Nur sechs Wissenschaftler berieten Regierung zum Lockdown Wichtige Fachrichtungen fehlten – Informations–Monokultur?

Kritischer Journalismus sorgt für Transparenz. Auf meine Nachfragen auf der Bundespressekonferenz heute nach den Wissenschaftlern, die die Bundesregierung und Ministerpräsidenten vor der Lockdown-Verlängerung beraten haben, bekam ich nur ausweichende Antworten. Namen wurden nicht genannt. Nachdem ich dann am späten Nachmittag über diese mangelnde Offenheit hier auf meiner Seite einen Artikel schrieb und ein Video machte, kam um 20.48 Uhr noch eine Mail von einem Regierungssprecher. Die hat es in sich.

Voilà:

Sie hatten heute nach der RegPK die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer um die Namen der Wissenschaftler gebeten, die sich am Montag mit der Bundeskanzlerin gemeinsam mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder zu einem Austausch per Videokonferenz zusammengeschlossen hatten.

Prof. Dr. Lothar Wieler (Präsident RKI)
Prof. Dr. Christian Drosten (Institutsdirektor für Virologie der Berliner Charite)
Prof. Dr. Heyo Kroemer (Vorstandsvorsitzender der Berliner Charite)
Prof. Dr. Michael Meyer-Hermann (Leiter der Abteilung System Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig
Dr. Viola Priesemann (Max-Planck-Institut Göttingen)
Prof. Dr. Reinhard Berner (Uni Klinikum Dresden)

Somit ist klar: Es war kein ausgewiesener Kritiker des Corona-Kurses unter den Wissenschaftlern, deren Expertise für die Verlängerung des Lockdowns entscheidend war. Dem Grundsatz, immer auch die andere Seite anzuhören, wurde damit nicht Rechnung getragen. Lediglich Berner steht etwa bei der Frage von Schulschließungen auf einem Kurs, der von dem der anderen Wissenschaftler abweicht.

Noch wichtiger und besonders bezeichnend: Es sind ein Tierarzt, ein Kinderarzt, ein Virologe, ein Pharmakologe sowie zwei Physiker, die hier die Regierung beraten haben und damit maßgeblich bestimmten, wie 83 Millionen Menschen weiter leben werden. Kein einziger Soziologe, Psychologe, Wirtschaftswissenschaftler, Sozialpädagoge, Erziehungswissenschaftler oder Wissenschaftler aus anderen Bereichen, auf die der Lockdown massive Auswirkungen hat. Zudem ist Wieler Leiter einer Behörde und damit weisungsgebunden.

Wie konnten die Regierenden abwägen zwischen Nutzen und Kollateralschaden eines Lockdowns, wenn kein einziger Wissenschaftler bei den entscheidenden Beratungen dabei war, der eben auf die Bereiche spezialisiert ist, in denen die Kollateralschäden entstehen? Wer hat für die Kinder und Eltern gesprochen? Wer für die psychisch belasteten Menschen? Für Unternehmer, die um ihre Existenz zittern? Hätten deren Vertreter nicht genauso mit am (digitalen) Tisch sitzen müssen wie die Vertreter eines harten Lockdowns?

War bei dieser Besetzung der Runde nicht schon vorab klar, dass es Verschärfungen statt Lockerungen geben würde?
Fragen über Fragen.

Und viel zu wenig Gelegenheiten, sie unserer Regierung zu stellen.

Und viel zu wenige Journalisten, die sie aufwerfen. Obwohl das in meinen Augen ihre Pflicht wäre.

Auf meine Frage nach schriftlichen Entscheidungsgrundlagen und vor allem Evidenz etwa für den Sinn des 15-Kilometer-Radius und der Schulschließungen antwortete Merkel-Sprecherin Ulrike Demmer ausweichend (siehe meinen eigenen Beitrag dazu hier und mein Video hier).


Und hier noch kurz mehr aus der Bundespressekonferenz:

Ich fragte nach den Berichten aus dem Kabinett, wo es um Quoten für Frauen in Führungspositionen ging: „Frau Demmer, Sie haben über die Frauenquote berichtet. Es gibt Forderungen nach einer Quote für Migranten, die gestern zum Beispiel die Initiative Neue deutsche Medienmacher*innen geäußert hat. Gibt es in der Bundesregierung irgendwelche Pläne oder wird das erörtert , was Quoten für Migranten oder auch andere wie auch immer geartete Gruppen angeht, oder steht das im Moment nicht im Fokus?“ (anzusehen hier).

Merkels Sprecherin antwortete: „Bei diesem Gesetz steht die Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Fokus, und insofern habe ich hier dazu vorgetragen. Etwas anderes habe ich nicht vorgetragen und kann ich hier auch nicht ergänzen. Grundsätzlich ist natürlich eine vielfältige und diverse Besetzung immer und überall sehr wünschenswert.“

Ich frage nach: „Ich verstehe es also richtig, dass im Moment nichts auf der Tagesordnung steht, was Ihnen bekannt wäre?“

Demmer: „Genau. Ich kann Ihnen von keinem aktiven Vorhaben über das hinaus, was ich Ihnen vorgetragen habe, berichten.“

Das Innenministerium fragte ich: „Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion hat von der Bundesregierung gefordert, dass sie eine Studie über den Linksextremismus in Auftrag gibt. Er hat gesagt, er sei beunruhigt über die Gewalt aus der linksextremen Szene, und man müsse Maßnahmen dagegen ergreifen. Teilen Sie diese Beunruhigung? Wie stehen Sie zu dieser Forderung?“ (anzusehen hier).

Darauf Seehofer-Sprecher Björn Grünwalder: „Die Bundesregierung bekämpft Extremismus egal, von wo er kommt mit allen Mitteln. Das gilt in Richtung des Rechtsextremismus, des islamistischen Extremismus, aber auch des Linksextremismus. Insofern haben wir hier keinen Nachholbedarf, sondern der Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt und die gesamten Sicherheitsbehörden haben auch linksextremistische Umtriebe im Blick und sind hier sehr aktiv.“

Korbinian Wagner vom Bundeswirtschaftsministerium hatte eine Ergänzung zur letzten Bundespressekonferenz: „Da gab es eine Frage von Herrn Jung zu einer vermeintlichen Empfehlung der OECD zur Einführung einer Vermögenssteuer in Deutschland. Die war mir am Montag nicht bekannt, was daran liegt, dass es diese Empfehlung nicht gibt. Die OECD macht ja regelmäßig einen Länderbericht, der letzte ist vom Dezember, und darin kommt diese Empfehlung nicht vor. Ich glaube, wir hatten das schon aufgeklärt: Diese Äußerung geht auf einen Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von 2019 zurück. Damals hatte sich eine Mitarbeiterin ein bisschen allgemeiner zum Thema geäußert, und sie hatte sich konkret eigentlich nur zur Aktualisierung der Bemessungsgrundlage zur Grundsteuer geäußert. Es gibt diese Empfehlung also nicht; das wollte ich hier bloß noch kurz zu Protokoll geben.“ (anzusehen hier)

„Auf welcher Grundlage hat Frau Giffey von einer „klaren Beschränkung auf den Januar“ gesprochen, was die Schulschließungen betrifft?“, fragte ein Kollege vom MDR (anzusehen hier).

Giffeys Sprecherin Beate Wild: „Für die Schulen ist das BMBF zuständig. Ich würde an die Kollegen dort verweisen.“

Die Vorsitzende Ute Welty: „Aber es geht doch um eine Äußerung Ihrer Ministerin.“

Wild: „Aber für Schulen ist das BMBF zuständig.“

Demmer: „Das BMBF ist heute nicht da. Ich kann noch einmal allgemein sagen: Natürlich stellt die Schließung von Schulen und Kitas für die Familien eine große Herausforderung dar. Das gilt für die Jüngeren, die noch wenig Schul- und Lernerfahrung haben ganz genauso wie für ältere Schülerinnen und Schüler, die in Kürze womöglich sogar einen Abschluss absolvieren müssen. Digitaler Unterricht ist gerade auch in der Pandemie eine wertvolle und wichtige Ergänzung, kann aber den Präsenzunterricht natürlich niemals voll ersetzen. Das ist allen Beteiligten klar. Aufgrund der hohen Infektionszahlen blieb aber keine andere Lösung, als die Präsenzpflicht auch in den Schulen für die nächste Zeit aufzuheben. Alles andere wäre mit Blick auf die Gesundheit von Schülerinnen und Schülern und von Lehrkräften nicht zu verantworten gewesen. Auch die Bundeskanzlerin hat gestern von einer harten, aber eben notwendigen Entscheidung gesprochen.“ (Fortsetzung hier).

Andreas Rinke von Reuters fragte: „Frau Demmer, am Rande der Kabinettssitzung hat es ja auch noch eine Sitzung oder Beratung über das Thema des Impfens und der Impfstoffe gegeben. Können Sie uns dazu etwas sagen? Sind die Dissonanzen, die es in der Bundesregierung gab, was dieses Thema angeht, ausgeräumt? Ist die Bundesregierung voll funktionsfähig?“ (anzusehen hier).

Demmer: „Selbstverständlich ist die Bundesregierung voll funktionsfähig. Die Bundeskanzlerin arbeitet mit allen im Kabinett vertretenen Ministerinnen und Ministern konstruktiv zusammen. Tatsächlich hat es im Anschluss an die heutige Kabinettssitzung eine Besprechung der Kanzlerin mit den Ministern Spahn, Altmaier und Scholz zum Thema der Impfstoffproduktion gegeben. Man hat sich zusammengesetzt, um die Möglichkeiten, wie die Bundesregierung dabei unterstützen kann, zu besprechen.“

Rinke: „Können Sie uns etwas dazu sagen, was beschlossen wurde?“

Demmer: „Nein, es war eine Arbeitsbesprechung. Dazu kann ich keine weiteren Details nennen. Aber das Ziel ist, denke ich, hier Programm, würde ich sagen.“

Arne Delfs von Bloomberg News: „Hat die Kanzlerin die Beschaffung des Impfstoffes zur Chefsache gemacht? Bedeutet das eine teilweise Entmachtung des Gesundheitsministers?“

Demmer: „Diese Frage hat die Bundeskanzlerin selbst gestern ausführlich beantwortet. Noch einmal auch hier: Die Bundeskanzlerin arbeitet mit allen ihren Ministerinnen und Ministern sehr gut zusammen, auch mit dem Gesundheitsminister. Das Thema der Pandemie in allen seinen Ausformungen ist selbstverständlich immer Thema zwischen den Ministerien, die es jeweils betrifft, und wird gemeinsam besprochen.“

Eine Kollegin fragte: „Es gibt kleine Kinder in einem Alter, in dem sie noch nicht alleine bei Freunden sein können. Jetzt steht in dem Beschluss vom gestern auch, wenn zum Beispiel ein Vater mit seinem Kind im Park einen anderen Vater mit seinem Kind trifft, dass das nicht erlaubt ist. Ist vorgesehen, dass Kinder in diesem jungen Alter dann überhaupt keine Kontakte haben dürfen, wenn sie sozusagen noch nicht in der Lage sind, alleine zu einer Freundin in die Wohnung zu gehen?

Darauf Demmer: „Ich kann es nur noch einmal sagen: Wir reden jetzt hier von Regelungen, die bis Ende des Monats getroffen worden sind. Das sind harte Regelungen. Die treffen auch Kinder besonders hart. Wie ich eben schon im Zusammenhang mit den Schulen gesagt habe: Die Bundeskanzlerin und auch die Ministerpräsidenten und die Ministerpräsidentinnen haben gestern deutlich gemacht, mit welch großem Respekt Sie darauf schauen, wie Menschen diese Einschränkungen hinnehmen. Das sind harte Einschränkungen, ja, und sie treffen jetzt auch die Kinder. Die Kinder sollen aber auch die Ersten sein, wie ich eben schon gesagt habe, bzw. Schulen und Kitas sollen die Ersten sein, die davon profitieren, wenn diese harten Einschnitte wir hoffen das alle positive Wirkungen zeigen.“

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TRANSPARENZHINWEIS:
In der ersten Version, die nur wenige Minuten online war, hieß es versehentlich, die sechs Wissenschaftler seien Mediziner. Nachdem mich sofort einer meiner Autoren darauf aufmerksam gemacht hat, habe ich den Fehler umgehend korrigiert. Ohne diesen Fehler ist die Geschichte sogar noch brisanter. Ich bitte, das Versehen zu entschuldigen.  

Bild: Boris Reitschuster/Pixabay
Text: br


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