Das Problem der Merkel-Regierung mit der Pressefreiheit Verweis auf "Verantwortungsbewusstsein"

Am Montag vor einer Woche hatte Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert in der Bundespressekonferenz eine merkwürdige Auffassung von Journalismus offenbar. Er tadelte mich, weil ich Kritikern der Impfpolitik in der Bevölkerung eine Stimme verleihe. Im konkreten Fall war der Anstoß, dass ich Menschen zitierte, die sagten, sie bzw. ihre Kinder fühlten sich als Umgeimpfte wie Aussätzige. Egal, wie man zu dieser Aussage steht: Fakt ist, dass Menschen sich so fühlen. Und nicht wenige, wie die große Zahl von Zuschriften bezeugt. Für mich ist klar: Als Journalist muss man die Sorgen dieser Menschen ernst nehmen und die Mächtigen damit konfrontieren. Wie nötig das ist, zeigte die Reaktion von Seibert und Hanno Kautz, dem Sprecher von Jens Spahn: Sie stritten eine Benachteiligung von Ungeimpften faktisch ab. In meinen Augen offenbarten sie damit eine erschreckende Unkenntnis der Realität im Land, das sie regieren (siehe hier).   

Genauso erschreckend wie dieser Realitätsverlust ist es, wie Seibert die Rolle der Medien definierte. Er sagte mir: „Sie sollten sich vielleicht überlegen, ob Sie Begriffe wie die, dass Menschen hier wie Aussätzige behandelt werden, einfach so weitertransportieren.“ Und weiter: „Als Aussätziger wird niemand behandelt. Das einfach so als Begriff in den Raum zu stellen, ist meiner Meinung nach ein Beitrag zu einem wirklich schlechten Klima.“

So eine Einstellung der Regierung zur Arbeit der Medien wirft Fragen auf (und erklärt auch, warum so viele der großen Medien so berichten, wie sie es tun). Weil ich am Montag nach dem Reglement keine Nachfrage mehr hatte, hakte ich bei der Bundespressekonferenz am Freitag bei Seiberts Stellvertreterin Ulrike Demmer nach – mit der ich früher gemeinsam im Berliner Focus-Büro arbeitete. Hier der Wortwechsel: 

REITSCHUSTER: „Frau Demmer, ich habe am Montag einen Tadel von Herrn Seibert bekommen, weil ich in einer Frage gesagt habe, dass ungeimpfte Leser sich beklagen, sie würden wie Aussätzige behandelt. Herr Seibert sagte, ich sollte mir überlegen, ob ich solche Begriffe weitergebe, und das sei ein Beitrag zum wirklich schlechten Klima. Nun habe ich den Journalismus noch so gelernt, dass wir weitergeben sollen, was Menschen sagen. Wo ist da für Sie die Grenze? Was kann man aus Sicht der Bundesregierung noch weitergeben, und wann soll man nicht mehr weitergeben, was Menschen besorgt?“

DEMMER: „Wissen Sie was? Ich vergebe jetzt hier keine Noten für vergangene Regierungspressekonferenzen. Ich habe die letzte tatsächlich nicht verfolgt, und deswegen kann ich das von hier aus gar nicht kommentieren.

Selbstverständlich nimmt die Bundesregierung die Sorgen und Ängste von Bürgerinnen und Bürgern ernst. Darüber hinaus kann ich die Debatte, die Sie quasi gerne fortführen möchten, hier nicht fortführen.“

REITSCHUSTER: „Dann frage ich ganz allgemein, ganz unabhängig davon. Es gibt ja einen Spannungsbogen, das ist bekannt, etwas wiedergeben und andererseits keine Panik schüren und dergleichen. Wie sieht die Bundesregierung das? Wo verläuft in der aktuellen Situation aus Sicht der Bundesregierung hier die Grenze?“

DEMMER: „Ich glaube nicht, dass es Aufgabe der Bundesregierung ist, Grenzen für Journalisten zu ziehen. Insofern kann ich nur an das Verantwortungsbewusstsein appellieren; denn der Journalismus ist gerade in Krisenzeiten, und ich würde sagen, wir befinden uns immer noch in einer solchen, für Aufklärung und für die Demokratie insgesamt von unerlässlich großer Bedeutung.“

Auf den ersten Blick wirkt das so, als stelle sich Demmer damit formal in Widerspruch zu ihrem Chef – bzw. als rudere sie zurück. Denn Seibert hatte ja am Montag, wie Sie oben nachlesen können, nichts anderes getan, als versucht, Grenzen für meine Berichterstattung zu ziehen. 

Ob das vermeintliche Rückrudern wirklich eines ist, darf aber bezweifelt werden. Denn man kann durchaus auch Demmers „Appell an das Verantwortungsbewusstsein“ als eine Grenz-Ziehung für Journalisten werten – nur eben unter einem anderen Namen. Denn viel spricht dafür, dass mit diesem „Verantwortungsbewusstsein“ ein Agieren auf Regierungslinie gemeint ist – und Verzicht auf wirkliche Kritik (anstatt von Scheinkritik). Solche Appelle kenne ich bestens aus dem Kreml in Putins Russland.

Ganz offen gestanden fehlt mir angesichts des demonstrativen Schweigens der Bundesregierung zur Zensur auf Youtube und in den sozialen Medien, das man auch als Anstiftung zu eben dieser Zensur werten kann, inzwischen jegliches Vertrauen in hehre Worte von der Regierungsbank. Allzu oft entpuppen sie sich als Mogelpackungen.

 

 

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Bild: Boris Reitschuster  
Text: br

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