Dabei ist genau das nicht die generelle Risiko-Gruppe und die Impfdurchbrüche (früher hießen sie Impfversagen) treten vor allem in der Altersgruppe ab 60 Jahren massiv auf. Auch hier führt Wieler die Öffentlichkeit damit in die Irre.
46,5 Prozent aller erwachsenen Covid-19-Kranken mit Symptomen sind geimpft.
(114.871 “Impfdurchbrüche" in KW 42 bis 45, Quelle: RKI)
Diese Zahl wird zwar durch den hohen Anteil von Geimpften relativiert.
Aber ist es seriös, von einer "Pandemie der Umgeimpften" zu sprechen? pic.twitter.com/mKTDilEyE4— Boris Reitschuster (@reitschuster) November 19, 2021
Der RKI-Chef sagte: „Wir müssen einfach Kinder und ältere Menschen schützen! Wir müssen jetzt das Ruder herumreißen. Es ist wie ein Tanker, der auf eine Hafenmauer zufährt. Wir alle können und müssen jetzt gegensteuern … Geimpfte erkranken deutlich seltener symptomatisch und müssen auch seltener ins Krankenhaus.“
Holger Möhle vom Bonner Generalanzeiger fragte RKI-Chef Wieler: „Warum weist das RKI in seinen Wochenberichten nicht deutlicher die Zahl der Ungeimpften in den jeweiligen Altersgruppen aus, um damit zu zeigen, dass derzeit vor allem Ungeimpfte die vierte Welle anschieben und damit den Druck auf die Umgeimpften zu erhöhen?“ Wielers Antwort: „Da möchte ich widersprechen. Wir hatten gestern eine Grafik dazu drin. Vorher nur alle vier Wochen, jetzt ist sie wöchentlich drin.“
Ein anderer Kollege fragte, wie es zu erklären sei, dass die Hospitalisierungsinzidenz in Thüringen höher ist als in Sachsen, obwohl es dort weniger Neuinfektionen gibt. Der angesprochene Wieler kann diese Frage nicht beantworten.
Sehen Sie sich hier die gesamte Bundespressekonferenz mit Spahn und Wieler an.
Bild: Boris Reitschuster (Archiv)
Text: br
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