Baerbock-Kindersprech bei Anne Will: „Was Putin macht, ist Aggression hoch tausend“ Deutsche Stahlhelm-Außenministerin will „Schutz an der Ostflanke verstärken“

Von Alexander Wallasch

Gerade in viel zu großen Fußstapfen vor der UN-Vollversammlung am Rednerpult und jetzt bei Anne Will in den weichen Ledersesseln: Das hätte sich Annalena Baerbock auch nicht träumen lassen, dass der russische Präsident Putin mit seinem Einmarsch in die Ukraine die bescheidene Existenz einer deutschen Außenministerin so schnell so aufwerten könnte.

Die grüne Politikerin sitzt allerdings gar nicht in einem der Sessel, sie ist ausnahmsweise per Bildschirm zugeschaltet.

Baerbock sieht sich in der Verantwortung, dass dieser Krieg nicht in einen Dritten Weltkrieg eskaliert. Und sie hätte sich auch vor ein paar Wochen nicht vorstellen können, dass sie Waffenlieferungen schon so bald für eine sinnvolle Unterstützung einer Kriegspartei halten könnte.

Von Flugverbotszonen hält sie nichts. Auf die Frage von Anne Will, wie es stattdessen mit der Lieferung von Kampfflugzeugen ausschaut, sagt Baerbock, die ukrainische Armee könne nur Flugzeuge nutzen, die noch aus sowjetischer Produktion stammen, damit könne Deutschland aber nicht dienen.

Aber selbst, wenn, bliebe es fraglich, wie viele deutsche Flugzeuge überhaupt vom Boden hochkämen. Polen könnte möglicherweise aushelfen, weiß die Außenministerin.

Hier verstärkt sich einmal mehr der Eindruck, die deutsche Politik glaube, man könne jede Menge Kriegsgerät in die Ukraine senden und damit trotzdem nicht den Zorn Putins auf sich ziehen, solange man nur nicht selbst mit Soldaten angreift.

Aber sieht Putin das auch so? Oder wird er bei den mutmaßlich so rasant ansteigenden Todeszahlen seiner Soldaten solche Waffenlieferungen bald als Kriegserklärung deuten und entsprechend reagieren?

Wie passt das zusammen, einerseits den Präsidenten als nicht mehr rational denkend hinzustellen und anderseits in einer solch wichtigen Einschätzung eine Rationalität Putins ganz selbstverständlich vorauszusetzen?

Die Ampel im Krieg

Baerbock sagt, was Putin mache, sei „Aggression hoch 1000“. Deshalb verhänge man weitere Sanktionen. Einmal mehr schockierend in diesem Moment: Diese Frau trifft tatsächlich politische Entscheidungen von maximaler Tragweite. Die Ampel ist im Ernstfall angekommen. Und damit wird es auch ernst für alle Deutschen und nicht nur für jene, die diese Laienspieltruppe gewählt haben.

Baerbock spricht die deutschen Spritpreise an, die nun ansteigen wegen des Krieges. Was sie allerdings unterschlägt: Im Zusammenhang mit der Klimarettung war dieser Anstieg längst abgemachte Sache.

Anne Will möchte von ihr wissen, ob sie Putin zutrauen würde, Deutschland anzugreifen. Baerbock erwidert, die letzten Wochen hätten ihr gezeigt, dass es keine roten Linien mehr gebe. Rote Linien? Die hatte Bundeskanzler Scholz schon im Krieg gegen das Corona-Virus für nichtig erklärt.

Die Außenministerin spricht davon, den Schutz an der „Ostflanke“ verstärken zu wollen. Sie will morgen selbst nach Moldawien reisen, um dort Präsenz gegen Putin zu zeigen. Also noch mehr Bilder der Grünen in Flecktarn und Splitterweste. Aber wird das Putin erschrecken?

Und dann wird Annalena Baerbock schon nach fünfzehn Minuten Sendezeit verabschiedet, um die Welt zu retten und den Krieg zu verhindern. Die Runde muss ohne sie weiter diskutieren. Zwar wäre sowieso niemand da gewesen, Baerbock kritische Fragen zu stellen, aber selbst, wenn, jetzt ist sie weg.

Es bleiben im Raum:

Frans Timmermans, Vizepräsident der Europäischen Kommission, Ex-Nato-General Egon Ramms, der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Alexander Graf Lambsdorff (FDP) und der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk.

Anne Will möchte zunächst wissen, wie unzufrieden Melnyk mit Waffenlieferungen aus Deutschland ist. Für den Ukrainer reicht bei weitem nicht aus, was bisher geliefert wurde. Nach der „Zeitenwende“-Rede von Bundeskanzler Scholz seien gerade einmal 50.000 Fresspakete für die Soldaten angekommen und sonst nichts.

Lambsdorff interveniert. Er hätte zwar Verständnis für „das Aufgewühltsein“ des Botschafters, aber er kann dessen Wünsche nicht gutheißen, das würde die Gefahr eines Weltkrieges massiv verstärken. Der Liberale will nicht „sehenden Auges in einen nuklear geführten Dritten Weltkrieg“ gleiten.

„Wir als Regierung“ sagt der FDP-Politiker. Ja, fast hätte man es vergessen: Die FDP regiert mit. Melnyk glaubt, die Diplomatie habe versagt, jetzt müssten Waffen sprechen. Lambsdorff ist sich hingehen sicher, dass Putin kein Nato-Mitglied angreifen wird.

Wer Härte zeigt, braucht auch Stehvermögen

EU-Kommissionsmann Frans Timmermans startet damit, festzustellen, dass er die Analyse der deutschen Außenministerin „völlig teilt“. Und er meint von Putin zu wissen, dass dieser nie einen „Rückschritt“ mache. Deshalb müsse er frühzeitig gestoppt werden.

Wie genau das jedoch passieren soll, weiß auch er nicht. Er nennt den „gemeinsamen Schulterschluss“ als einzige Botschaft, die Putin verstehen würde. Das ist aber noch dünner als alles, was Baerbock zuvor gesagt hatte.

Timmermans ergänzt noch, dass es wohl niemanden gebe, der die Ukraine kontrollieren könnte, wenn nicht die Ukrainer selbst. Das wissen auch die Russen, meint der EU-Vertreter.

General Ramms ist dran. Er attestiert, dass intensivere Verhandlungen rund um einen Beitritt der Ukraine zur Nato die Bedrohung durch Putin noch früher hätten hervorrufen können. Allerdings wäre der Präsident damals militärisch nicht so gut vorbereitet gewesen.

Was die polnischen Kampfjets angeht, glaubt Ramms nicht, dass Jagdflugzeuge den Krieg entscheiden könnten. Entscheidender für ihn: Russland habe den Willen der ukrainischen Bevölkerung vollkommen falsch eingeschätzt.

Der General meint, dass es heute keine Nation gebe, die Flugabwehrwaffen auf Vorrat liegen habe. Deshalb sei auf Waffen noch aus DDR-Beständen in verschimmelten Kisten zurückgegriffen worden.

Der Botschafter wiederum erklärt ihm, dass die Ukrainer jetzt schon mehr russische Panzer (280) vernichtet hätten, als der Bundeswehr insgesamt zur Verfügung stünden. Auch wären so viele Kampfflugzeuge mit kleinem Gerät abgeschossen worden, wie die Bundeswehr insgesamt im Hangar stehen habe.

Andrij Melnyk will Putins Lufthoheit brechen. 11.000 russische Soldaten sollen schon gefallen sein, gegenüber 14.000 im Afghanistankrieg. Afghanistan habe gegenüber diesen zehn Tagen aber volle zehn Jahre gedauert.

Alexander Lambsdorff findet es bemerkenswert, dass die Ukrainer gegen seine ursprüngliche Erwartung eine Chance haben, diesen Krieg zumindest nicht zu verlieren.

Lambsdorff lobt das „noch einmal gestiegene Nationalbewusstsein der Ukrainer“. Aber ist das nicht auch der wunde Punkt angesichts bekannter rechtsnationalistischer Bestrebungen in Verbindung mit dem Gründungsmythos des Landes? Kommt bei Anne Will nicht zur Sprache.

Timmermans setzt auf die Wirkung der Sanktionen. Jeder Russe würde davon etwas spüren. Und er hoffe nun darauf, dass die Russen sich gegen ihren Präsidenten zur Wehr setzen. Das klingt nun aber deutlich danach, dass die EU mit ihren Sanktionen einen Sturz Putins anstrebe. Der Krieg mag dazu argumentativ berechtigen, aber sind diese Umsturzfantasien tatsächlich erst mit dem Krieg entstanden? Oder werden erst Historiker von morgen diese heikle Frage beantworten können?

Timmermans will auch, dass Europa unabhängig wird vom russischen Gas und Öl. Das allerdings bräuchte Zeit. Der EU-Mann wünscht keinen sofortigen Import-Stopp, aber notfalls würde das Gas noch für den nächsten Winter ausreichen.

Oh Gott, Atomkrieg, bloß nichts tun

Der ukrainische Botschafter erinnert seinerseits daran, dass die jährlichen Zahlungen der EU an Putin zusammengenommen das sechsfache Rüstungsbudget Russlands ausmachten. Melnyk plädiert für den sofortigen Stopp der Zahlungen.

Und der ukrainische Botschafter versteht die Angst der Deutschen nicht mehr: „Oh Gott, Atomkrieg, bloß nichts tun, um ihn zu riskieren.“ Energiestopp? Da fürchten die Deutschen immer gleich, der soziale Frieden sei gefährdet.

„Es kann doch nicht sein, dass man wie ein Kaninchen vor diese Schlange steht und gelähmt ist und gar nicht handlungsfähig ist“, beschwert sich Melnyk.

Und er führt weiter aus, man könne nur mit Sanktionen drohen, wenn alle Schlupflöcher gestopft seien. Die Runde schaut betreten. Tatsächlich kann man dieses riesige Schlupfloch von einer Milliarde Euro pro Tag an Putin schwer unter den Teppich kehren.

Anne Will möchte von Lambsdorff wissen, ob Deutschland mittlerweile ein Glaubwürdigkeitsproblem hat. Das findet Lambsdorff nicht, Putin würde es sowieso nicht unmittelbar spüren, wenn wir jetzt alles stoppen würden.

Timmermans träumt weiter vom Ausbau von Wind- und Sonnenenergie. Und man rede jetzt auch mit den USA über Gas-Lieferungen. Dass es aber Spekulationen über solche Pläne sind, die nicht nur auf Telegram für hitzige Debatten sorgen, ist in dieser Runde kein Thema.

Aber an den Gesichtern meint man schon zu erkennen, dass die Runde weiß, wann ein heißes Eisen angefasst wird oder der große weiße Elefant gemächlich durchs Bild schreitet.

Zimmermans wirft Russland vor, sie hätten sich nicht vorbereitet auf eine Zeit nach dem Ende der fossilen Energie.


Stattdessen hätte Putin alle Einnahmen ins Militär und in seine „Großrusslandpläne“ gesteckt. Nach einem Ende des Krieges werde man Russland „einbinden in eine Vision von Europa, wo die Sicherheit und auch unsere langfristige Energiefürsorge geteilt wird, aber mit nachhaltiger Energie“. Wasserstoff sei auch ein Thema, das man mit Russland entwickeln könne.

Was Timmermans gerade vorgetragen hat, klingt schon verdammt imperialistisch und kolonialistisch in Richtung Russland. Aber das funktioniere nur „mit einem friedlichen Russland‚ sonst geht das alles nicht“, droht der EU-Kommissionsvize Richtung Moskau.

Ein kalter Krieger mit über eintausend Panzern

Lambsdorff penetriert erneut den Scholz-Begriff „Zeitenwende“, als wären die Bürger diese ganzen Masterpläne ihrer Regierungen nicht längst leid. Der Deutsche will von Transformationen und Wendepunkten nichts mehr hören‚ er will endlich auch mal leben, ohne von aufgeregten Politikern mit Apokalypse-Meldungen vor sich hergetrieben zu werden.

Der Bürger weiß nämlich viel besser, dass er Energiereserven braucht, wenn der Ernstfall eintritt. Nun ist er halt da, und alle mentalen Energiereserven sind zuvor schon in die Angstapokalypsen der Transformationsantreiber geflossen.

Der General erzählt abschließend, dass er ganz früher als Kommandeur in Lingen 1200 Kampfpanzer in seinem Depot stehen hatte. Fünfhundert davon hätte er damals sofort abgeben können. Heute besäße Deutschland insgesamt lediglich 286 solcher Kampfpanzer.

Und Egon Ramms mag den Begriff „Aufrüstung“ nicht. Er wäre schon zufrieden, wenn die Bundeswehr erst einmal eine vollständige „Ausrüstung“ hätte.

Die vergleichsweise junge Außenministerin Baerbock begann diese Sendung und ein 73-jähriger General a. D. des Heeres der Bundeswehr bekam das Schlusswort.

Dazwischen passierte nicht viel, was den Begriff „Streitkultur“ verdient hätte. Der ukrainische Botschafter kann für sein Volk nichts aus der Runde mitnehmen. Bei Anne Will gab es keine einzige Patrone extra. Aber wann, wenn nicht heute, fragte sich ein zutiefst besorgter Andrij Melnyk.
Aber was dann?

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“

Bild: Screenshot Anne Will 06.03.2022
Text: wal

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