Das rechtsextreme Asow-Regiment und seine Rolle in Kiew INNENANSICHTEN AUS DER UKRAINE

Ich würde den Rechtsextremismus in der Ukraine zu wenig beleuchten, warf mir eine Leserin vor. Ich habe daraufhin zwei Gastartikel zu dem Thema veröffentlicht (hier und hier) und mich noch einmal intensiv damit befasst. Als Reaktion auf den Gastbeitrag „Die Ukraine – ein Nazi-Staat?“ bekam ich einen bemerkenswerten Leserbrief, den ich auch veröffentlicht habe (Sie finden ihn hier). Der Absender empfahl abseits von westlicher und russischer Propaganda “ einen englischsprachigen Artikel von Aris Roussinos: „The truth about Ukraine’s far-Right militias.“ Er gehört zum Besten, was ich zu dem Thema gelesen habe. Und führte auch dazu, dass ich gewisse Fehler in der eigenen Arbeit erkennen musste. Aber der Reihe nach. Da viele Leser sicher keine große Muße haben, eine ellenlange englische Analyse zu lesen, habe ich die Quintessenz aus dem Artikel von Roussinos hier für sie kurz zusammengefasst.

Roussinos trennt ganz klar: Er sagt, dass zwar einerseits die Ukraine ein klar demokratischer Staat ist, in dem Regierungen friedlich abgewählt werden, und Russlands Behauptung, es sei ein Nazi-Staat, deshalb Propaganda sei. Gleichzeitig schreibt Roussinos, dass die Regierung in Kiew mit rechtsextremen Kräften kooperierte und rechtsextreme Milizen auch förderte und mit Waffen ausstattete. Dies zu negieren, wie es viele westliche Medien taten, sei, so Roussinos, ebenfalls Desinformation und befördere damit indirekt das Kreml-Narrativ.

Die bekannteste rechtsextreme Miliz, das „Asow“-Regiment, hat Roussinos selbst intensiv untersucht und auch besucht. Auch wenn viele Kämpfer von Asow unideoligisch seien, betreibe die Führung eine klar rechtsextreme Propaganda und benutze auch nationalsozialistische Symbole, so der Autor. In den USA gab es sogar Bestrebungen, Asow als Terror-Organisation auf die schwarze Liste zu setzen. So hart der Autor mit Asow & Co. ins Gericht geht – so entschieden weist er auch das Narrativ des Kremls zurück, diese hätten nennenswerten politischen Einfluss in der Ukraine. Erst jetzt durch die Invasion Russlands, so fürchtet er, könne dieser wachsen: „Insofern ist der aktuelle Krieg sicherlich eine segensreiche Erleichterung für Asow. Der Versuch seines Anführers Biletsky, eine politische Partei – das Nationalkorps – zu gründen, war nahezu erfolglos, da selbst ein vereinter Block der ultrarechten und rechtsextremen Parteien der Ukraine bei den letzten Wahlen die sehr niedrige Prozenthürde für den Einzug ins Parlament nicht genommen hat: Die ukrainischen Wähler wollen einfach nicht, was diese Leute verkaufen, und lehnen ihre Weltanschauung ab.“

‘Für den Sieg und Walhalla‘

Weiter heißt es in dem Beitrag: „Westliche Regierungen und Nachrichtenagenturen warnten bis zur russischen Invasion häufig vor den Gefahren westlicher Neonazis und weißer Rassisten, die Kampferfahrung sammeln würden, wenn sie an der Seite von Asow und seinen verbündeten Nazi-Unterfraktionen kämpfen. Doch in der Hitze des Gefechts scheinen sich diese Bedenken zerstreut zu haben: Ein aktuelles Foto von neu eingetroffenen westlichen Freiwilligen, darunter Briten, in Kiew zeigt Asow-Frau Olena Semenyaka, die im Hintergrund glücklich lächelt, neben dem schwedischen Neonazi und ehemaligen Asow-Scharfschützen Michael Skillt. Tatsächlich wirbt die „Misanthropic Division“, eine Einheit westlicher Neonazis, die an der Seite von Asow kämpfen, derzeit auf Telegram um europäische Kämpfer, sich dem Strom von Freiwilligen anzuschließen und sich mit ihnen in der Ukraine zu verbünden, ‘für den Sieg und Walhalla‘.“

Dass der ukrainische Staat aber solche rechtsextremen Gruppen unterstütze, ja sie in staatliche Strukturen einbinde, sei in der westlichen Hemisphäre einmalig und dürfe nicht verharmlost werden. Andererseits dürfe man aber auch nicht übersehen, dass dieses Phänomen eine Reaktion auf die russische Aggression seit 2014 sei, so Roussinos: Die militärischen Mittel Kiews seien schwach, und in ihrer Not setze die Regierung auch auf solche mehr als zweifelhaften Kräfte. Weiter führt der Autor aus: „Wenn es überhaupt eine gibt, geht die Hauptbedrohung, die von Gruppen wie Asow ausgeht, nicht gegen den russischen Staat – Russland unterstützt schließlich selbst gerne rechtsextreme Elemente in seiner Wagner-Söldnergruppe und in den separatistischen Republiken – noch gegen westliche Nationen, deren unzufriedene Bürger sich entschließen könnten, an der Seite von Asow zu kämpfen. Stattdessen ist die zukünftige Stabilität des ukrainischen Staates selbst bedroht, wie Amnesty und Human Rights Watch seit langem warnen.“

Denn während die Extremisten jetzt aufgrund ihrer Kampfkraft nützlich sein können, könnten sie eben aufgrund der russischen Aggression, die als „De-Nazifizierung“ getarnt ist, fatal an Einfluss gewinnen, so der Autor: „Im Falle der Enthauptung oder Evakuierung der liberalen Regierung der Ukraine aus Kiew, vielleicht nach Polen oder Lemberg, oder, was wahrscheinlicher ist, für den Fall, dass Selenskyj durch die Ereignisse gezwungen wird, ein Friedensabkommen zu unterzeichnen, in dem ukrainisches Territorium aufgegeben wird, könnten Gruppen wie Asow eine einmalige Gelegenheit finden, die Überreste des Staates herauszufordern und ihre eigenen Machtbasen zu konsolidieren, wenn auch nur lokal.“

Besonders bemerkenswert: „Asow“ zählt zu seinen Zielen unter anderem eine Befreiung Europas von „Liberalen, Homosexuellen und Migranten“. Das ist sehr ähnlich zu den Vorstellungen von Putins Vordenkern und von einigen, die hierzulande unter Hinweis auf „Asow“ die Ukraine als „Nazi-Staat“ bezeichnen.

Dinge ganz klar beim Namen nennen!

Mein Fazit aus der Lektüre des Artikels. Es ist ein Fehler, dass die westlichen Medien die neonazistischen Kräfte in der Ukraine seit dem russischen Überfall mehrheitlich unter den Tisch kehren. Ich persönlich habe deren Existenz zwar nie bestritten, aber ich hätte wohl noch mehr differenzieren müssen, so wie Roussinos es vorbildlich tut. Denn Verschweigen oder Relativieren leistet der russischen Propaganda, die die gesamte Ukraine als „Asow“-Regiment darstellen will, Vorschub. Man muss die Dinge ganz klar beim Namen nennen: In der Ukraine gibt es rechtsextreme, bewaffnete Verbände, die der Staat teilweise einband, förderte und bewaffnete. Andererseits tat die Regierung das nicht, weil sie Sympathien für dieses Gedankengut hatte – sondern weil sie sich wehrlos fühlte gegenüber Moskaus Aggression und jede bewaffnete Kraft willkommen hieß. Nennenswerten Einfluss auf die Politik oder Sympathien bei den Ukrainern haben die Rechtsextremen nicht. So wenig man diese Rechtsextremen  verharmlosen kann, wie es jetzt viele tun – so wenig begründen sie die Propaganda-Mär vom „faschistischen ukrainischen Staat“. Und noch weniger sind sie auch nur ansatzweise eine Rechtfertigung für Putins brutalen Angriffskrieg und seinen Zivilisationsbruch.

PS: Der Westen sei schuld an Putins Angriff, sagen seine eingefleischten Unterstützer im Westen. Mein nächster Beitrag – voraussichtlich ein Video – wird sich damit befassen. Auch er wird ganz andere Einsichten enthalten als die großen Medien – aber auch andere als viele „alternativen“, die Putin verteidigen. Der Westen hat im Umgang mit Russland tatsächlich versagt. Und hätte er sich anders verhalten, hätten wir diesen Krieg jetzt nicht. Das Versagen war aber ein ganz anderes, als kolportiert wird, und es liegt schon länger zurück als die NATO-Osterweiterung etc.. Es liegt in der Zeit von Boris Jelzin.


Bild: A_Lesik/Shutterstock (Symbolbild/Neonazis bei einem Treffen 2016 in Odessa)
Text: red

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