Grundrechts-Entzug jetzt per Behörden-Mausklick Die Bundesregierung auf verfassungsrechtlichen Abwegen

Im Internet kursierte das Gerücht, es sei ein „Fake“, also eine gezielte Falschnachricht. Aber das ist es nicht – gerade hat es ein Sprecher des Gesundheitsministeriums auf der Bundespressekonferenz bestätigt: Der „Genesenenstatus“ – was für ein Wortungetüm aus der Corona-Zeit – gilt künftig nur noch faktisch zwei statt bisher sechs Monate. Die meisten Medien schreiben zwar von drei Monaten, doch das ist falsch – der Status gilt erst ab dem 28. Tag nach einem positiven Test und bis zum 90. Das Ministerium begründet das mit „wissenschaftlichen Erkenntnissen“, die allerdings nicht näher bezeichnet wurden. Wie so oft. Ich fragte auf der Bundespressekonferenz nach, welche das sind und warum es in anderen Ländern umgekehrt gehandhabt wird. Etwa in der Schweiz: Da gilt der Genesenenstatus sogar statt sechs Monaten jetzt zwölf Monate (siehe hier), eine entsprechende Verlängerung trat Ende vergangenen Jahres in Kraft. Die Antwort des Ministeriums war ausweichend. Kritiker glauben, das Ziel der Neuregelung sei, den „Impfdruck“ – noch ein Wortungetüm aus der Corona-Zeit – zu erhöhen.

Das „Netzwerk Kritischer Richter und Staatsanwälte (KRiStA)“ hat jetzt die Zulässigkeit der Verkürzung des Genesenstatus untersucht. Die Initiative beobachtet das politische Handeln und das Handeln der Gesetzes- und Verordnungsgeber in der Corona-Krise aus rechtsstaatlicher Sicht. Ihre Rolle sieht sie so: „Dabei vertreten wir unsere private Meinung. Wir sind politisch neutral und grenzen uns ausdrücklich ab von jedweder extremen Strömung.“

„Die Bundesregierung hat diese Entscheidung nicht etwa selbst getroffen, sondern sie bedient sich hierzu eines verordnungsrechtlichen „Verweisungstricks“ auf das Robert Koch-Institut (RKI)“, schreibt die Initiative jetzt in einer Analyse der Neuregelung (voller Text hier): „Wann und wie lange jemand eine ‘genesene‘ Person ist, wurde bisher unmittelbar in der ‚Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung – SchAusnahmV)‘ geregelt.“

Bisher ließ sich aus der Formulierung dort der bislang geltende Sechs-Monats-Zeitraum ablesen.

Corona – Angst. Was mit unserer Psyche geschieht."„Am 14. Januar 2022 gab es nun einschneidende Veränderungen dieser Verordnung, die am Tag nach der Verkündung, also am 15. Januar, in Kraft getreten sind“, schreibt die Initiative:  „Dazu muss man wissen: Schon bisher war es rechtlich äußerst zweifelhaft, dass solche Regelungen, die eine extrem weitreichende Auswirkung auf die Grundrechtsausübung haben, nur in einer Verordnung der Regierung, statt in einem Parlamentsgesetz getroffen werden. Im Parlament gibt es mehrere Lesungen eines Gesetzes, Ausschussberatungen, Anhörungen und vieles mehr, so dass wichtige Regelungen öffentlich diskutiert werden (auch wenn die vergangenen Monate gezeigt haben, dass man selbst wichtige Parlamentsgesetze in einem undemokratischen ‚Schweinsgalopp‘ beschließen kann). Eine Verordnung kann die Regierung demgegenüber in den meisten Fällen ’still und leise‘ ändern.“

In diesem Fall käme aber eine Tatsache hinzu, „die – man soll den Begriff nicht inflationär verwenden, aber hier erscheint er sogar noch als zu schwach – absolut skandalös ist“, heißt es in der Analyse: „Denn die Bundesregierung, deren verfassungsrechtliche Legitimation für eine solche Regelung ohnehin schon zweifelhaft war, delegiert diese jetzt einfach weiter an das Robert Koch-Institut. Das ist gleich zur Tat geschritten und hat den Status auf drei Monate verkürzt.“

Die Verordnung verweist jetzt einfach auf das RKI und die weisungsgebundene Bundesbehörde kann quasi nach Gusto entscheiden wie lange Grundrechte eingeschränkt werden.

Die Initiative schreibt dazu: „So kann die Bundesregierung über ihre Weisungsmöglichkeit an das RKI die Basis für die Grundrechtsentzüge definieren, ohne diese nach außen verantworten zu müssen. Änderungen sollen also offensichtlich weder im Bundesgesetzblatt noch im Bundesanzeiger, sondern auf einer Internetseite erscheinen. Gerichte und Behörden werden Screenshots speichern müssen, um zu wissen, wann was galt. Änderungen sind jederzeit möglich.“

„Ein absurder Zustand, wenn man die Tragweite der Regelung bedenkt“, so die Initiative weiter. „Entgegen dem Anschein, der sich aus der bisherigen medialen Berichterstattung ergibt, geht es nicht nur um eine Regelung zu Quarantäne-Zeiten, sondern um sämtliche infektionsschutzrechtliche Einschränkungen, die daran anknüpfen, dass eine Person geimpft oder genesen ist und zur Beantwortung dieser Frage auf die COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung verweisen.“

„Die Verkürzung des Genesenenstatus ist praktisch in jeder Hinsicht dramatisch, zum Beispiel in Bezug auf die Impfpflicht im Gesundheitswesen“, heißt es in der Analyse: „Schließlich hätten genesene Pflegekräfte den bisherigen Zeitraum ausschöpfen können, ohne sich impfen lassen zu müssen. Dieser Zeitraum wird nun halbiert. Noch mehr Pflegekräfte, die sich keiner Impfung unterziehen wollen, drohen aus dem Dienst auszuscheiden. Die Pflegekatastrophe wird so nochmals verschärft, statt das Gesundheitswesen zu entlasten.“

Schlimmer noch: „Ob und unter welchen Bedingungen zumindest ein Bestandsschutz für den eigentlich sechsmonatigen Zeitraum für diejenigen besteht, die bereits zum 15. Januar 2022 einen Genesenenstatus hatten, ist unklar.“

Die Initiative fragt: „Will die Bundesregierung die Wut der durch Impfungen Geschädigten und derjenigen, die ihre wirtschaftliche Existenz verlieren, auf das RKI umlenken, um später, wieder einmal in Deutschland, sagen zu können: Wir haben es nicht gewusst? Die Wissenschaft war es?“

Weiter heißt es in dem Text: „Auch in Bezug auf ‚geimpfte‘ Personen, d.h. den künftigen Verlust des Impfschutzes, die sog. Auffrischimpfungen und Impfintervalle, wurde übrigens nun das gleiche Regelungssystem gewählt. Nach dem neuen § 2 Nummer 3 COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung darf nun das Paul-Ehrlich-Institut im Benehmen mit dem RKI diese Regelungen bezüglich der Impfung treffen. Auch hierfür wird also nicht der Gesetzgeber, nicht die Regierung, sondern wieder eine Internetseite zuständig sein. Ruft man die genannte Internetseite auf, findet man dort allerdings an dieser Stelle noch ein Schweigen bezüglich der aktuell zentralen Fragen: ‘Hinweis. Derzeit sind noch keine Angaben zu Auffrischimpfungen und entsprechenden Intervallzeiten veröffentlicht.'“

Die Initiative KRiStA erklärt anschaulich, welch weitreichende Wirkungen dieser Bürokratie-Trick hat: „Bei Rechtsverordnungen haben alle Gerichte eine eigene Verwerfungskompetenz und -pflicht, wenn sie diese für verfassungswidrig halten. Dies ist anders als bei formellen Gesetzen, für deren Prüfung allein die Verfassungsgerichte zuständig sind. Durch die hier besprochene Verordnungsänderung wird der Inhalt von Vorschriften, die extrem bedeutsam sind für die Ausübung von Grundrechten und auch für ihre Beschränkung bzw. ihren Entzug, an die genannten Einrichtungen delegiert. Es wird zu prüfen sein, ob dies noch mit Verfassungsrecht vereinbar ist. Hierzu ist jede Richterin und jeder Richter in Deutschland berufen. Auch die Beamtinnen und Beamten sollten die auf der Hand liegende Frage der Verfassungsmäßigkeit im Rahmen ihrer Remonstrationspflicht prüfen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich auf diese Normen keinerlei Bescheide, Bußgeldbescheide oder Urteile mehr stützen lassen.“

Dies gelte nicht nur „wegen der bereits bekannten Problematik der Bestimmtheit von Normen angesichts solcher Blankettvorschriften und Verweisungsketten“. Es sei auch „höchst zweifelhaft, ob der verfassungsrechtliche Grundsatz ‘nulla poena sine lege scripta‘ (keine Strafe ohne geschriebenes Gesetz) erfüllt ist (Art. 103 Abs. 2 GG), wenn zur Schaffung von Ordnungswidrigkeitstatbeständen lediglich auf eine dynamische(!) Internetseite verwiesen wird. Dieses – soweit ersichtlich bislang nicht gelöste – Problem hat sich bereits bei der Ausweisung ausländischer Risikogebiete durch das RKI und der hieran anknüpfenden Verpflichtung zur Quarantäne von Reiserückkehrern gestellt.“

Das Fazit der kritischen Richter und Staatsanwälte: „Es ist daher unverantwortlich, dass die Bundesregierung diesen verfassungsrechtlich zweifelhaften Zustand schafft. Hunderttausende, vielleicht sogar mehrere Millionen Maßnahmen werden auf diesen Regelungen beruhen. Sollten sie Gerichte als verfassungswidrig bewerten, werden diese Maßnahmen rechtswidrig sein und die diesbezügliche Behördentätigkeit zum Erliegen kommen.“

Wichtiger Hinweis: Berichte wie dieser sind immer auch durch die Sichtweise des Autors subjektiv gefärbt. Ich bitte daher meine Leser wie immer, sich auch aus anderen Quellen mit anderer Herangehensweise zu informieren, um dann in Kenntnis verschiedener Sichtweisen selbst ein Urteil zu fällen.

david

Bild: nitpicker/Shutterstock
Text: br

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