Von Vera Lengsfeld
Fragt man nach den Merkmalen einer funktionierenden Demokratie, wird an vorderer Stelle die Gewaltenteilung genannt. Den Eltern des Grundgesetzes war vor allem die Unabhängigkeit der Justiz wichtig. Es sollte nie wieder eine politisierte Gerichtsbarkeit geben. Wie weit sich das Bundesverfassungsgericht trotzdem politisiert hat, kann man an einigen jüngsten Entscheidungen festmachen. Mit seinem Beschluss vom 24. März 2021 zum Klimaschutz hat es allerdings eine neue Stufe erklommen. Es hat sich zum Klimaaktivisten gemacht. Geklagt hatten Einzelpersonen wie Hannes Jaenicke, Luisa Neubauer u.a. gegen das Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019, das angeblich verfassungswidrig gewesen sei, weil „hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen“. Die Regierung reagierte prompt und legte sechs Wochen nach dem Urteil ein verschärftes Klimagesetz vor, das am 24. Juni 2021 im Bundestag beschlossen wurde. Durch das Gesetz wird der CO2-Ausstoß bis 2030 um 65 % gegenüber 1990 gesenkt, bis 2040 um 88 %. 2045, fünf Jahre früher, als das Gericht verlangt, soll „Klimaneutralität“ erreicht sein. Der Bevölkerung ist überwiegend nicht klar, dass diese Festlegung einen Arbeitsplatz- und Wohlstandsverlust mit tiefen Verwerfungen in der Gesellschaft zur Folge haben wird. Allerdings gehören die erfolgreichen Kläger nicht zu denen, die an den Folgen zu tragen haben werden. Sie werden sich auf ihre Fluchtburgen in andern Teilen der Welt zurückziehen.
Viel zu spät wird allgemein bekannt, was man jetzt schon wissen kann: Die angestrebte Elektrifizierung der Sektoren Wärme, Verkehr und Industrie ohne Erdgas wird ohne die in Deutschland verbotene CO2-Abscheidung in tiefen Gesteinsschichten und ohne die in Deutschland verbotene Kernenergie nicht zu bewerkstelligen sein. Es geht praktisch um die Stilllegung der Gas- und Ölheizungen, das Verbot von Benzin- und Dieselautos, die Aufgabe des dieselbetriebenen LKW-Verkehrs, des Flugverkehrs, der Raffinerien, der Grundstoffindustrie und die Durchleitung des in Nord Stream 1 und 2 ankommenden Erdgases an unsere Nachbarn, die es dann verbrennen dürfen. Da bleibt neben der Landwirtschaft nicht mehr viel übrig. Das wäre die späte Erfüllung des Morgenthau-Plans, der nach dem Sieg der Alliierten über die Nazis Deutschland in ein Agrarland verwandeln wollte.
Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning kommt das unschätzbare Verdienst zu, in ihrem Buch „Unanfechtbar? Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz im Faktencheck“ das Urteil analysiert und alle Fehler des Gerichts aufgelistet zu haben.
Es geht damit los, dass unklar ist, ob an der Beschlussbegründung Fachleute mit klimawissenschaftlicher und energiewirtschaftlicher Fachkompetenz beteiligt waren. Diese Zweifel ergeben sich laut den Autoren aus einem „Anfängerfehler“, den das Dokument enthält.
„So behauptet das BVerfG, dass zwischen Treibhausgasen und dem Anstieg der Temperatur eine ‚annähernd lineare Beziehung‘ bestünde. Das ist falsch, denn der Zusammenhang ist in Wirklichkeit logarithmisch. An anderer Stelle erklärt das Gericht fälschlicherweise, dass nur kleine Teile der anthropogenen Emissionen von den Meeren und der terrestrischen Biosphäre aufgenommen würden. Auch dies ist objektiv falsch, da derzeit etwa die Hälfte aller globalen Emissionen von CO2-Senkungen abgepuffert werden …“
„Durch Auslassung der in den Fachpublikationen und vom IPPC quantitativ angegebenen Unsicherheiten erweckt das BVerfG in seiner Beschlussbegründung den Eindruck einer alternativlosen klimatischen Gefahrenlage. Hätte das BVerfG die immer noch große Unsicherheitsspanne des genauen Wertes der CO2-Klimasensitivität angemessen berücksichtigt, wären die eventuell noch bestehenden erheblich größeren Handlungsspielräume deutlich geworden.“
Insgesamt fällt auf, dass das Gericht der Sichtweise des Potsdamer Klimaforschungsinstituts (PIK) weitgehend folgt, ohne zu beachten, dass die Katastrophenszenarien dieses Instituts Außenseitermeinungen sind. Auch zitiert das Gericht das Buch „Klimawandel“ der PIK-Autoren Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber, das kein wissenschaftliches Werk, sondern Populärliteratur ist und kein formales Gutachterverfahren durchlaufen hat. Es kommt hinzu, dass streckenweise ganze Passagen aus einer Online-Publikation des grünen Ehemannes einer am Verfahren beteiligten Richterin übernommen wurden. Die Autoren resümieren:
„Eine Fachbegutachtung hätten die BVerfG-Leitsätze nicht erfolgreich überstanden. Und trotzdem bilden sie die Grundlage für politische Entscheidungen.“
Laut Beschlussbegründung war dem Gericht daran gelegen, „Planungsdruck“ zu erzeugen und „Verhaltensweisen“ zu ändern. Das geht allerdings weit über seinen verfassungsmäßigen Auftrag hinaus. „Am Ende führt ein solcher Beschluss zu einem schwerwiegenden Vertrauensverlust in die Institution und Arbeit des BVerfG. Wenn fachlich komplexe Themen derart schlecht und einseitig recherchiert werden, müssen Neutralität und Unabhängigkeit des Gerichts in Zweifel gezogen werden.
Dieser Artikel ist zuerst auf Vera Lengsfelds Blog erschienen.
Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen, ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. Sie betreibt einen Blog, den ich sehr empfehle. Sie finden ihn hier.
Text: Gast