„Farbe bekennen“ lautet der Titel des ARD-Formates, in dem heute Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ARD-Chefredakteur Rainald Becker und ARD-Hauptstadtbüro-Leiterin Tina Hassel sprach. Farbe bekannt wurde dabei nicht mal bei der Kleider-Auswahl – der dunkle Blazer Merkels war zumindest für mich nicht zweifelsfrei identifizierbar in Sachen Farbe. Meine Erwartungen waren gering – hatte die Kanzlerin doch als Widerpart zwei Journalisten, die bekannt sind dafür, nicht nur stramm auf ideologischer Linie zu sein – sondern vorauseilend oft ein paar Schritte weiter.
Für diese Verhältnisse waren die beiden denn auch schon fast ein wenig aufmüpfig und versuchten zumindest vordergründig den Eindruck zu vermeiden, dass sie mehr zum Kuscheln als zum Nachbohren ins Studio gekommen sind. So sprachen sie, wenn auch zahm und unverbindlich, durchaus einiges an Kritikpunkten an. Aber sie vermieden es, wirklich nachzuhaken und die Finger in die offen liegenden Wunden zu legen. Faktisch blieben sie damit Stichwortgeber – auch wenn manche der Stichworte durchaus mit etwas Kritik ausgeschmückt waren. Wobei gerade diese Tarnung, vor allem für den ungeübten Zuschauer, besonders irreführend sein kann – bleibt doch hängen, es habe kritische Fragen gegeben. Aber eben harmlose. Wie auf Bestellung.
„Der Gipfel gilt jetzt schon am Tag danach so ein bisschen als Placebo-Gipfel, zumindest bei der Opposition. War es das, so eine Art Beruhigungspille für die Öffentlichkeit?“ Diese Auftakt-Frage von Becker wäre okay gewesen, wie auch manche andere Frage, hätten er und Hassel zumindest etwas nachgehakt, wenn Merkel auswich und sich in verbale Nebelkerzen hüllte. Die zu verflüchtigen versuchten Becker und Hassel nicht einmal ansatzweise. Sie vermieden Widerspruch wie Ministranten. Etwa, als Merkel sagte: „Das sind die Grundrechte, und die hat jeder.“ Brav assistierte Becker „Jawohl“, statt darauf aufmerksam zu machen, dass aktuell eben nicht jeder diese Grundrechte hat, sondern im Gegenteil. Der Versuch der beiden Journalisten, den kritischen Anschein zu wahren, ging denn auch in den 15 Minuten mit rasanter Geschwindigkeit gegen Null. Becker stellte dann Fragen wie diese: „Was geschieht nächste Woche? Lassen Sie uns doch mal an Ihren Gedanken teilhaben!“ Journalismus geht anders.
‘Ich glaube, dass im Großen und Ganzen nichts schiefgegangen ist.‘
Merkel konnte so wunderbar im Ungefähren bleiben. „Ich glaube, dass im Großen und Ganzen nichts schiefgegangen ist.“ Sie kam durch mit dieser Dreistigkeit. Ob an Ostern wieder Treffen mit mehr Menschen möglich sind? Keine klare Antwort. Stattdessen der Hinweis, man müsse die Maßnahmen einhalten und wirklich vorsichtig sein. Volkserziehung statt Rechenschaft vor dem Volk. Und Phrasen: „Wenn wir das noch eine Weile durchhalten, dann wird das besser werden.“ Aha! Die Kanzlerin verwies auf den letzten Sommer, da seien die Infektionszahlen gesunken, und es sei „eine Menge normales Leben“ möglich gewesen. Ach so! Also warten bis Sommer? Becker und Hassel stellten diese Frage nicht. Ebenso wenig wie eine Frage zu der einseitigen Auswahl von Beratern, zu den Widersprüchen zur Empfehlung der WHO in Sachen PCR-Tests, und zu vielen anderen Punkten, in denen die Bundesregierung sehr schlecht aussieht.
Auch als die Kanzlerin andeutete, dass es durchaus Beschränkungen für „Impfverweigerer“ geben könne, und diese damit faktisch ins Spiel brachte, wurde ebenfalls nicht nachgehakt. Obwohl die Kanzlerin damit binnen 24 Stunden ihre Linie um 180 Grad gedreht hat – und eine Nachfrage damit zwingend gewesen wäre:
Ausgewählte Medien bekamen das Merkel-Interview sogar schon Stunden vorher. Zumindest konnten sie so lange vorab darüber berichten. Also war die Sendung nicht live aufgezeichnet worden, aber dafür mit Vorzugsbehandlung für Medien-Verbündete wie die „Bild“. Damit nichts schief geht.
Fazit: Merkel macht wenig konkrete Aussagen, und die ARD lässt sie damit durchkommen. Das war zwar abzusehen. Macht es aber nicht besser. In einer Situation, in der die Grundrechte und die Freiheit der Menschen in Deutschland so eingeschränkt ist, wie das bislang in einer Demokratie nicht denkbar gewesen wäre. In der die Bundesregierung sich bei der Begründung dafür in Widersprüche verwickelt und riesige Fragezeichen bestehen.
Mich tröstet nur Galgenhumor – dass die Sendung an einen alten DDR-Witz erinnerte. „Der Staat tut so, als ob er uns bezahlt, und wir tun so, als ob wir arbeiten.“ Modern müsste es heißen: „Die ARD tut so, als ob sie fragt, und Merkel tut so, als ob sie antwortet.“
Bild: ARD/Youtube/Screenshot
Text: br