Lesen Sie heute Teil 15 von „Putins Demokratur“. Warum ich Buch hier auf meiner Seite veröffentliche, können Sie hier in meiner Einleitung zum ersten Beitrag finden.
»Call-Girls« gegen Yukos Der Krieg beginnt am Runden Tisch. Im Frühjahr 2003 hat Wladimir Putin im Kreml die wichtigsten Wirtschaftsführer des Landes um sich versammelt. Solche Treffen sollen schöne Fernsehbilder liefern. Die Superreichen haben einen Deal mit den Mächtigen geschlossen: Anders als zu Boris Jelzins Zeiten sollen sie sich aus der Politik heraushalten. Dafür lässt der Kreml sie im Gegenzug bei ihren Geschäften ruhig walten.
Doch ein Mann hält sich nicht an den Burgfrieden: Michail Chodorkowski. Der Chef des Yukos-Konzerns ist auf ebenso zwielichtige Weise an sein Vermögen gekommen wie die anderen Superreichen. Als Funktionär des Jugendverbands Komsomol gründete er noch zu Sowjetzeiten in einem Moskauer Kellerraum die Bank Menatep. Es ist eine Zeit, in der die Grenze zwischen legalen und illegalen Geschäften fließend ist; Putin selbst sagt später, wer damals reich werden wollte, konnte es nicht ganz so genau nehmen mit den Gesetzen. Chodorkowski gelingt 1995 der große Coup: Als seine Bank mit der Versteigerung des zweitgrößten russischen Ölkonzerns Yukos beauftragt wird, schlägt er mit List, Tücke und einer Strohfirma zu – für 350 Millionen Dollar kauft er drei Viertel der Yukos-Anteile. Als das Unternehmen zwei Jahre später an die Börse kommt, ist es neun Milliarden Dollar wert. Chodorkowski bedankt sich für das Schnäppchen mit großzügigen Wahlkampfspenden an Jelzin. Gegner sagen Yukos ruppige Methoden nach. Viele Kleinaktionäre klagen, man habe sie mit fiesen Tricks um ihre Yukos-Aktien gebracht. Mehrere Widersacher des Unternehmens sollen unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sein.
Chodorkowski ändert als einer der ersten Oligarchen seinen Geschäftsstil. Um den Zufluss westlichen Kapitals zu sichern, verwandelt er das sowjetisch geprägte Unternehmen in einen westlichen Konzern. Er gibt große Summen für gemeinnützige und soziale Zwecke aus, bemüht sich um Offenheit und Gesetzestreue. Selbst mit seinem Äußeren verkörpert Chodorkowski wie kein zweiter russischer Wirtschaftsführer den Wandel vom wilden Raubtier-Kapitalismus der Jelzin-Ära zu westlich orientiertem Unternehmertum. Viele ältere Chodorkowski-Fotos muten wie Fahndungsbilder an. Sie zeigen einen etwas unwirsch wirkenden Mann, der trotzig und mit leicht trübem Blick in die Kamera sieht. Er trägt eine gewaltige Hornbrille und Schnauzer und hat eine Frisur, die als Fellmütze durchgehen könnte. Auf den neueren Bildern lächelt hingegen ein smarter, durchgestylter Manager-Typ mit Designerbrille, ohne Bart und mit windschnittiger Modefrisur.
Unter Putin lässt Chodorkowski kaum eine Gelegenheit aus, um den Kreml und vor allem die dort amtierenden alten KGB-Leute gegen sich aufzubringen. Ob es sich bei all dem um echten Wandel handelt oder um Fassade, ist strittig. Chodorkowski spendet Geld für kremlkritische Parteien und versucht vor den Präsidentschaftswahlen 2003 offenbar, eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Kreml in der Duma zu verhindern – und ein Drittel der Mandate mit ihm ergebenen Abgeordneten zu besetzen. Mitarbeiter von Yukos rufen bei Journalisten an und fragen nach kompromittierendem Material über den Kreml-Chef. Der reichste Mann Russlands kündigt ohne Rücksprache mit der Regierung an, ein großes Aktienpaket seines Konzerns an den amerikanischen Multi Exxon Mobil zu verkaufen – womit Yukos dem Zugriff des Kreml entzogen würde. Chodorkowski will sein Unternehmen zudem mit dem Konkurrenten Sibneft zusammenschließen, was den Ölgiganten noch mächtiger machen würde. Zu allem Überdruss möchte Yukos auch noch eine eigene Ölpipeline von seinen Förderstätten in Sibirien nach China bauen und kommt damit den Plänen des Kreml, mit seinen Rohstoffen Weltpolitik zu betreiben, in die Quere. In Moskau gibt es sogar Spekulationen, der Multimilliardär hege Ambitionen auf das höchste Staatsamt. Ein Verdacht, der in Russland schwerer wiegt als manches Kapitalverbrechen.
Chodorkowski verstößt gegen alle Regeln, die Putin für die Superreichen eingeführt hat. Der Konflikt zwischen ihm und dem Kreml steht für die Auseinandersetzung zwischen den beiden führenden Interessengruppen im Lande: auf der einen Seite die Apparatschiks und die Männer aus den Sicherheitsorganen, auf der anderen Seite die Oligarchen, die in der Jelzin-Zeit zu Einfluss und Geld gekommen sind. Weder die eine noch die andere Konfliktpartei kann den strahlenden Helden geben. Während die Apparatschiks sich unter »Zar Boris« übervorteilt, vernachlässigt, erniedrigt gefühlt haben und deshalb auf Revanche sinnen, sind die steinreichen Reformgewinnler auf dem Weg, sich von Raubtier-Kapitalisten zu wenigstens halbwegs verantwortungsbewussten Unternehmern zu entwickeln. Anders als in den Jahren unter Jelzin sind sie nicht mehr so stark auf die Staatsdiener angewiesen, weil die lukrativsten Brocken des alten Volkseigentums bereits aufgeteilt sind. Im Gegenteil, die Wirtschaftsmagnaten finden immer mehr Gefallen am westlichen Modell: Halfen in den Umbruchjahren Rechtlosigkeit und Beamtenwillkür beim Erwerb ihrer gewaltigen Vermögen, so sind sie zur Bewahrung ihres Besitzes nun stärker an Rechtsstaatlichkeit interessiert. Ebensowichtig ist ihnen, mit dem Westen zusammenzuarbeiten, weil dies Wachstumschancen bietet. Absolut gegenläufig sind indes die Interessen der Apparatschiks: Sie wollen sich selbst ein dickes Stück vom Wirtschaftskuchen abschneiden. Wo westliche Manager in den Konzernzentralen sitzen, kommen die Staatsdiener mit ihren telefonisch übermittelten Anweisungen schwerer durch. Und wenn westliche Wirtschaftsprüfer kommen, fällt es schwerer, Bestechungsgelder zu kassieren.
Der Yukos-Skandal ist der Höhepunkt im Interessenkonflikt zwischen Apparatschiks und Oligarchen. Vieles spricht dafür, dass Chodorkowski die eigenen Kräfte und den eigenen Einfluss ebenso überschätzt hat wie die Solidarität unter den Wirtschaftsbossen. Bei dem Treffen am runden Tisch im Kreml 2003 wagt der Yukos-Chef etwas, was im Westen seine Pflicht wäre, in Russland jedoch als Sakrileg gilt: Vor laufender Kamera beklagt er sich beim Präsidenten bitter über Korruption, Amtsmissbrauch und die unfairen Taktiken des staatlichen Ölkonzerns und Yukos-Konkurrenten Rosneft, dem enge Kontakte zur KGB-Schiene im Kreml nachgesagt werden und dessen heutiger Aufsichtsratschef Igor Setschin ein enger Vertrauter Putins ist.
Igor Setschin hat nicht nur den Präsidenten zum Freund, er hat auch einflussreiche Verwandte. Seine Tochter ist mit dem Sohn des Generalstaatsanwalts Ustinow verheiratet. Einer von dessen Anklägern lässt am 2. Juli 2003, kurz nach Chodorkowskis Besuch im Kreml, dessen Vertrauten Platon Lebedew verhaften. Am 3. Oktober 2003 meldet die Financial Times, der US-Konzern Exxon Mobil wolle bei Yukos einsteigen. Am selben Tag dringen Männer mit Kalaschnikows in die Wohnhäuser von Chodorkowski und seinen Vertrauten ein. Geheimdienstler fahren vor der Schule seiner zwölfjährigen Tochter vor, befragen ihre Lehrer und nehmen Akten über sie mit. Staatsbeamte durchsuchen ein von Yukos finanziertes Waisenhaus. Im April 2006 beschlagnahmen Sicherheitsbeamte das Heim; unter den 150 Kindern, die dort eine neue Heimat gefunden haben, sind auch Hinterbliebene der Geiselnahmen beim »Nord-Ost«-Musical und in Beslan.
Ein Anwalt, der bereits inhaftierte Yukos-Manager vertritt, wird zum Verhör vorgeladen; Beamten durchsuchen seine Kanzlei – ein Verstoß gegen das Anwaltsgeheimnis. Das Vorgehen trägt die Handschrift des KGB. Es ist ungesetzlich und soll die Betroffenen offenbar einschüchtern. Chodorkowski erhält warnende Hinweise, er solle Russland verlassen und seine Yukos-Anteile weit unter Preis hergeben, wenn er nicht selbst im Gefängnis landen wolle. »Wenn man mich loswerden will, muss man mich verhaften«, verkündet er trotzig. Die Staatsmacht scheint diese Aussage als Aufforderung aufzufassen.
Am Morgen des 25. Oktober 2003 legt Chodorkowski mit seinem Firmenflugzeug auf einer Reise durch Sibirien einen Zwischenstopp in Nowosibirsk ein. Plötzlich treten Geheimpolizisten in Masken und mit Sturmgewehren die Tür ein und führen Chodorkowski ab – ohne Haftbefehl. Offizielle Begründung: Der Milliardär sei zu einer Befragung als Zeuge nicht erschienen. Die Festnahme sei das Werk von »Call-Girls« in Uniform, empört sich der Vizepräsident der Duma, Wladimir Lukin, über die Staatsanwaltschaft.
An den russischen Börsen brechen die Aktienkurse ein, das Gerücht eines KGB-Putsches macht die Runde. Wie so oft in Krisensituationen hüllt sich der Präsident in Schweigen. Erst nach zwei Tagen kommentiert er die Festnahme – am Ministertisch, wo kein Journalist nachfragen kann. Etwa, warum andere Oligarchen, die auf die gleiche Weise wie Chodorkowski handelten, weiter im Kreml ein und aus gehen. Mit starrer Miene, die Augen auf einen Notizblock fixiert, liest er einen Text ab. Dünnhäutig und gereizt verbittet er sich Kritik und beteuert, in Russland herrsche Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Für andere Oligarchen, die auf die gleiche Weise wie Chodorkowski zu Milliarden gekommen sind und die gleichen Steuersparmodelle nutzten. Der Multimilliardär Roman Abramowitsch, im Nebenberuf Gouverneur der Alaska gegenüberliegenden Tschuktschen-Halbinsel und Eigner des Fußballclubs Chelsea London, läuft schnell weg, als ihn Journalisten auf dem Weg in den Kreml fragen, was er über die Festnahme seines Kollegen denke: »Ich denke nichts.«
Während der Verband der deutschen Wirtschaft in Russland die Festnahme des Yukos-Chefs als »Hochschrauben von Rechtsstandards« begrüßt, herrscht unter den russischen Geschäftsleuten Unbehagen: Die Angst geht um. Statt ihrem inhaftierten Kollegen beizuspringen, gehen Russlands Konzernlenker bei einer Vorstandssitzung ihres Verbands vor dem Kreml-Chef in die Knie. »Es war gespenstisch, wie lange sie applaudierten, wie bei Stalin, als jeder Angst hatte, als Erster mit dem Klatschen aufzuhören«, sagt der Moskauer Politologe Andrej Piontkowski. Im Fernsehen ist nur wenig über die Yukos-Affäre zu sehen. Dass wegen der Krise die Aktienkurse fallen, verkauft die Nachrichtenagentur RIA Nowosti als gute Nachricht: Man könne jetzt billig einsteigen.
Als Folge der Yukos-Affäre nimmt die Kapitalflucht aus Russland gewaltig zu. Viele russische Unternehmer klagen, sie fühlten sich vogelfrei. Vor allem russische Investoren bringen aus Furcht vor einer neuen Umverteilung ihr Geld jenseits der Grenzen in Sicherheit. Mit der Festnahme Chodorkowskis setzt Putin einen Schlussstrich unter seine erste Amtszeit, in der er zwischen liberalen Wirtschaftsreformen und autoritären Einschnitten balancierte. Die Yukos-Krise, sagte Putins damaliger Wirtschaftsberater Andrej Illarionow, war »der Beginn eines kalten Bürgerkrieges«. »Wenn das Gesetz selektiv angewandt wird, wenn von zwei Menschen, die auf die gleiche Weise reich geworden sind, der eine Orden umgehängt bekommt und der andere Handschellen, dann ist etwas faul im Staat, dann haben wir eine Willkür-Herrschaft«, meint Illarionow.
Es kommt jedoch kaum zu den Fieberwellen an den weltweiten Aktienbörsen, die Russlands Liberale als Folge der Yukos-Krise vorausgesagt haben. Tatsächlich beeinflusst das Vorgehen der russischen Behörden bis zu einem gewissen Maße den Anstieg des Ölpreises. Aber genau davon profitiert Russland als einer der größten Ölexporteure. Trotz einer deutlichen Erhöhung der Kapitalflucht bleibt nicht zuletzt deshalb eine einschneidende Wirtschaftskrise aus. Im Gegenteil: Die immer neuen Höchststände beim Ölpreis bescheren der Moskauer Staatskasse gewaltige Mehreinnahmen. Im Inland stabilisiert das Vorgehen gegen Yukos das Ansehen Putins: Da die ungerechte Privatisierung der Rohstoffvorkommen unter Jelzin in der Bevölkerung zu Recht als großer Raubzug gilt, fassen die meisten die Festnahme Chodorkowskis als späte Wiedergutmachung auf. Nicht zuletzt dank der strikten Medienkontrolle dringen die anderen Aspekte der Yukos-Affäre kaum ins Bewusstsein der meisten Russen vor: etwa, dass die Behörden willkürlich nur gegen einen einzigen Privatisierungsgewinnler vorgehen und offenbar keine sozial gerechtere Eigentümerstruktur angestrebt wird, sondern lediglich eine Umverteilung innerhalb der Nomenklatur.
Die Fortsetzung finden Sie in Kürze hier auf meiner Seite: Albtraum im Käfig.
Den vierzehnten Teil – die Diktatur der Apparatschiks – lesen Sie hier.
Den dreizeiten Teil – Feinde und Verräter – lesen Sie hier.
Den zwölften Teil Schweinwelt auf der Mattscheibe finden Sie hier.
Den zehnten Teil Zynismus statt Marxismus und den elften Teil Gerdshow auf Russisch finden Sie hier.
Den neunten Teil – Farce statt Wahlen – finden Sie hier.
Den achten Teil – Spiel ohne Regeln – finden Sie hier.
Den vorherigen, siebten Teil – Militarisierung der Macht – finden Sie hier (Teil 2).
Den sechsten Teil – Militarisierung der Macht – finden Sie hier (Teil 1).
Den fünften Teil – Putins bombiger Auftakt – finden Sie hier.
Den vierten Teil – Die Herrschaft der Exkremente – finden Sie hier.
Den dritten Teil – Mit Stalin in die Zukunft – die verratene Revolution – finden Sie hier.
Den zweiten Teil – „Der Gas-Schock – Moskaus Warnschuss“ – finden Sie hier.
Den ersten Text der Buchveröffentlichung finden Sie hier.
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Bild: Kremlin.ru, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons