Von Kai Rebmann
November 2022, irgendwo in Berlin: Eine ältere Frau fährt mit ihrem sichtlich in die Jahre gekommenen Kombi in die Tiefgarage eines Plattenbaus. Aus dem Off ertönen die Klänge von „Stille Nacht“. So beginnt das diesjährige Weihnachtsvideo von PENNY. Aber: Was in den folgenden vier Minuten geschieht, will so gar nicht in die besinnliche Adventszeit passen. Auf dem Weg von der Garage in ihre Wohnung wird die Protagonistin mit den aus der Sicht des Discounters drängendsten Problemen unserer Zeit konfrontiert. Mit jedem Schritt, den die Frau macht, bekommt die zuvor noch heile Welt um sie herum immer mehr Risse und droht schließlich vollends einzustürzen. Von den Klimasünden der älteren Generationen über Diskriminierung von Migranten bis hin zum Ukraine-Krieg ist wirklich alles dabei, was das Zeug hat, einem das Weihnachtsfest und die Vorfreude darauf so richtig zu vermiesen. Und natürlich darf auch die „Pandemie“ nicht fehlen, ohne die es bei PENNY auch drei Jahre nach deren Geburt nicht zu gehen scheint.
Dann, ganz am Ende des Films, kommt die Supermarkt-Kette mit der zentralen Botschaft ihres Weihnachtsfilms um die Ecke: „Wir alle können etwas gegen die Risse in unserer Gesellschaft tun: Wir können aufeinander zugehen.“ Es sind durchaus wahre Worte, die die Macher des Streifens da aussprechen. Diese Einsicht kommt womöglich aber zu spät. In ganz ähnlicher Weise versucht derzeit unter anderem auch das Bundeswirtschaftsministerium in seinem Imagefilm „Damit wir gut durch den Winter kommen“, den Zusammenhalt und das Miteinander in der deutschen Bevölkerung zu beschwören und zuvor leichtfertig zerschlagenes Porzellan wieder zu kitten. Nach Jahren der Ausgrenzung und Diffamierung von Andersdenkenden merken inzwischen offenbar auch die Bundesregierung, PENNY und viele andere, dass in der Gesellschaft in Deutschland irgendetwas kaputtgegangen ist. „Der Riss“, so der Titel des Weihnachtsfilms, legt also schonungslos offen, dass die Spaltung eben doch mitten durchs Land geht und es sich bei den Andersdenkenden nicht nur um einen „rechten Blinddarm“ (ZDF-Frau Sarah Bosetti) handelt, der einfach entfernt werden kann. Ob diese Wunden jemals wieder zu heilen sind, wird die Zukunft zeigen müssen.
Kooperation mit dem ‚Forum für Streitkultur‘
Der Discounter hat sich offenbar vorgenommen, seinen Beitrag zur Einigung der deutschen Gesellschaft leisten zu wollen. Garniert wird der diesjährige Weihnachtsfilm deshalb mit „10 professionellen Gesprächstipps“ für Debatten mit Andersdenkenden. Nun liegt das Kerngeschäft von PENNY aber im Verkauf von Lebensmitteln und weniger im Bereich der Philosophie. Also hat sich der Discounter Verstärkung ins Haus geholt und den Ratgeber in Zusammenarbeit mit dem „Forum für Streitkultur“ entwickelt. Da der Leitfaden den Eindruck der unvoreingenommenen Neutralität erwecken soll, lohnt sich ein genauerer Blick hinter die Kulissen der Co-Autoren des Werks.
Auf seiner Homepage informiert das „Forum für Streitkultur“ unter anderem wie folgt: „Die Polarisierung der Gesellschaft nimmt zu. Durch die Digitalisierung haben Fake News und Verschwörungstheorien Konjunktur. In den sozialen Medien grassiert Hatespeech. Es gibt immer mehr Klagen über sich verengende Meinungskorridore. Konstruktive Gespräche mit Andersdenkenden erscheinen zunehmend schwieriger.“ Wer jetzt davon ausgeht, dass sich die Klagen über „Fake News“ und „Verschwörungstheorien“ in den sozialen Medien nicht in erster Linie auf die Verlautbarungen von Karl Lauterbach und seinem Ministerium beziehen, liegt damit genau richtig. Zu den „Lieblings-Andersdenkenden“ des Debattierclubs mit Sitz in Berlin gehören Donald Trump und die AfD. Zur Entstehungsgeschichte des Forums erfährt der Leser: „Das Forum für Streitkultur wurde im Januar 2017 in Berlin gegründet. Damals wurde deutlich, dass sich mit der öffentlichen Debatte um die Brexit-Abstimmung in Großbritannien, dem Präsidentschaftswahlkampf in den USA und dem Aufstieg der AfD in Deutschland die Streit- und Debattenkultur nahezu global verändert.“ Mit anderen Worten: Die Gründer des „Forums für Streitkultur“ sahen sich angesichts der Stärkung von konservativen Kräften zum Handeln gezwungen.
Äußerst interessant ist zudem, was die Philosophen über das „Muster der rechtspopulistischen Strategie“ schreiben, welches sie – wer hätte es gedacht – an dieser Stelle mit der AfD in Verbindung bringen: „Man greife berechtigte oder unberechtigte Ängste und Zweifel in der Bevölkerung auf, nähre sie mit entsprechenden Untergangsszenarien und präsentiere sich anschließend als alternativloser Retter in der Not. Dieses Muster lässt sich durchweg in den politischen Argumentationen von Rechtspopulisten finden. Es scheint dem Rechtspopulismus inhärent zu sein.“ Und jetzt die Preisfrage: An wen müssen Sie angesichts dieser Definition sofort denken? Kleiner Tipp: Der Gesuchte wurde in diesem Artikel bereits namentlich erwähnt.
Mit dem Blick von oben herab in eine gesunde Debatte?
Vor diesem Hintergrund erscheinen die „10 professionellen Gesprächstipps“, die PENNY seinen Kunden wahrscheinlich mit den besten Motiven unter den Weihnachtsbaum gelegt hat, schon in einem etwas anderen Licht. Wir wollen an dieser Stelle beispielhaft einige dieser Tipps nennen und natürlich auch nicht verschweigen, was diese in der „Übersetzung“ bedeuten oder bedeuten könnten.
1. Tipp: Versucht, zu verstehen: „Hört genau zu, so dass ihr nichts falsch versteht. Manchmal hilft es, die Thesen und Argumente der anderen in eigenen Worten nochmal zusammen zu fassen.“
Übersetzung: Wie eine solche Zusammenfassung in eigenen Worten oft aussieht, ist in Talkshows des ÖRR zu beobachten. Nicht selten wird AfD-Politikern, „Corona-Leugnern“ oder in sonstiger Weise Andersdenkenden vom Moderator dabei das Wort im Mund herumgedreht. Beispiel: Aus „Ich bin gegen die Russland-Sanktionen“ kann schnell mal ein „Sie haben also kein Problem damit, Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine weiter zu finanzieren“ werden.
5. Tipp: Bleibt auf Augenhöhe: „Das Gegenüber zu belehren, wirkt schnell arrogant und zwingt euer Gegenüber dazu, sich zu verteidigen. In der Regel ist es besser, erst einmal nachzufragen und das Gegenüber sich erklären zu lassen.“
Übersetzung: Hört euch zunächst an, was „das Gegenüber“ zu sagen hat und wie es zu seinen – natürlich völlig abwegigen – Thesen kommt. Belehren könnt ihr euer Gegenüber danach dann immer noch.
7. Tipp: Interpretiert großzügig: „Stürzt euch nicht auf die offensichtlichen Schwächen in den Argumenten des anderen. Versucht lieber, die Position des anderen möglichst gut zu verstehen.“
Übersetzung: Der andere erzählt den größten Schwachsinn, den ihr je gehört habt. Da ihr es aber ohnehin besser wisst, ist gegen etwas geheucheltes Verständnis für die Position des anderen nichts einzuwenden.
8. Tipp: Bleibt sachlich: „Falsche Informationen und logische Widersprüche dürfen korrigiert werden – erklärt, warum ihr denkt, dass die Situation anders ist, als euer Gegenüber denkt.“
Übersetzung: Falls es „euer Gegenüber“ mit seinen Verschwörungstheorien aber doch zu sehr übertreibt, ist eine direkte Intervention erforderlich. Erklärt eurem Gegenüber, warum er falsch liegt und wenn er es dann immer noch nicht versteht, dann hat er eben Pech gehabt.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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