Von Mario Martin
Im Ausgangsjahr der Pandemie bestellte der Bund mehr als eine Milliarde OP- und FFP2-Masken. Das Auftragsvolumen belief sich auf gut zwei Milliarden Euro.
Masken würden nicht helfen, hieß es damals zur Zeit der Bestellungen, weil noch nicht ausreichend davon vorhanden waren. Dieses Narrativ wurde erst später geändert.
Wie im Rausch kaufte das Gesundheitsministerium (BMG) unter Jens Spahn Schutzkleidung und Desinfektionsmittel ein. Die Beweise dafür, dass Masken nicht zur Bekämpfung des Virus geeignet sind und insbesondere für Kinder schädlich sein können, sind stabil und eindeutig.
Nebeneinkünfte der Abgeordneten
An diesen Einkäufen waren u.a. 40 Bundestagsabgeordnete beteiligt, die als Vermittler auftraten und Angebote der anbietenden Unternehmen an das einkaufende BMG weiterleiteten. Die meisten von ihnen kassierten dafür aber keine Provision – zumindest nicht persönlich. Wäre das der Fall gewesen, hätten die Abgeordneten dies lediglich publik machen müssen. Denn Abgeordnete dürfen Nebeneinkünfte haben und auch unternehmerisch tätig werden.
Tätigkeiten und Einnahmen, die auf mögliche Interessenskonflikte hindeuten, sind dem Bundestagspräsidenten zu melden und zu veröffentlichen. Weiterhin müssen alle Einnahmen über einer Summe von 1.000 Euro pro Monat oder 10.000 Euro pro Jahr gemeldet werden.
Neben den Abgeordneten, die zumindest offiziell keine Provision kassierten, sind da aber noch die Vorgänge um die Abgeordneten Georg Nüßlein (ex-CSU) und Alfred Sauter (CSU) zu erwähnen. Die beiden Volksvertreter hatten 660.000 Euro (Nüßlein) und 1,2 Millionen Euro (Sauter) Provision kassiert.
Dies war der Lohn für die Einfädelung von Maskenverkäufen der hessischen Textilfirma Lomotex an die Gesundheitsministerien in Bayern und des Bundes sowie an das Bundesinnenministerium in Höhe von insgesamt knapp 63 Millionen Euro. Dies sei nach Ansicht des OLG München und nun auch der Bundesanwaltschaft legal gewesen.
Gegen diese Zahlungen hatten die Staatsanwaltschaften München und Berlin Beschwerde erhoben.
OLG München weist Korruptionsklage ab
Gegen Nüßlein, Sauter und Tandler leiteten die Staatsanwaltschaften der Bundesländer München und Berlin Verfahren auf Korruptionsverdacht ein, die derzeit vom Bundesgerichtshof (BGH) bearbeitet werden. Zuvor hatte die Generalstaatsanwaltschaft München den Prozess vor dem OLG-München verloren. Seitens der Staatsanwaltschaft sollte hier ein Musterprozess zum Tatbestand der Abgeordnetenbestechung durchgeführt werden, um ein Exempel gegen Korruption von Abgeordneten zu statuieren.
Der Prozess endete in einer heftigen Niederlage für die Staatsanwaltschaften. Die sichergestellten Provisionen mussten den Beschuldigten zurückgezahlt werden. Die Staatsanwaltschaft ging in Beschwerde gegen die Beschlüsse des OLG.
Die Beschuldigten erhielten lediglich eine Rüge für die Durchführung der Geschäfte, die zu “Demokratieverdruss” führen könnten.
Ebenfalls wurde der Bundestag für dessen unzureichenden Schmiergeld-Paragrafen für Abgeordnete gerügt (§ 108e – Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern).
Nun liegt der Fall auf Bundesebene, also beim BGH, und damit setzt sich auch die Bundesanwaltschaft mit den Vorgängen auseinander. Die Bundesanwaltschaft ist die Staatsanwaltschaft des Bundes und wird vom weisungsgebundenen Generalbundesanwalt Peter Frank geleitet.
Bundesanwaltschaft: Provisionen verstoßen nicht gegen den Anti-Korruptionsparagrafen
“In einem aktuellen Verfahren beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe um Sauter und Nüßlein hat die Bundesanwaltschaft Partei ergriffen für die beiden ehedem führenden CSU-Politiker. Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft verstoßen die Masken-Provisionen nicht gegen den Anti-Korruptionsparagrafen (§ 108e) für Parlamentarier. Das geht aus einer 50-seitigen Stellungnahme der Bundesanwaltschaft von Ende Februar für den BGH hervor, der über diesen Fall entscheiden muss”, schreibt die Süddeutsche Zeitung, die bereits das Verfahren am OLG begleitete.
Im Zentrum der Bewertung stand die Frage, ob die beiden ehemaligen Parlamentarier im Rahmen ihres Mandats gehandelt hätten. Die Verteidigung hatte schon am OLG argumentiert, Nüßlein und Sauter hätten „außerhalb ihrer Parlamente“ gehandelt und seien daher unschuldig.
Das OLG-München begründete die Entscheidung im November zu Gunsten der Beschuldigten und verwies auf Paragraf 108e. Nach dem „eindeutigen Willen“ des Bundestags sei es kein Gesetzesverstoß, wenn ein Abgeordneter die „Autorität seines Mandats“ und seine Kontakte nutze, um Entscheidungen außerhalb des Parlaments zu beeinflussen. Das sei so „hinzunehmen“.
Dem schloss sich die Bundesanwaltschaft an und positionierte sich zugunsten von Nüßlein und Sauter. Damit hat die Klage der Berliner und Münchner Staatsanwaltschaften wenig Aussicht auf Erfolg.
Spahns Verhör
Zweifel kommen jedoch durch die Aussagen Jens Spahns auf, die dieser in der Zeugenvernehmung durch die Staatsanwaltschaft München getätigt hatte. Spahn sagte aus, Aufgabe der beteiligten Mitarbeiter sei es, den Kontakt zwischen den Abgeordneten der Fraktion und dem Fachministerium zu halten.
„Diese Mitarbeiter seien Ansprechpartner für die tägliche Arbeit zwischen Ministerium und Fraktion. Das spreche dafür, dass sich Nüßlein in diesem Fall als Vize-Fraktionschef im Ministerium gemeldet habe. Zumindest habe man das im Ministerium annehmen müssen”, berichtet die Tagesschau.
Spahn selbst sei schockiert gewesen, als er erfahren habe, Nüßlein hätte sich eigene Vorteile durch das Einstreichen der Provision verschafft.
Noch ein weiterer Fall von Maskenbeschaffung durch das BMG spielte bei dem Verhör eine Rolle. Allerdings geht es in diesem Fall um andere Summen.
Spahn befürchtete bereits 2020 Untersuchungsausschuss
Die Tochter des ehemaligen CSU-Generalsekretärs und Ex-Ministers Gerold Tandler, Andrea Tandler, hatte mit einem Partner 48,3 Millionen Euro Provision für die Vermittlung von Masken durch die Schweizer Handelsfirma Emix erhalten.
Insgesamt hatte der Bund für etwa 700 Millionen Euro bei der Firma eingekauft und zahlte im Schnitt 5,58 Euro pro FFP-2 Maske. Bayern zahlte der Firma 8,90 Euro und NRW 9,90 pro Maske. Die Gewinne der Schweizer Jungunternehmer belaufen sich vermutlich auf 100 bis 200 Millionen Euro.
Andrea Tandler, die mit ihrem Partner Darius N. eine kleine PR-Agentur namens „Little Penguin“ betreibt, soll je nach Vertrag zwischen 5 und 7,5 Prozent Provision von Emix erhalten haben. Allein im Mai 2020 sollen 14 Millionen Euro an Tandlers PR-Agentur geflossen sein; Schätzungen zufolge liegt die Gesamtsumme zwischen 34 und 51 Millionen Euro.
Spahns SMS-Deals
Tandler war im Februar über die mit ihr befreundete CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier, Tochter des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, zuerst an die Bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml herangetreten.
Nach der erfolgreichen Vermittlung fragte sie Hohlmeier, ob sie den Kontakt auch an das BMG weiterleiten könne. Sie brauche eine schnelle Entscheidung, ob der Bund auch Masken benötige.
Hohlmeier bot postwendend dem “lieben Jens” drei Millionen Schutzmasken an. Erwähnte aber gleichzeitig, sie sei bei dem Deal in keinster Weise finanziell beteiligt. Spahn schlug sofort zu und schrieb noch am gleichen Abend zurück, es bestehe Bedarf und man solle das Angebot an seine Bundestags-E-Mail-Adresse schicken.
Nachdem die das BMG beratende Firma Ernst & Young später eine Zahlung über 168 Millionen Euro an Emix wegen Qualitätsmängeln stoppte, wandte sich Tandler erneut mit einem “Dicken Bussi” an Hohlmeier. Die Firma stehe vor einem Desaster, falls die Zahlungen nicht einträfen. Abermals wandte sich die CSU-Frau an Spahn, doch zu diesem Zeitpunkt war Spahn dann schon vorsichtiger.
Er warnte davor, dass sich künftig noch Untersuchungsausschüsse mit der ganzen Sache beschäftigen würden. Er wolle daher keinen politischen Einfluss nehmen und schrieb Hohlmeier dies: „Schützt Dich und mich. Lg Jens“.
Vorwurf der Korruption
Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft gegenüber Tandler lautete, sie habe das BMG mit Schmiergeld zum Kauf der Masken bei Emix bewegen wollen. Dazu hätte sie mit ihrem Partner Geldwäsche betrieben.
In der Folge kam es zu Durchsuchungen bei der Unternehmerin und ihrem Partner. Diese legte beim Landgericht München Beschwerde gegen das Vorgehen ein und bekam Recht. Die Verdachtsmomente hätten nicht für die Durchführung einer Razzia ausgereicht.
Obwohl es bisher keine Erkenntnis gibt, wem das Schmiergeld hätte zufließen sollen, wollen die Ermittler der Staatsanwaltschaft das Verfahren noch nicht aufgeben. Man warte noch auf Informationen, die über die Rechtshilfe von den Schweizer Behörden beantragt wurden.
Wenn daraus nichts wird, bleiben nur noch steuerrechtliche Ermittlungen, um gegen Tandler und Partner vorzugehen.
Der Staat als Beute
Letztlich scheinen die Beschuldigten bei derzeitiger Rechtslage nicht illegal gehandelt zu haben. Wie das OLG-München feststellte, sei die einschlägige Norm nicht ausreichend. Das Urteil darf als Aufforderung an den Bundestag verstanden werden, den wirkungslosen Paragraphen 108e StGB zu überdenken.
Der Skandal liegt also viel tiefer. Zuerst: Warum müssen Abgeordnete, die derzeit 10.083,47 Euro monatlich verdienen, noch Geld mit Nebeneinkünften machen? Warum gibt es kein Verbot substantieller Nebeneinkünfte und die vollständige Transparenz aller Einkünfte der Abgeordneten und Minister? Wie kann es sein, dass ein Gesundheitsminister ein exklusives Abendessen für 9.999 Euro pro Person veranstaltet, ohne die Namen der Gäste offenlegen zu müssen?
Das eigentliche Problem liegt aber noch tiefer. Es wird immer Gesetzeslücken und Workarounds geben, wie Politiker bei der Auftragsvergabe schummeln können, um den eigenen Klüngel zu bedienen. Der Politiker von heute ist durch eine jahrzehntelange Negativauslese nicht nur oft völlig inkompetent, er ist auch oftmals moralisch bankrott und nutzt diese Regelungslücken gnadenlos zum eigenen Vorteil aus.
Dieses Problem tritt aber immer auf, wenn sich der Staat als Unternehmer betätigt. Es wird derzeit nur so offenkundig, weil die Akteure unfähig sind, ihre Spuren richtig zu verwischen. Korruption existiert in einem gewissen Grade immer, da sollte man sich keinen Illusionen hingeben.
Um die Korruption zu begrenzen, müssten den Entscheidungsträgern enge Grenzen gesetzt sein, in welchem Umfang sie über den Staat Geschäfte machen dürfen. Alle so „überlebensnotwendigen“ Güter hätten in der “Pandemie” auch privat bereitgestellt werden können.
Aber es brauchte den Staat, um den Absatz bei Schutzkleidung und Impfungen zu garantieren und das unternehmerische Risiko bei den Anbietern zu minimieren. Privatpersonen hätten ohne Zwang und eigenen Antrieb niemals in diesem Umfang Geld für den Müll ausgegeben, der nun unsere Straßen und Parks verdreckt und bald als Sonderabfall entsorgt werden wird.
Nicht nur bedarf der Paragraf 108e StGB einer Revision. Politiker sollten endlich für ihre Entscheidungen mit ihrem Privatvermögen haftbar gemacht werden können. Nur wer auch persönlich für sein Tun haftet, handelt verantwortungsvoll. Wer sich das nicht zutraut, sollte das Amt auch nicht ausüben.
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Mario Martin ist Ökonom und arbeitet als Software-Projektmanager in Berlin.
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