Ein Gastbeitrag von Alexander Fritsch
„Bei uns ist ein Berufspolitiker im Allgemeinen weder ein Fachmann noch ein Dilettant, sondern ein Generalist mit dem Spezialwissen, wie man politische Gegner bekämpft.“
(Richard von Weizsäcker – im Gespräch mit Gunter Hofmann und Werner A. Perger, 1992)
Zu einer erfolgreichen Strategie gehört seit jeher das Verschleiern.
Das gilt für alle Strategien: die militärische, die ökonomische und die politische. Man versucht, das Gegenüber – den militärischen Feind, den ökonomischen Wettbewerber, den politischen Gegner – über die eigenen Ziele möglichst im Unklaren zu lassen.
Sprache ist verräterisch
In der Politik ist Sprache eines der wichtigsten Instrumente überhaupt, deshalb ist die Kontrolle über Sprache ein wichtiger Bestandteil vor allem jeder politischen Strategie. Aus dem Englischen haben wir dafür den Begriff „Spin“ übernommen, auf Deutsch heißt das ungefähr so viel wie „Dreh“: Man sucht nach dem richtigen sprachlichen Dreh, um die eigenen Absichten möglichst wirksam zu verschleiern.
Das ist ein Grundprinzip der politischen Kommunikation – oder besser: Es war eines. Denn in diesen Corona-Zeiten hat sich viel geändert. Unter anderem halten sich unsere Regierenden immer seltener damit auf, nach einem „Spin“ zu suchen. Stattdessen sagen sie immer öfter immer unverblümter, was sie wirklich denken und was ihre wirklichen Ziele sind.
Das hat viel damit zu tun, dass die meisten Politiker in Deutschland (sofern sie nicht von der AfD kommen) kaum noch befürchten müssen, dass ihre politische Strategie in der Öffentlichkeit grundsätzlich hinterfragt wird. Denn in den großen strategischen Fragen hat sich (von der SED/PDS/Linken bis zur FDP, von der ARD bis zu RTL) eine Art polit-mediales Kartell gebildet, das prinzipielle Kritik an den derzeitigen Grundlinien der deutschen Politik nicht zulässt – als da sind:
- für mehr Staat und weniger Freiheit
- für mehr Staats- und weniger Marktwirtschaft
- für Masseneinwanderung
- für mehr EU-Zentralismus und weniger nationale Souveränität
- für Ergebnisgleichheit statt Chancengerechtigkeit.
Wie jedes Kartell, so hat auch dieses so viele Nachteile, dass man das Internet damit vollschreiben könnte. Aber es hat auch einen Vorteil: dass wir nicht mehr so viel über mögliche politische Absichten spekulieren müssen wie früher. Wir können – nicht immer, aber immer öfter – die Äußerungen unseres politischen Personals zum Nennwert nehmen.
„Man muss die Zügel anziehen.“
(Angela Merkel – am 17. August 2020)
Sprache ist verräterisch. Auch die Bundeskanzlerin empfindet offensichtlich immer weniger das Bedürfnis, ihre Weltsicht vor der Welt zu verschleiern. Das Streben nach immer härteren Anti-Corona-Beschränkungen wird nicht mehr kunstvoll verbrämt.
Das Volk ist ein Gaul, dem man (je nachdem, wie es dem Reiter gefällt) die Sporen geben kann, um ihn anzutreiben – oder dem man die Zügel anzieht, um ihn zu bremsen bzw. zu noch perfekterem Gehorsam abzurichten.
Hier zeigt sich erstens eine autoritäre Gesinnung, die es erschreckenderweise gar nicht mehr nötig zu haben meint, mühsam hinter Sprach-Spin versteckt zu werden. Das für sich ist schon schlimm genug, widerspricht es doch in jeder Pore dem Geist unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Noch schlimmer, zweitens, ist das grundlegende Missverständnis von Gesellschaft. Der Ausbruch der Corona-Pandemie vor etwa einem Jahr hat Tendenzen offengelegt, die es in Deutschland schon lange – auch lange vor Angela Merkel – gab, die sich aber vor allem in den vergangenen zwei Jahrzehnten kontinuierlich verstärkt haben und die jetzt letztlich dazu führen, dass unsere Politik versagt.
Denn die Gesellschaft funktioniert eben nicht wie ein Pferd, dass man mit primären Reizen (Schmerz oder Belohnung) einfach konditionieren kann. Die Gesellschaft funktioniert auch nicht wie eine Maschine, bei der man oben „Kontaktbeschränkung“ einwirft – und unten kommt ein Inzidenzwert von, sagen wir: „sieben“ heraus.
Die Gesellschaft funktioniert nicht mechanisch, nicht linear, nicht eindimensional
Wir erleben das, unendlich schmerzhaft, auch in der Wirtschaftspolitik. Und auch hier ist Sprache verräterisch: Man wolle die Wirtschaft „mit Augenmaß wieder hochfahren“, irgendwann, sagt unermüdlich Wirtschaftsminister Peter Altmaier.
Aber man kann eine Volkswirtschaft nicht nach Belieben herunter- und dann sozusagen per Knopfdruck wieder hochfahren. Wertschöpfung ist keine Deckenlampe, die mal dunkler und mal heller leuchtet – je nachdem, in welche Richtung die Politik gerade den Dimmer dreht. Das ist eine geradezu lächerliche Vorstellung von ökonomischen Zusammenhängen und von unternehmerischen Abläufen.
So funktioniert Wirtschaft nicht – das weiß jeder, der mal in der Wirtschaft tätig war. Deutschlands Wirtschaftsminister war nie in der Wirtschaft tätig.
Jede sozialmechanische Politik muss an der komplexen Gesellschaft scheitern
Und sie scheitert grandios. In Berlin zeigt die Politik den Menschen seit ein paar Jahrzehnten, dass man sich nicht an Gesetze halten muss: Im Görlitzer Park dürfen Drogenhändler nicht nur unbehelligt, sondern von grünen Politikern geradezu gefördert ihren illegalen Geschäften nachgehen. In der Rigaer Straße hält ein grüner Politiker seine schützende Hand über gewaltbereite Hausbesetzer.
Auch die Politiker selbst nehmen es mit den Gesetzen nicht allzu genau. Der grüne Justizsenator lässt Ermittlungen gegen einen Parteifreund verhindern. Der SPD-Innensenator lässt Demonstrationen von Kritikern rechtswidrig verbieten. Der Kultursenator von der SED/PDS/Linken wird verdächtigt, einem Gericht manipulierte Dokumente vorgelegt zu haben.
Und jetzt wundern sich genau diese Politiker, dass sich die Berliner nur zögerlich an die Corona-Regeln halten. Im Ernst?
Das alles ist Ausdruck einer unterkomplexen, mechanistischen Sicht auf die Gesellschaft und auf den Menschen. Letztlich zeugt es von einem Mangel an Verständnis für soziale Zusammenhänge.
Man mache sich nichts vor:
Zum einen war Merkels Zitat mit den Zügeln kein Fauxpas – höchstens insofern, als dass dadurch einmal der Blick freigegeben wurde auf ein Weltbild, das knapp zwei Jahrzehnte lang (ganz im Sinne der alten Grundprinzipien der politischen Kommunikation) ein sorgsam gehütetes, vor dem Wahlvolk verstecktes Geheimnis war.
Zum anderen hat die Bundeskanzlerin diese Sicht auf Volk und Gesellschaft keineswegs exklusiv. Angela Merkel ist so zynisch gegenüber dem einfachen Bürger, so indifferent gegenüber dem Grundgesetz und so skrupellos auf ihre egoistischen Interessen fixiert wie der riesengroße Rest unserer politischen Klasse.
Das ist einer der Gründe, weshalb sie auch vom politischen Gegner so verblüffend wenig Widerstand erfährt: Merkel verkörpert den Typus des zeitgenössischen Berufspolitikers wie kaum jemand sonst.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Das ist kein Kompliment.
„Es gibt zwei Arten, aus der Politik einen Beruf zu machen. Entweder, man lebt ‘für‘ die Politik – oder aber: ‘von‘ der Politik.“
(Max Weber – am 28. Januar 1919)
Unser politisches System hat leider Strukturen ausgebildet, die jene schlimmen professionellen Degenerationen von Berufspolitikern zur Folge hatten, die wir heute erleben.
Da ist die Vergütung
Manche – vor allem Politiker selbst – sagen, dass Politiker im Vergleich zu Spitzenleuten in der freien Wirtschaft eher zu wenig als zu viel verdienen würden. Das ist Quatsch.
Zum einen überhöht es den Politikerberuf. Es gibt nur sehr, sehr wenige Politiker, die aus dem Amt ausscheiden und danach in der freien Wirtschaft einen echten Top-Job bekommen. Die meisten landen maximal auf der dritten Ebene – und auch da werden sie mehr für ihr Adressbuch bezahlt als für ihre Qualitäten als Manager.
Zum anderen leiden unsere Parlamente nicht daran, dass die geringe Bezahlung die Hochqualifizierten abschrecken würde – sondern im Gegenteil daran, dass viel zu viele Minderqualifizierte von der Politik angezogen werden, weil sie da viel mehr verdienen können als in ihren bürgerlichen Berufen.
Da ist die Altersversorgung
Die ist, mit Verlaub, einfach nur grotesk verfettet. Die Ruhebezüge von Ex-Politikern sind ein Skandal. Warum zum Beispiel bekommt ein Abgeordneter Übergangsgelder, nachdem er sein Mandat verloren hat, weil er nicht wiedergewählt wurde? Warum wird er finanziell dafür belohnt, dass die Wähler ihm ein schlechtes Arbeitszeugnis ausgestellt haben?
Dass Berufspolitiker eine bessere, überhaupt nur eine andere Altersversorgung bekommen als der normale Bürger, ist ein Grundübel.
Da ist die fehlende Amtszeitbegrenzung
Das ist das vielleicht größte Problem. Es hat, im Zusammenspiel mit den Verdienstmöglichkeiten und der Altersversorgung, zu einer schlicht fatalen Fehlentwicklung geführt: Die meisten Politiker sind von der Politik existenziell abhängig – denn sie sind schon so lange nicht mehr in ihrem bürgerlichen Beruf, dass sie außerhalb der Politik gar keinen anderen Job mehr finden würden.
Inzwischen machen viele gar nicht mehr den Umweg über einen bürgerlichen Beruf, sondern versuchen sofort eine politische Karriere. Für ein Bundestagsmandat bricht mancher, wie der SPD-Vize-Chef Kevin Kühnert, gerne auch das Studium ab.
Im Lebenslauf steht dann: Kreißsaal – Hörsaal – Plenarsaal
Diese Menschen bilden exakt die riesengroße Gruppe von Politikern, die von der Politik wirtschaftlich abhängig sind – und damit von den Parteiführungen, die letztlich über die Aufstellung von Kandidaten für die Parlamente entscheiden.
Im Ergebnis sind die meisten Berufspolitiker wenig mehr als Befehlsempfänger ihrer Parteiführungen. Oder anders: Stimmvieh.
So ist allmählich eine geschlossene Gesellschaft von Parteifunktionären entstanden: eine Kaste von Berufspolitikern, die jeden ernsthaften Kontakt zum richtigen Leben außerhalb der Politik weitgehend verloren hat.
Die Dosis macht das Gift, sagt der Volksmund, und da ist viel Wahres dran.
Das Berufspolitikertum ist nicht per se schlecht. Es sind durchaus Strukturen denkbar, die zumindest weitgehend den schlimmen Fehlentwicklungen vorbeugen würden, die mittlerweile unser ganzes politisches System dysfunktional machen.
Aber ist unser politisches System von innen heraus überhaupt noch reformierbar? Das ist eine spannende Frage. Und eine offene.
Alexander Fritsch, Jahrgang 1966, studierte Volkswirtschaft und Philosophie in Frankreich und Deutschland und arbeitet seit 25 Jahren als Journalist. Außerdem berät er als Business Coach Unternehmen und Verbände, vorrangig bei den Themen Kommunikation und Strategie.
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