Noch einmal muss ich meinen guten Vorsatz brechen. Aber meine Freude ist einfach zu groß, als dass ich sie für mich behalten und nicht mit Ihnen teilen könnte. Und ich glaube, genauso wie für mich hat die Nachricht auch für Sie etwas Symbolisches. Etwas Mut machendes. Gerade kam die Statistik für den Dezember von Similarweb: reitschuster.de hatte demnach im Dezember, dem zwölften Monat des Bestehens, 2,8 Millionen Besucher und 5,1 Millionen Aufrufe. Das sind fast 20 Prozent Besucher mehr als im November, und knapp 700 Prozent mehr als im Juni. Aus einem Mini-Ein-Mann-Blog wurde damit in einem Jahr ein richtiges Medium – das etwa den „Cicero“ (2,05 Millionen Besucher im Dezember) deutlich überflügelt hat – ein traditionelles Medium mit Redaktion, Verwaltung und meist deutlich mehr Artikeln am Tag.
Was mich besonders freut, sind die vielen hundert Kommentare und Zuschriften, die ich jeden Tag bekomme. Und in denen viele Menschen schreiben, wie sehr ihnen der Austausch hier auf der Seite hilft, durch diese schweren Zeiten zu kommen. Nicht am eigenen Verstand zu zweifeln. An ihrer Wahrnehmung. Meine Leserinnen und Leser kommen ebenso wie meine Autorinnen und Autoren aus den unterschiedlichsten Richtungen: Von eingefleischten Linken (ich spreche von traditionellen Linken, weniger von vielen derjenigen, die man heute als solche bezeichnet), über Liberale und Bürgerliche bis hin zu Konservativen. Die meisten vereint in meinen Augen eines: Dass sie ihren Intellekt über Ideologie setzen. Dass sie sich ihren kritischen Verstand nicht verbiegen lassen. Dass sie informiert werden wollen, und nicht „geframed“, wie das neudeutsche Wort für Manipulieren heißt.
Die neuen Zahlen zeigen: Es sind sehr viele Menschen, die sich ein unabhängiges Denken bewahrt haben. Eines meiner Ziele mit meiner Seite war immer, der schweigenden Mehrheit in diesem Land eine Stimme zu verleihen. Den Menschen, die jeden Tag in aller Früh aufstehen, dann bis spät arbeiten, und mit ihrer Leistung unser Land am Laufen halten. Während viele der „Lautsprecher“ in Medien und Politik sehr weit von ihrer Lebensrealität entfernt sind. Und manche von ihnen noch nie in einem „traditionellen“ Beruf tätig waren.
Ich sehe als Journalist Sie, liebe Leserinnen und Leser, als meine Arbeitgeber. Journalismus bedeutet für mich neben Kontrolle von Regierung, Behörden und Parteien, neben ständigem kritischen Hinterfragen und Zweifeln auch, der Anwalt von Lesern, Zuschauern und Zuhörern zu sein. Das ist unsere ureigenste Aufgabe. Die wir nie vergessen dürfen. Deshalb habe ich etwa in der Bundespressekonferenz am Montag explizit zwei Fragen, die mir Leser oft stellen, vorgetragen, und auch darauf hingewiesen, dass diese Fragen von Lesern stammen (anzusehen hier). Sich am Interesse der Leser zu orientieren, die Fragen aufzugreifen, die sie interessieren – das halte ich für den Kern des Journalismus.
Heute eröffnete die Sitzungsleiterin der Bundespressekonferenz Ute Welty dieselbe mit folgenden Worten: „Einige Worte in eigener Sache, wir bekommen immer wieder Anfragen von außen, und auch intern gibt es anscheinend Missverständnisse darüber, was die Bundespressekonferenz ist und was sie leistet. Seit mehr als 75 Jahren ist diese regierungsunabhängige Institution ein Instrument zur professionellen Informationsbeschaffung, nur unsere Mitglieder und die Mitglieder des Vereins der Auslandspresse haben hier Fragerecht, das sind alles Menschen, die sich hauptberuflich mit Bundespolitik beschäftigen und darüber berichten. Wir sind keine Talkshow, wir sind kein Bürger- oder Leserforum, die haben anderswo ihren völlig berechtigten Platz. Aufgabe der Bundespressekonferenz laut Satzung ist es, Pressekonferenzen durchzuführen, die für unsere Mitglieder von Interesse sind, und von Interesse für unsere Mitglieder ist auch, dass diese Aufgabe der Satzung gemäß erfüllt wird. Wer sich jemals in einem Verein engagiert hat, weiß, das deutsche Vereinsrecht lässt da keine Spielräume.“ (Anzusehen hier).
In der Satzung der Bundespressekonferenz steht: „§ 3 Zweck des Vereins ist es, Pressekonferenzen zu veranstalten und seinen Mitgliedern Möglichkeiten einer umfassenden Unterrichtung der Öffentlichkeit zu verschaffen.“
Wohlgemerkt lautet die Formulierung „Unterrichtung der Öffentlichkeit“.
Aber zurück zu meiner Seite. Sie wird inzwischen auch in den Ministerien gelesen. Heute sprach mich der Sprecher des Bundesfinanzministeriums am Rande der Bundespressekonferenz an auf meinen Artikel über eine Infografik auf der Seite seines Ministeriums: Darin war von einer „Schließung von Januar bis Juni“ die Rede.
Im Wesentlichen war alles so, wie ich es in dem Artikel bereits interpretiert hatte. Die Grafik wurde auch sofort geändert.
Dieser Dialog ist nur ein kleines Beispiel, aber ich denke, es zeigt, wie wichtig kritische Medien als Korrektiv sind. Das viel wichtigere Beispiel kam, als ich diesen Artikel bereits fertig geschrieben hatte. So wichtig, dass ich es hier ergänze. Mittags wollte die Bundesregierung noch nicht die Namen der Wissenschaftler nennen, die entscheidend waren für den Lockdown und . Ich schrieb dann heute über diese Weigerung. Kurz vor 21 Uhr bekam ich eine Mail von einem Regierungssprecher, in dem er die Namen nennt. Und das hat es in sich: Nur sechs Mediziner, allesamt eher Lockdown-freundlich, kein ausgewiesener Kritiker, kein Vertreter anderer Wissenschaften wie Psychologen, Soziologen etc. (alles nachzulesen hier). Dieser Vorgang zeigt, wie wichtig das Nachhaken und eine kritische Seite wie diese heute ist.
Ihnen allen ein ganz, ganz herzliches Dankeschön, dass Sie meine Seite möglich gemacht haben. Mit Ihrer Unterstützung. Finanziell, ideell, mit Weiterempfehlungen und Mitarbeit. Mein ganz besonderer Dank geht an mein Team, insbesondere an Ekaterina Quehl. Wir suchen auch weiter Verstärkung: Korrektoren, Moderatoren für die Kommentare und auf Youtube, Lektoren, Autoren (Kontakt hier). Es macht jeden Tag Spaß, mit tollen Menschen zusammenzuarbeiten, und so viele Reaktionen zu erhalten.
Ich kann Ihnen versprechen: Ich werde mich anstrengen, weiter kritisch zu bleiben. Meine Seite ist immer noch zu klein, um alle Meinungsspektren abzudecken. Aber ich werde weiter dort Akzente setzen, wo die meisten anderen schweigen. Weiter unbequem sein. Weiter so viel wie möglich hinterfragen und anzweifeln. Auch mich selbst. Man muss immer aufpassen, dass man sich nicht ausruht auf alten Überzeugungen, Perspektiven. Dass man Angst bekommt, sie angesichts neuer Erkenntnisse zu revidieren. Wie bei Corona. Wo ich anfangs zu den Warnern gehörte, als Spahn und die meisten Medien das Virus noch als Grippe abtaten und Merkel und Drosten betonten, Masken würden nichts helfen. Heute sehe ich die harten Maßnahmen anhand der Daten, die vorliegen, und der Intransparenz der Regierung sehr, sehr kritisch. Ich habe hier genau den umgekehrten Prozess durchgemacht wie die Regierungspolitiker und mit ihnen die meisten Journalisten.
Zum Schluss will ich Ihnen noch einen meiner guten Vorsätze anvertrauen. Auch zum Zwecke der Selbstdisziplinierung. Weil es physisch wie psychisch etwas an die Knochen geht, mit ganzen Redaktionen zu konkurrieren, möchte ich die Schlagzahl etwas herunterschrauben. Auch wenn es schwerfällt und ich zweifle, dass ich als Workaholiker das schaffe, noch dazu ausgerechnet in diesen stürmischen Zeiten. Aber Dauerstress und Schlafmangel rächen sich auf Dauer. Wenn in den nächsten Monaten die Besucher-Zahlen etwas heruntergehen, wäre das insofern auch ein gutes Zeichen. Aber vielleicht gelingt ja auch ein dritter Weg – das Team noch weiter zu vergrößern.
In diesem Sinne – auf viele Wiedersehen auf der Seite!
PS: Die Geschichte von reitschuster.de begann mit der Klage von ARD-Chef-Faktenfinder Patrick Gensing gegen mich (siehe hier). Am nächsten Donnerstag, 14. Januar der Prozess in Köln stattfinden. Heute, am 7. Januar, bekam ich die Nachricht, dass auf Antrag des Klägers die Verhandlung erneut verlegt wurde. Sie soll nun am 18. März um 8.45 Uhr vor dem Amtsgericht in der Luxemburger Straße 101 in 50939 Köln im Sitzungssaal 136 stattfinden. Vielleicht sehe ich ja den einen oder anderen von Ihnen dort einmal im richtigen Leben.
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