Von Kai Rebmann
Seit Ende Januar 2022 ist Friedrich Merz Bundesvorsitzender der CDU und hat damit die wenig beneidenswerte Aufgabe übernommen, eine nach der Ära Merkel völlig verwahrloste und in ihren Grundwerten erschütterte Partei wieder auf Kurs zu bringen. Ob ihm dies gelingen wird oder die CDU sich auf ihrem Irrweg festgefahren hat, wird sich wohl erst in den nächsten Jahren zeigen. Hoffnung auf eine konservativere Zukunft der Christdemokraten machen unter anderem die Aussagen, die Merz in einem aktuellen Interview mit der „Welt“ getätigt hat. Der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag bezeichnete die Cancel Culture darin als größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit. Man könnte nun kritisch fragen, warum Merz dieser keineswegs neue Trend erst jetzt aufgefallen ist – aber auch in diesem Fall gilt: Besser spät als nie!
Friedrich Merz warnte vor den Auswüchsen des oft beschworenen „Kampf gegen Rechts“, die zeigten, dass Teile der hiesigen Gesellschaft regelmäßig auf einem Auge blind seien. Dieser schwammige Begriff werde von linken Aktivisten missbraucht, um auch gegen ganz legitime Meinungen oder gar wissenschaftliche Erkenntnisse vorzugehen. „Ich sehe mit größter Besorgnis, was an den Universitäten in den USA passiert; das schwappt jetzt auch nach Europa über“, sagte der CDU-Chef mit Blick auf die Kontroverse um den Vortrag einer Biologin an der Humboldt-Universität in Berlin, der zunächst abgesagt wurde und dann nur unter massiven Sicherheitsvorkehrungen nachgeholt werden konnte.
Marie-Luise Vollbrecht wollte über die Frage referieren, warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt. Einen solchen Frontalangriff auf die eigene Ideologie konnte die linksgrüne Blase natürlich keinesfalls dulden und drohte der Uni-Leitung damit, dass man sich „auf der Straße sehen“ werde, falls der Vortrag stattfindet. „Das ist das Gegenteil von Wissenschaftsfreiheit und legt die Axt an eine der wichtigsten Errungenschaften einer aufgeklärten Gesellschaft“, konstatierte Merz.
Getroffene Hunde bellen
Der neue Hoffnungsträger der CDU gilt nicht nur als begnadeter Redner, sondern auch als jemand, der weiß, wie man den politischen Gegner mit den richtigen Spitzen aus der Reserve lockt. Dass ihm dies mit seinen Aussagen in dem „Welt“-Interview auch dieses Mal wieder gelungen zu sein scheint, zeigen die umgehenden Reaktionen aus dem linken Spektrum der Presselandschaft. Die taz bezeichnete es als „Blödsinn“, dass die Cancel Culture die größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit sei und unterstellte Merz „politisches Kalkül“. Aida Baghernejad nannte es in dem taz-Kommentar „amoralisch“, in diesen Zeiten „das Bild eines Kulturkampfs aus den USA zu importieren“. Das sei nichts weiter als ein „Täuschungsmanöver“.
Noch etwas deutlicher bringt Domescu Möller seine Realitätsferne zum Ausdruck. „Konservative und andere Ewiggestrige“ verwenden den „politischen Kampfbegriff“ der Cancel Culture gerne immer dann, wenn sich die Welt in ihren Augen etwas zu schnell ändert, glaubt der Kollege vom Berliner Kurier. Dabei sei der „einzige wirklich bekannte Fall von vollstreckter Cancel Culture in Deutschland“ das Verbot des Songs „Oma ist eine Umweltsau“, bei dem der WDR-Intendant Tom Buhrow vor einem aufgestachelten „Internet-Mob“ gekuscht habe. Die oben erwähnte Biologin wird in dem Kurier-Artikel gar als „Anti-Trans-Aktivistin“ bezeichnet, nur weil sie sich erdreistet hat, in ihrem Vortrag auf eine schlichte biologische Tatsache hinzuweisen.
Aber damit beschreiben die taz und der Berliner Kurier sehr treffend, wie Meinungsfreiheit nach dem Weltbild des linken Mainstreams zu definieren ist. Gesagt und geschrieben werden darf nur das, was dem „woken“ Zeitgeist entspricht. Wer dagegen andere oder sogar als konservativ geltende Überzeugungen vertritt, gilt pauschal als „rechts“ und/oder muss sich als „Ewiggestriger“ diffamieren lassen. Dabei sollten gerade Journalisten – ganz gleich wo und für wen sie schreiben – ein Interesse an der Verteidigung der Meinungsfreiheit haben und Warnungen, wie die von Friedrich Merz ausgesprochene, durchaus ernstnehmen. Dazu gehört insbesondere, auch Meinungen zuzulassen, die dem eigenen Weltbild diametral entgegenstehen. Denn die in einem nie gekannten Ausmaß um sich greifende Cancel Culture ist nur einer von vielen Gründen dafür, dass sich die Pressefreiheit in Deutschland seit Jahren immer weiter verschlechtert.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: photocosmos1 / ShutterstockText: kr
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