Von Kai Rebmann
Ein gemeinsames Vorgehen von Politikern aus Union, SPD, Grünen und Linken – noch dazu aus mehreren Ländern – ist im alltäglichen Politbetrieb ein äußerst seltenes Naturschauspiel. Dass es jetzt in Form eines gemeinsamen Briefs an Karl Lauterbach (SPD) dennoch dazu gekommen ist, liegt an der Blockadehaltung, die der Bundesgesundheitsminister zum Ende der sektoralen Impfpflicht nach wie vor einnimmt. In dem Schreiben setzten sich zunächst Sachsen, Thüringen und Bayern für das Auslaufen dieses „Konstrukts“ ein, inzwischen hat sich auch Baden-Württemberg der Forderung angeschlossen.
Weitere Unterstützung erhält das Quartett jetzt von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die die Maßnahme als „mittlerweile überholt“ bezeichnet. KBV-Chef Andreas Gassen sieht in der sektoralen Impfpflicht sogar eine Bedrohung, die sich anschickt, „zur Belastung für Krankenhäuser, Praxen und Pflegeeinrichtungen zu werden“, da jede Fachkraft dringend gebraucht wird. „Wir können dort auf niemanden verzichten. Sie lässt sich auch nicht mehr rechtfertigen, da die einrichtungsbezogene Impfpflicht eigentlich politisch als Vorläuferin einer allgemeinen Impfpflicht gedacht war, die ja nicht gekommen ist“, erinnert Gassen. Sein Vize Stephan Hofmeister weist ebenfalls darauf hin, dass das medizinische Fachpersonal „dringend für die Patientenversorgung“ benötigt wird und hält es für einen Fehler, dieses ständig nur auf seinen Impfstatus hin kontrollieren zu wollen.
Lauterbach kassiert schallende Ohrfeige aus Bayern
Klaus Holetschek (CSU) zeigt sich davon überzeugt, dass die sektorale Impfpflicht deutlich mehr schadet als nutzt: „Wir können es uns nicht erlauben, mit einer mittlerweile völlig überholten Maßnahme diesen Bereich weiter zu strapazieren, indem wir dringend benötigtes Fachpersonal, aber auch Auszubildende in andere Berufe oder ins benachbarte Ausland verdrängen.“ Dann teilt Bayerns Gesundheitsminister noch eine Ohrfeige an Karl Lauterbach und dessen Impf-Apologeten aus: „Die einrichtungsbezogene Impfpflicht war immer nur als Vorläufer einer allgemeinen Impfpflicht gedacht. Da die allgemeine Corona-Impfpflicht aber politisch gescheitert ist, gibt es auch keine Rechtfertigung für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht mehr.“ Man sei es den Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich jetzt schuldig, sie in dieser Frage fair zu behandeln, anstatt sie „ohne jede Not“ einseitig zu belasten, appelliert der CSU-Mann.
Auch Petra Köpping (SPD) aus Sachsen glaubt, dass die sektorale Impfpflicht nicht mehr zeitgemäß ist. „Heute haben sich mit der Omikron-Variante die Voraussetzungen geändert“, erinnert die Gesundheitsministerin daran, dass dieses Instrument unter dem Eindruck der Delta-Variante beschlossen worden ist. „Gerade mit Blick auf die Versorgungssicherheit, aber auch auf den enormen Verwaltungsaufwand für die Einrichtungen und Gesundheitsämter, lehne ich eine Verlängerung über Ende 2022 ab. Sie ist schlicht nicht zu rechtfertigen“, stellt Köpping im Namen der Kenia-Koalition in Dresden klar. Ziel müsse sein, dass die Menschen in den Pflegeeinrichtungen bestmöglich versorgt werden. „Wir können auf niemanden verzichten“, warnt die Sozialdemokratin vor blindem Aktionismus auf den letzten Metern der sektoralen Impfpflicht.
Heike Werner (Linke) adressiert ihre Kritik an all die Balkonklatscher und Fensterredner, die den Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern im Frühjahr 2020 noch die Schultern wundgeklopft haben. „Die weitere Durchsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht wird unter den derzeit geltenden Regelungen allein auf dem Rücken derer ausgetragen, die unser Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren am Laufen gehalten haben“, klagt die Gesundheitsministerin aus Thüringen. Sie habe sich bereits Anfang September persönlich mit einem Schreiben an das Bundesgesundheitsministerium gewandt und darum gebeten, für bundeseinheitliche Klarheit bezüglich der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zu sorgen und diese aufzuheben. Auf eine Antwort von Karl Lauterbach warte sie bis heute, prangert Werner den offensichtlich mangelnden Kommunikationswillen mit Kritikern an. Dabei sei es wichtig, „dass wir in diesem Punkt schnellstmöglich zu einem guten Ergebnis für die Beschäftigten kommen“.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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