Das Zeitalter der Aufklärung ist vorbei Was würde Friedrich der Große über das heutige Deutschland sagen?

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

„Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt,
schwankt sein Charakterbild in der Geschichte,“

heißt es bei Friedrich Schiller. Gemeint hat er damit nicht etwa Karl Lauterbach oder Robert Habeck, denn erstens – ich muss das für Politiker der grünen Partei vielleicht erwähnen – lebte Schiller weit vor der Zeit dieser politischen Glanzlichter und zweitens ist nicht zu erwarten, dass in der Geschichtsschreibung irgendein Zweifel über das „Charakterbild“ der beiden Ausnahmeminister aufkommen könnte, sofern man hier überhaupt von Charakter sprechen möchte. Nein, es war Albrecht von Wallenstein, über den Schiller sich hier äußerte, kaiserlicher Generalissimus im Dreißigjährigen Krieg und ohne Frage ein schwer zu beurteilender Charakter.

Doch Schillers Ausspruch trifft nicht nur auf Wallenstein zu, es gibt noch andere Kandidaten. Friedrich II. beispielsweise, den man auch „den Großen“ nannte, preußischer König seit 1740 und nicht nur das. Der Historiker Golo Mann hat seine Vielschichtigkeit klar zum Ausdruck gebracht: Er sei „nicht nur Soldat und Täter, sondern auch Schriftsteller, Philosoph, Literat“ gewesen, eine „sonderbare liebens- und hassenswerte Erscheinung“, „König von Gottes Gnaden, aber ohne Religion, Menschenfreund und Menschenverächter, Freigeist und Despot … in seiner Person ein volksfremder, grimmiger, trostloser Spottvogel, ein Mensch von höchster musischer Kultur und doch auch abergläubisch, starr und finster.“ Ohne den leichten Zug zur Düsternis, der aus diesen Zeilen spricht, hat sich dagegen Thomas Mann über den jungen Friedrich geäußert. „Dieser niedliche junge Mann, … keck philosophisch, Literat, Verfasser des überaus humanen ,Antimachiavel’, durchaus unmilitärisch, wie es bisher den Anschein hatte, zivil, lässig“ – so jemand werde König „und benimmt sich als König in einer Weise, dass man nicht weiß, was man denken soll“.

Denn Friedrich war nicht nur regierender König und Feldherr – beides in eigener Person, nicht nur dem Namen nach – sondern er befasste sich sein Leben lang mit Philosophie und korrespondierte mit den Philosophen seiner Zeit, vor allem mit Voltaire, in dessen Wesen der großartige Autor und der zwielichtig-windige Geschäftsmann eine seltsame Union eingingen. Auch der König selbst hat philosophische Schriften hinterlassen, deren bekannteste wohl der erwähnte „Antimachiavel“ sein dürfte, genauer gesagt: „Antimachiavel oder: Die Widerlegung des Fürsten von Machiavelli“. Ob ihm die Widerlegung von Machiavellis Werk „Der Fürst“, das sich nicht unbedingt durch allzu viel Menschenfreundlichkeit auszeichnete und die Rolle rücksichtsloser Machtpolitik betonte, gelungen ist, sei dahingestellt; Voltaire beispielsweise war der Auffassung, Friedrich habe die Stellen, an denen Machiavelli wirklich angreifbar war, nicht berücksichtigt. Doch im Rahmen seiner Machiavelli-Kritik hat Friedrich eigene Vorstellungen entwickelt, von denen sich manches auf die Verhältnisse unserer großartigen Zeiten anwenden lassen.

Nur kurz will ich erwähnen, dass er sogar jemanden wie Robert Habeck fast 300 Jahre vor seinem Auftreten erahnt hat: „Ein Schriftsteller,“ so schreibt er, „hat es recht schwer, seinen wahren Charakter zu verbergen. Er redet zu viel, er spricht über alle möglichen Themen, sodass ihm immer wieder das eine oder andere unvorsichtige Wort entwischt und er uns stillschweigend Aufschluss über seine Sitten gibt.“ Mit „stillschweigend“ hat er wohl eher „unbeabsichtigt“ gemeint, aber wer würde hier nicht eine treffende Beschreibung des Kinderbuchautors erkennen, der heute den Minister für ruinierte Wirtschaft und leeres Klimagerede darstellt? Unvorsichtige Worte entwischen ihm oft und gern, sei es über seine Insolvenztheorie, über den Staat, der keine Fehler macht, oder über die Wirklichkeit, von der wir bedauerlicherweise umzingelt sind, und Aufschluss über seine politischen Sitten hat er uns schon zu oft gewährt.

Und eben diese Politik – nicht nur die Habecks, er hat hinreichend viele Mitstreiter mit dem vergesslichen Kanzler an vorderster Stelle – und ihre Folgen beschreibt Friedrich mit deutlichen Worten. „Wenn Sie die Redlichkeit und den Eid missachten, welche Garantien bleiben Ihnen dann für die Treue anderer Menschen? Wenn Sie den Eid missachten, wie wollen Sie dann Untertanen und Völker verpflichten, Ihre Herrschaft zu achten? Wenn Sie die Redlichkeit abschaffen, wie können Sie dann irgendeinem Menschen trauen, wie auf die Versprechen bauen, die man Ihnen gibt?“ Missachten der Redlichkeit, Ignorieren des Amtseides, so kann man fraglos die Ampelpolitik charakterisieren. Ob es um die Maßnahmen zur Zeit der sonderbaren PCR-Pandemie ging, um die sogenannte Klimakatastrophe, um den alles andere überstrahlenden Kampf gegen „rechts“, der nichts anderes als ein Kampf gegen das Recht ist – es wurde und wird gelogen, es wurde und wird betrogen, so etwas wie Redlichkeit kommt im Denken mancher Leute schon lange nicht mehr vor. Und es soll Menschen geben, die das bemerken, die nach Kräften versuchen, dem regierungsamtlichen Irrsinn entgegen zu wirken, indem sie Vorschriften unterlaufen, sich nicht um Klimapanik scheren oder gar die falschen Parteien wählen und sich am Ende auch noch an missliebigen Demonstrationen beteiligen – denen kann die Regierung selbstverständlich nicht trauen und will es auch nicht. Ansteigende Gängelung, fortschreitende Kontrolle der Menschen sind die Folge, wenn eine Regierung jede Form von Redlichkeit verloren hat.

Doch es gibt auch andere Reaktionen unter den Menschen. „Sobald Sie mit dem Beispiel des Verrats vorangehen, wird es immer Verräter geben, die es Ihnen nachmachen.“ Ja, die gibt es. Denn unsägliches Regierungsverhalten führt nicht nur zu Widerstand, sondern auch zur Anpassung von Karrieristen, skrupellosen Denunzianten und zum Wegschauen von Mitläufern. „Verräter, die es Ihnen nachmachen“ – wo findet man sie nicht? Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist voll davon, die meisten Zeitungen sind nicht besser, man braucht nicht unbedingt auf die Regierung zu blicken, wenn man Beispiele von Unredlichkeit und Lüge sucht. Der Denunziant auf der anderen Straßenseite, der zur PCR-Zeit seine Nachbarn wegen illegaler Kindergeburtstage angezeigt hat, genügt vollauf.

Aber all das geschah und geschieht schließlich unter dem Deckmantel des Gesetzes, beschützt von der Legalität, doch das hilft dem Betroffenen nichts. „Die Last der Tyrannei ist niemals drückender als dann, wenn der Tyrann sich den Anschein der Unschuld geben will und die Unterdrückung im Schutze der Gesetze geschieht. Der Tyrann gönnt dem Volk nicht einmal den schwachen Trost, dass er sein Unrecht einsehe.“ Besser kann man es kaum sagen und die Folgerung ist klar: „Um die eigenen Grausamkeiten zu entschuldigen, müssen andere beschuldigt, andere dafür bestraft werden.“ Auch das erleben wir. Man muss nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen, man muss sie drangsalieren, verfolgen und manchmal auch verhaften, wie wir es viel zu häufig im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die Grundrechtsverletzungen der Corona-Zeit gesehen haben. „Bestrafe einen, erziehe hundert“, war ein Motto von Mao Tse Tung. Man kann es noch ergänzen durch das Prinzip: Bestrafe andere, damit du nicht bestraft wirst.

Allerdings war Friedrich nicht nur pessimistisch, denn er hatte klare Vorstellungen davon, was mit den Komplizen krimineller Macht geschehen wird: „Die unwürdigen Helfershelfer, die dem Verbrechen der Fürsten als Werkzeug dienen, müssen sich darauf gefasst machen, dass sie, selbst wenn sie belohnt werden, solange man sie braucht, früher oder später ihren Herren als Opfer dienen werden. Das ist zugleich eine schöne Lehre für alle, die leichtfertig einem Schurken … trauen, aber auch für alle, die sich rückhaltlos und ohne an die Tugend zu denken, in den Dienst ihrer Herrscher begeben. So birgt das Verbrechen immer seine Strafe in sich.“ Ich fürchte, hier war Friedrich zu optimistisch. Sicher kann es vorkommen, dass eine Politik der Lüge und Unredlichkeit ihre eigenen Kinder frisst und die Angepassten sich unversehens auf der Seite der Geschlagenen finden. Im Allgemeinen muss man aber damit rechnen, dass keineswegs „das Verbrechen immer seine Strafe in sich“ trägt; viele kommen unbehelligt davon und schaffen es, sich aus allem herauszuwinden. Sollte ich mich damit irren, soll es mir recht sein.

Doch gerade in Deutschland ist zu viel Optimismus unangebracht, wie man am Beispiel von Friedrichs Passage über die Freiheit sieht. „Kein Gefühl ist so untrennbar mit unserem Wesen verbunden wie das der Freiheit. Vom zivilisiertesten bis hin zum barbarischsten Menschen sind alle auf gleiche Weise davon durchdrungen. Da wir ohne Ketten geboren werden, verlangen wir, ohne Zwang zu leben, und da wir nur von uns selbst abhängig sein wollen, wollen wir uns auch nicht den Launen anderer unterwerfen.“

Tatsächlich? Wollen wir das? In Deutschland? Für viele trifft das zu, aber zu viele sind an Freiheit nicht im Mindesten interessiert. Im Gegenteil: Es stört sie, „ohne Zwang zu leben“, weil das mit Aufwand und Mühe verbunden ist und man am Ende noch eigene Entscheidungen treffen muss. Viel einfacher ist es doch, sich „den Launen anderer“ zu unterwerfen, sich anzupassen, mit der Masse mitzulaufen, ob man nun Masken tragen oder gegen „rechts“ demonstrieren soll. Friedrich ist der Auffassung, dass der Freiheitsdrang der Menschen zur republikanischen Regierungsform geführt hat und gerade in Europa kenne man „etliche Völker, die das Joch ihrer Tyrannen abgeschüttelt haben, um eine glückliche Unabhängigkeit zu genießen, aber man kennt keine, die frei waren und sich freiwillig der Sklaverei unterwarfen“. Zu Friedrichs Zeiten war das vielleicht so, heute genügt ein Blick in die Tagessschau, um das Gegenteil zu sehen. Oder man lese ein Interview der Vorsitzenden der sogenannten „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“, in dem sie offen zur politischen Indoktrination an Schulen aufruft. So viel vorauseilenden Gehorsam auf dem Weg zum autoritäten Staat muss man erst einmal aufbringen.

Selbstverständlich hat auch Friedrich nicht übersehen, dass sich Republiken zurückentwickeln können. „Mehrere Republiken sind im Laufe der Zeiten wieder in den Despotismus zurückgefallen; das scheint sogar ein unvermeidliches Unglück zu sein, das ihnen allen bevorsteht; doch es ist nur eine Auswirkung der Schicksalsschläge und der Wechselfälle, die es in allen Dingen dieser Welt zu erleiden gilt. Denn wie sollte eine Republik auf ewig den Kräften Widerstand leisten, die ihre Freiheit untergraben? Wie könnte sie für immer dem Ehrgeiz der Großen Einhalt gebieten, der in ihrer Mitte gedeiht, jenem Ehrgeiz, der immer neu entsteht und niemals ausstirbt?“ Übersehen hat er vielleicht, dass auch die Regierung einer Republik zu den Kräften gehören kann, „die ihre Freiheit untergraben“, aber zu seiner Zeit gab es ja auch noch keine grüne Partei und keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es ist schwierig, an der Freiheit und damit an der republikanischen Staatsform festzuhalten, wenn man es beispielsweise mit Ministern wie Nancy Faeser und Robert Habeck zu tun hat, die ihre Abneigung gegen freie Meinungsäußerung und freies Wirtschaften unverhohlen zum Ausdruck bringen und staatlich gelenkter Propaganda, verbunden mit sozialistischer Planwirtschaft, das Wort reden. Und fast sieht es so aus, als hätte Friedrich prophetische Fähigkeiten für unsere Zeit besessen, wenn er schrieb: „Der Despotismus versetzt der Freiheit den Todesstoß und beendet früher oder später das Geschick einer Republik.“ Daran wird gerade mit vollem Einsatz gearbeitet.

Doch ist es nicht seltsam, dass die Menschen alles mit sich machen lassen? Friedrich hat sich insbesondere gefragt, wieso die Völker die „Unterdrückung durch diese Art von Herrschern“ – gemeint waren geistliche Fürstentümer – „mit so viel Hingabe und Geduld ertragen“. „Wer freilich die Macht des Aberglaubens über die Einfältigen und die Macht des Fanatismus über den menschlichen Geist kennt, dem erscheint dieses Phänomen weniger befremdlich. Er weiß, dass die Religion eine alte Maschine ist, die sich nie abnutzen wird und derer man sich zu allen Zeiten bedient hat, um sich der Treue der Völker zu versichern und die widerspenstige menschliche Vernunft zu zügeln.“ Wie wahr! In den letzten Jahren haben sich sowohl die Corona-Propaganda als auch die Klimabewegung zu religionsähnlichen Ideologien entwickelt, die hinreichend viele fanatische Gläubige aufweisen können, vom ebenfalls fanatisch-religiös anmutenden Kampf gegen „rechts“ ganz zu schweigen. Und noch immer sind „die Macht des Aberglaubens über die Einfältigen und die Macht des Fanatismus über den menschlichen Geist“ erkennbar; wer Beispiele für die „Einfältigen“ sucht, ist in der Bundestagsfraktion der Grünen gut aufgehoben, aber nicht nur dort. Dass man mit dieser Methode „die widerspenstige menschliche Vernunft“ ausgesprochen effektiv zügeln kann, steht außer Frage, und nicht minder klar ist, „dass immer die triumphieren werden, die mit Himmel und Hölle, mit Gott und dem Teufel Politik machen, um ihre Ziele zu erreichen.“ Himmel und Hölle sind es zwar kaum noch, sondern eher Klimaschutz und Treibhausgase, Gott und der Teufel werden auch nicht mehr bemüht, sondern Vielfalt und „rechte“ Bestrebungen – aber das Prinzip bleibt gleich. Der rationalen Argumentation, dem einigermaßen vorurteilsfreien Betrachten der Wirklichkeit hat man schon lange den Abschied gegeben, es geht nur noch um Himmel und Hölle, um Gott und den Teufel, auch wenn sie heute anders heißen.

Zur Zeit Friedrichs, im Jahr 1784, schrieb Immanuel Kant seinen berühmten Aufsatz „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ Dort meinte er: „Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.“ Es fehle noch immer sehr viel daran, dass die Menschen insbesondere in Religionsfragen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen wüssten. „Allein dass jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin frei zu bearbeiten, und die Hindernisse der allgemeinen Aufklärung, oder des Ausganges aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit allmählich weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen. In diesem Betracht ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung, oder das Jahrhundert Friederichs.“

Friedrich II. ist schon lange tot, sein Jahrhundert schon lange vorbei. Und es scheint, dass wir das Zeitalter der Aufklärung weit hinter uns gelassen haben.

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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

 

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